„Er hat dem Prinzen das Glas Champagner gebracht!“
„So recht katzefreundlich . . . die Malefizkrott!“
„Und nachher nix wie fort!“
„Er war ja eben noch da!“ tönten viele Rufe. „An der Ausgangstür hat er gestanden und in den Saal geguckt!“
„Jetzt is er weg!“
„Den Augenblick hab’ ich ihn selbst noch gesehen! Weit kann er nit sein!“ Der Tierarzt Steubesand blickte sich im Kreise seiner Getreuen um. Er fasste den närrischen Hofmarschall Pitterlin an einer Borte seines Silberwamses.
„Auguscht . . . du und die Männer um dich als nur hinter der nixnutzigen grünen Kreatur her! Schaut, wo sie hin ist! Merkt euch das Haus! Bringt gleich Nachricht, damit kei’ Zeit verlore geht, bis die Polizei kommt!“
Der Hopfenhändler winkte den nächsten Narrhallesen. Er, ein Neger, ein Räuberhauptmann, ein Spanier stürmten davon. Louis Steubesand beugte seinen gewichtigen Körper zu dem schwarzen Mönch nieder, der immer noch still auf dem Stuhl sass.
„Da gilt jetzt kein Maskenzwang!“ sprach er. „Der Prinz kann nit länger inkognito bleiben. Wir wolle nun dem Jeanche den Pappendeckel vom Gesicht nehmen, damit er besser schnaufe kann . . .“
Er lüftete mit schonendem Handgriff die Larve. Es war ein teilnahmsvolles Schweigen umher. Und dann ein allgemeiner Aufschrei. Der Tierarzt Steubesand trat ungläubig zurück.
„Das is ja gar nit der Jean!“
„Das is nit der Karnevalsprinz!“
Nein — das waren nicht die stadtbekannten, schönen, brünett-leichtsinnigen Züge, das südliche Kraushaar, das schwarze Schnurrbärtchen des reichen jungen Weingrosshändlers Jean Dörsam. Es war ein auch noch junges, bleiches, längliches Amtsgesicht mit einem blonden Schnurrbart über dem strenggeschlossenen Mund. Ein Antlitz, das von nüchternem Pflichtgefühl sprach. Der dicke Louis Steubesand traute seinen Augen nicht. Er schaute fragend in der Runde. Ein betroffenes Gemurmel bestätigte es ihm.
„Ha — freilich ist er’s!“
„Ich seh’ es doch!“
„Den kennen viele!“
„Und manche, denen ’s gar nit lieb ist!“
,,Das ist der Staatsanwalt selbst!“ sprach feierlich der dicke Louis.
„Ja, der Staatsanwalt Pfeilschmidt!“ bestätigte der Ochsenmetzger Mehlig.
Es war eine ratlose Stille. Dann wieder Stimmen.
„Was tut denn der Mann auf dem Maskenball?“
„Als ein frommes Pfäffche! Das wär’ zum Lachen, wann’s nit so ernst wär’!“
„Und selle Mönchskutte“, sprach der Tierarzt Steubesand, „hat vorher der Jean Dörsam getragen. Das steht fest! Das haben meine Frau, die Amalie und der Mehlig da . . .“, er wies auf den leutseligen Ochsenmetzger mit der Schellenkappe des Elferrates auf dem Graukopf, „und die vernickelte Heuschreck’, der Pitterlin, bezeugt. Also haben der Prinz und der Staatsanwalt die Kostüme vertauscht!“
„Du liebe Zeit — warum denn?“
„Das weiss der stärkste Mann nit!“
„Und wem hat jetzt der Anschlag gegolten? Dem Jeanche oder dem Pfeilschmidt?“
„Der Jeanche mit seinen Liebschaften . . .“
„Der Staatsanwalt, der bei allem Lumpevolk verhasst is . . .“
„Scharf greift er zu! Er ist halt noch jung!“
„Und Ehrgeiz hat er!“
„Er steckt verkleidet in den Spelunken und horcht heimlich zu, wenn die Herren Verbrecher ihre künftigen Heldentaten beraten!“
„Der hat schon die ärgsten Spitzbuben hinter Schloss und Riegel gebracht!“
„Patient ist Patient!“ entschied der blondschopfige Troubadour, der jugendliche Doktor Kniffer. „Man muss ihn vor allem aus der Faschingsatmosphäre hier wegschaffen. Am besten in das städtische Krankenhaus gleich um die Ecke!“
Ein paar weissgewandete Pierrots und buntscheckige Harlekins trugen den Bewusstlosen. Der junge Doktor ging nebenher. Im Ballsaal herrschte beklommenes Schweigen. Unter dem grellen Lichterglanz des Kronleuchters, der sich im Parkett spiegelte, standen die Narren und Närrinnen stumm wie bunte Puppen im Wachsfiguren-Kabinett. Ein Greis näherte sich dem Vorsitzenden der Narrhalla. Er trug eine mächtige blaurote Pappnase, auf deren Warzen ein winziger, grüner Sonnenschirm schaukelte. Er flüsterte.
„Louis — deine Frau hat sich so arg alteriert. Die kann nicht mehr schnaufen vor Schrecken!“
„Das glaub’ ich!“ sprach der Tierarzt Steubesand geistesabwesend. „Ich hab’ ihr schon daheim gepredigt: „Amalie — schnür’ dich nit so arg! E Königin der Nacht braucht nit so auf Taille zu schwören! Nachts ist’s dunkel!‘“
„Es wird ihr noch schlimm, Louis! Die plumpst uns auch noch im Saal hin!“
„Das tät’ noch fehle!“ sagte Louis Steubesand. „Ich schaff’ die bessere Hälfte hurtig heim! Und komm dann gleich zurück! Wann der Pitterlin und seine Leut’ nach mir fragen, und ich bin noch nit da, so sollen sie mir in meiner Wohnung Meldung machen, was sie entdeckt haben! Ich lass das Haustor offen. Sie können jederzeit unbehelligt herein!“
2.
„Springt, ihr Männer — springt!“ Der Hopfenhändler Pitterlin keuchte. Er war, während sich drinnen im Saal aller Mummenschanz um den schwarzen Mönch sammelte, nach der Weisung des Narrhalla-Präsidenten Steubesand mit seinen drei Begleitern, dem Seeräuber, dem Spanier, dem Neger, in den Vorraum hinausgestürmt. Dort baumelten an den Kleiderständern nüchtern und grau, im Gegensatz zu dem Regenbogenbunt innen, die Alltagsmäntel der Herren, die Kopftücher und Umhänge der Damen. Bejahrte Garderobefrauen standen da. Das Strickzeug war ihren Fingern entglitten. Die Schellenkappen auf ihren grauen Haaren passten nicht zu den verdutzten Gesichtern.
„Habt ihr die grüne Krott’ gesehen?“
„Den grünen Pagen? Ja, freilich! Das Bürschle war ja eben aus dem Saal herausgeritscht! Gelaufen ist sie, mit langen Sprüngen, auf den Spitzen von ihren Stöckelschuhchen, die eine Garderobiere hat noch an ihre eigene Jugend gedacht und gerührt zur Nachbarin gesagt:,Es war doch e schöne Zeit, wo man’s mit seinen Liebhabern nit hat erwarten könne!‘ Ihr dunkles Kapuzenmäntelchen hat sich das maskierte Fräulein in Höschen ganz atemlos geben lassen und wie eine gescheuchte Fledermaus hinaus in die Nacht. Die eine Frau hat ihr noch nachgerufe:,Fräule — auf die Art fängt man die Männer nit. Lasse Sie die Sort’ zappele! Ich war auch mal jung! Ich rat’ Ihnen im guten!‘ Aber sie hat ja auf niemand gehört!“
Da draussen vor dem Bürgerkasino standen viele Menschen; es hielten Droschken. Aufgeregte Stimmen schrieen.
„Alleweil ist das grüne Laster in das vorderste Wägelchen gestiege!“
„. . . und die Mönchgass’ hinunter!“
„Ganz am End’ von der Strass’ sieht man noch den Wagen!
„Habt ihr gehört, wohin sie den Kutscher hat fahren lassen?“ fragte atemlos der närrische Hofmarschall.
„Nix hat sie gesprochen, sondern bloss die Strass’ runter gedeutet!“
„Allerweil biegt dort der Wagen links um die Eck’!“
„Flink, ihr Männer! Nur gleich hinterher, dass wir ihn wieder zu Gesicht bekommen!“
„Fahre Sie los, Kutscher, was Ihr Gäulche mit seinen scheppen Beinen laufe kann. Sie bekommen ’nen