«Hören Sie? Hier ist die Polizeidirektion. Ihr Angestellter Rosol Vilém hat letzte Nacht einen Schwächeanfall erlitten, nachdem irgendein verantwortungsloser Mitarbeiter Ihres Betriebs ihm die Beförderung einer überschweren Last befohlen hat. Er befindet sich zur Behandlung in der Intensivstation und wird erst am Nachmittag entlassen. Klären Sie den Fall, bestrafen Sie die Schuldigen und tragen Sie unverzüglich Sorge, daß seine Eltern auf schonende Weise beruhigt werden. Haben Sie mich verstanden?»
Obwohl sie ihre Stimme nicht im mindesten verstellt hatte, sagte mein Chef eifrig:
«Jawohl, Genosse ...»
«Dann wiederholen Sie!»
Stotternd gab der Chef beinahe Wort für Wort wieder, und meine Frau legte grußlos auf. Zu meiner Dankbarkeit gesellte sich eine tiefe Bewunderung, und ich wußte bereits mit Gewißheit, daß ich sie liebte. Ich saß auf der Couch, in ihren orangefarbenen Morgenrock gemummelt, der mir zu groß war, so daß sie mir lachend die Ärmel dreimal aufschlug.
«Liliane», sagte ich erregt, «teure Liliane ...»
Ich erschauerte ob meiner eigenen Kühnheit, als ich sie zum ersten Mal vertraulich bei ihrem blumigen Vornamen nannte, der mir schon in der Nacht von ihrem Türschild regelrecht entgegengeduftet war, so stark, daß ich den Nachnamen ganz und gar übersah. Erstaunlicherweise war sie nicht beleidigt.
«Na, was denn?» ermunterte sie mich.
«Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich ich bin!»
«Na siehst du», sagte sie mit leichtem Vorwurf, «und eben hast du mir hier noch geplärrt!»
«Ja», bekannte ich ohne Pein, «und ich könnte von neuem plärren.»
«Warum denn schon wieder, Jungchen?»
«Weil ich unglücklich bin ...!»
«Aber wieso denn, Brummelchen?»
Ich bemerkte, daß sich Ungeduld in ihre Stimme schlich, und beeilte mich zu erklären:
«Nein, ich bin glücklich ... gerade deswegen aber auch unglücklich ... Sie ... Sie sind ... Sie sind so wunderbar, und ich ... ich liebe Sie so sehr, daß ich Angst hab, obich-Ihnen das alles überhaupt werde vergelten können ...»
Die letzten Worte sprudelte ich hervor, als sollten es die letzten sein in meinem Dasein. Dann schnürte sich mir gänzlich die Kehle zu, denn mir wurde bewußt, daß ich, wenn auch unaufgefordert, eine verbindliche Liebeserklärung abgegeben hatte. Ich war mir fast sicher, daß sie mich jetzt in strengem Ton auffordern würde, mich in aller Form zu entschuldigen und unverweilt ihre Wohnung zu verlassen. Statt dessen trat sie an mich heran und schaute mir forschend in die Augen.
«So liebst du mich also ...?»
Sie erinnerte mich an Paps, der auf die gleiche Weise herankam und guckte, wenn er mich für eine nichtige kindliche Lüge bestrafen wollte. Dennoch ermannte ich mich und nickte eifrig. Da beugte sie sich zu mir herab und strich mir übers Haar.
«Aber dann quäl dich doch nicht», sagte sie, «denn du ganz allein hast mir mehr gegeben als die ganze Meute vor dir zusammen!»
Einen Augenblick lang hatte ich das Gefühl, starke Schmerzen an einem Zahn zu haben, dessen Wurzeln mir bis ins Herz hinabreichten. Im Nu begriff ich: Zugleich mit der Liebe war ein Gefühl in mir geboren, von dem ich bisher immer nur gelesen hatte, daß es unabdenkbar zur Liebe gehört wie der Dorn zur Rose und der Wurm zum Apfel. Doch noch ehe es eine bestimmtere Frucht tragen konnte, erklang wieder ihre besänftigende Stimme.
«Ich hab kein gutes Leben geführt. Du liebst mich, und ich habe kein Recht, dir das zu verheimlichen. Vielleicht wird dir die Wahrheit bitter vorkommen, doch nur bittere Kerne bringen süßes Obst hervor. Ich müßte lügen, wenn ich behaupten würde, daß du auch für mich der erste gewesen bist. Keineswegs, denn mich haben, leider, auch einige andere gehabt. Doch ebenso mußt du wissen, daß keiner von ihnen eine tiefere Spur als ein Regentropfen oder eine Schneeflocke auf mir hinterlassen hat. Manchen habe ich bereits vergessen, noch ehe er sich mir vorstellen konnte. Sie nahmen sich meinen Körper, und ich habe sie daran nicht gehindert, weil ich wußte, daß sie damit nur um so schneller für alle Zeit aus diesen vier Wänden wie aus meinem Leben verschwinden würden. Wie eine Besessene habe ich sie gewechselt, um desto eher in ihrer Vielzahl jemanden wie dich zu entdecken. Und du bist endlich gekommen und hast mich nicht genommen. Im Gegenteil! Dich habe ich mir selbst genommen. Nicht ich dir, nein, du hast mir das größte Geschenk gemacht: dich selbst mit deiner noch unversehrten Jugendblüte! Und deshalb bist nicht du in meiner Schuld, sondern ich in deiner und werde es ewig bleiben!»
Nach diesen Worten schloß sie mich in die Arme, hob mich zu sich auf und küßte mich lange. Als ich die Augen aufschlug und wieder ihr geliebtes Gesicht sah, war meine Beklommenheit dahin. Froh lachte ich auf und zupfte sie, um die Minuten qualvoller Spannung endgültig zu vertreiben, an ihrem massiven Ohrgehänge in Baßschlüsselform.
«Dann erfüllen Sie mir einen klitzekleinen Wunsch ...»
Auch meine Frau lachte. Sie legte mich auf die Couch zurück, und ihre Lippen bebten lüstern.
«Dir, Liebchen», flüsterte sie, «so viele du willst ...!»
Um einem Mißverständnis vorzubeugen, streckte ich beide Arme aus und bat.
«Lassen Sie mich jetzt ein tolles Frühstück für uns beide machen!»
Meine Frau verhehlte ihre Überraschung nicht.
«Kannst du das?» fragte sie mißtrauisch.
«Ja, ja!» rief ich ermuntert, weil ich mich endlich mit etwas hervortun konnte, «Mutsch und Paps stehen täglich eine ganze Stunde früher auf, um keine meiner guten Sachen zu verpassen. Schon von klein auf koche ich selbst und längst sogar ohne alle Rezepte!»
Meine Frau trat also einen Schritt von der Couch zurück und drohte scherzhaft mit dem Finger.
«Na gut, dann sehen wir wenigstens, ob du am Herd geschickter bist als im Bett.»
Ihr Satz traf mich wie ein Schmiedehammer.
«Warum haben Sie das gesagt ...?»
Sie bemerkte, daß meine Mundwinkel verdächtig zuckten, und entschuldigte sich rasch.
«Verzeih, mein Goldstück, das war nur ein dummer Scherz. Denn du warst recht gut, ach ja, wahrhaft appetitlich und echt konsumierbar ...!»
Ihre Augen weiteten sich so wie vor ein paar Stunden, als sie auf mich zugetreten war, um mich ohne die geringste Vorwarnung zu küssen.
«Wart, wart nur, eine ganz kurze Zeit mit mir reicht, und du wirst mir ein würdiger Befriediger sein!»
Ihr Atem ging schneller, mit einem Satz kniete sie neben mir nieder und begann fieberhaft die Kordel ihres Morgenrocks aufzunesteln, der jetzt zur Abwechslung meine Blöße bedeckte. Da sie sich verfitzt hatte, hielt sie sich keine Sekunde länger damit auf, den Knoten zu lösen. Mit einer Bewegung, die mich bezauberte und überwältigte, zerriß sie den Gürtel, und schon verhüllte mich nichts als meine Haut.
«Du mein Schöner!» flüsterte sie stammelnd.
«Sie meine Schöne ...» wiederholte ich ebenso.
Diesmal hatte sie Tränen in den Augen.