Borstel fand das etwas verwirrend. Aber sie war froh, daß sie überhaupt genug Milch bekam. Immer wieder mußte sie sich dagegen wehren, von einem anderen Frischling weggestupst zu werden, der von ihrer Milchquelle naschen wollte. Und das machten ihre Geschwister genauso wie die fremden. Aber Borstel behauptete sich. Sie ließ sich nicht verdrängen. Instinktiv wußte sie, daß sie nur so überleben konnte.
Das Aprilwetter blieb kühl. Sonne wechselte mit Regenschauern. Im Kessel aber war es immer warm. Trotzdem unternahmen die Bachen mitunter in der Mittagssonne kurze Ausflüge mit ihren Jungen. Sie sollten allmählich auch die Welt außerhalb des Kessels kennenlernen.
Das gefiel Borstel. Schnüffelnd trippelte sie durch den dichten Unterwuchs, schnupperte die vielen fremdartigen Gerüche. Ihr verletzter Vorderlauf war inzwischen verheilt. Und auch Lor hinkte nicht mehr.
Nur waren diese Ausflüge viel zu kurz. Borstel hätte viel lieber noch ein wenig herumgeschnüffelt. Hier roch es nach Maus und Igel und vielen anderen Tieren, die Borstel noch nicht kannte. Doch wenn die Sonne hinter düster drohenden Wolkenbergen verschwand, verkroch Borstel sich gern wieder in die wohlige Wärme des Kessels.
Auch hier hatte sich inzwischen einiges geändert. Nicht immer blieben alle Bachen beim Kessel. Von Tag zu Tag öfter sah Borstel sie im Revier verschwinden, um nach Nahrung zu suchen. Sie waren alle sehr mager geworden. Meist blieb nur eine als Wache bei den Kleinen. Wenn die anderen dann zurückkehrten, konnte auch sie endlich ihren Hunger stillen. Und oft war es Borstels Mutter, die allein ging. Sie war die älteste und stärkste. Und alle anderen Bachen gehorchten ihr.
Borstel aber lag am liebsten bei ihrer Mutter. Und sie fühlte sich zufrieden, wenn sie wieder bei ihr war. Zwar putzten auch die anderen Bachen alle Kleinen und gaben bereitwillig Milch, doch nur bei ihrer Mutter fand Borstel die Geborgenheit, die sie brauchte.
In der Zwischenzeit tröstete sie sich mit ihren Geschwistern. Vor allem Lim und Lor nuckelten gern an ihr herum. Und auch Rini. Die drei waren sehr zärtlich. Und Suri putzte ihre Geschwister, als sei sie selbst schon eine kleine Mutter. Das kitzelte und tat sehr gut.
Nur der ungestüme Kurf, der sich mitunter dazwischendrängte, boxte mit seinem Rüssel die anderen einfach weg. Dann rangelten alle quiekend durcheinander. Doch das half nichts. Und Borstel grunzte ärgerlich.
Aber auch Lim entwickelte plötzlich recht merkwürdige Sitten. Immer wieder versuchte er, seine Geschwister zu beklettern, sprang von hinten auf und preßte ihnen seine Vorderläufe in die Flanken. Dabei war es ihm völlig egal, ob er einen Bruder oder eine Schwester vor sich hatte. Und Kurf machte es ihm nach, nur benahm er sich dabei noch rabiater. Sie gebärdeten sich schon ganz wie erwachsene Keiler. Und die Frischlinge der anderen Bachen verhielten sich genauso. Manchmal wurde das Getobe so wild, daß die Mütter energisch grunzend für Ordnung sorgen mußten.
Borstel war froh, als es endlich wärmer wurde und sie länger draußen bleiben konnten. Alle Frischlinge hatten das rauhe Aprilwetter gesund überstanden; keiner war an Unterkühlung gestorben. Nun ließen die Mütter ihre Jungen nicht mehr im warmen Kessel zurück, wenn sie auf Nahrungssuche gingen. Die Kleinen durften mit hinaus aus der Fichtendickung, über den kleinen Bach hinweg, in den nahen Mischwald.
Hier schien die Sonne durch die lichten Wipfel, ließ die ersten Knospen sprießen. Es roch nach frischem Gras, duftenden Frühlingsblumen und altem Laub. Die großen Bachen schmatzten zarte Löwenzahnblätter und Wegerich. Und zwischen den raschelnden trockenen Blättern suchten sie nach Eicheln und Würmern. Schnüffelnd brachen sie den Boden um. Es duftete angenehm nach feuchter Erde.
Der Geruch reizte Borstel. Neugierig bohrte sie ihren kleinen Rüssel zwischen die Erdbrocken. Ein fetter Regenwurm ringelte sich vor ihrer Nase. Borstel zuckte erschrocken zurück. Aber dann war schon Risso heran, einer der Einjährigen, der sich mit einigen Gleichaltrigen in der Nähe herumtrieb, und schmatzte den Regenwurm gierig hinunter.
Das jedoch gefiel Borstels Mutter gar nicht. Ihre Kammborsten sträubten sich. Wütend preschte sie auf Risso los, stieß ihn mit dem Rüssel grob in die Flanke, daß er ein Stück zur Seite flog, und jagte ihn aus der Nähe der Kleinen. Risso quiekte laut. Doch das schien Borstels Mutter nicht zu stören; noch duldete sie ihre vorjährigen Kinder nicht bei ihren Jüngsten. Sie war eine sehr besorgte Mutter.
Borstel trippelte eilig davon. Sie hatte Angst vor dem so viel Größeren, der ihr noch fremd war. Und sie fühlte sich beruhigt, als ihre Mutter ihn vertrieb. Nur war Borstel vor Aufregung in die falsche Richtung getrippelt: hier war niemand mehr. Sie quiekte ängstlich. Und ihre Mutter hörte den Ruf. Sie kam zurück, und Borstel folgte ihr zu den anderen.
Aber nun tat Borstels Mutter etwas sehr Merkwürdiges. Sie scheuerte ihre Flanken an einem Baumstamm. Borstel sah aufmerksam zu. Und dann bekam sie Lust, das auch mal zu probieren. Doch der Baumstamm ihrer Mutter war für sie viel zu groß. Sie suchte sich einen kleineren: den schlanken Stamm einer jungen Fichte. Die Borke roch angenehm nach Harz. Der aromatische Duft gefiel Borstel. Und wohlig scheuerte sie die Schwarte ihres kleinen Körpers. Borstel benutzte ihren ersten Malbaum. Sie hatte wieder etwas dazugelernt.
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