Die letzten 24 Stunden im Leben von Jesus sind die Geschichte Gottes, dessen Liebe zu seinem Volk so erstaunlich und so umfassend ist, dass er seinen Sohn schickt, der sein Leben lässt, als Zeichen und Siegel für den Bund, durch den die Menschheit vom Tod erlöst wird. Durch seinen Geist legt Gott den Menschen seine Gebote ins Herz, vergibt ihnen ihre Schuld und denkt nicht mehr an ihre Sünden.
Im ersten Brief an die Korinther erinnert uns Paulus an Jesu Worte: »So oft ihr aus diesem Kelch trinkt, denkt an mich und an das, was ich für euch getan habe« (1. Korinther 11,25). Das Letzte Abendmahl soll wiederholt werden als Erinnerungsmahl an den neuen Bund, genauso wie das Passahmahl als Erinnerungsmahl an Gottes zentrales Erlösungshandeln in den heiligen Schriften des Volkes Israels gedacht war. Dieses Mahl, dieses neue Passah, das Abendmahl, soll eine ewige Erinnerung an die Liebe Gottes sein und an das Opfer seines Sohnes. Es soll das Mahl sein, bei dem wir Christen uns an unsere Geschichte erinnern, und dadurch soll unser Leben umgestaltet werden.
Wenn wir das Abendmahl als Entsprechung des Passahmahls sehen, machen wir uns die jüdischen Erkenntnisse über dieses alte rituelle Mahl zu Nutze. Wenn wir wissen, was es für das jüdische Volk bedeutet und wie es sich auf ihr Leben auswirkt, dann hilft uns das zu begreifen, wie Jesus es betrachtete, und welche Wirkung des Abendmahls er sich für uns wünscht.
»[Das Passah Seder] ist die Zeit, in der wir uns so, wie es in 2. Mose beschrieben wird, daran erinnern, wie wir nach Gott geschrien haben, als wir noch Sklaven waren, und wie Gott unser Schreien erhört und uns aus Ägypten herausgeführt hat«, sagt Rabbi Katz. »Das ist eine zentrale Geschichte. Und es ist auch die zentrale Geschichte, wie wir als Volk geboren wurden. Der Zweck des Mahls besteht darin, diese Geschichte für jeden, der mit am Tisch sitzt, auf jede nur denkbare Weise zugänglich zu machen. Alle müssen es kapieren, weil es unsere wichtigste Geschichte ist.«
Die Verheißung des Passahmahles (Sedermahls), so sagt Rabbi Katz, spiegelt sich wider in einer Zeile, die traditionell während des Abends gesungen wird. Sie stammt aus der Mischna (dem jüdischen religiösen Regelwerk) und besagt, dass sich die Menschen in jeder Generation so sehen sollten, als wären sie Sklaven in Ägypten. »Man fängt als Sklave an«, fügt sie hinzu; »und am Ende des Abends ist man frei.«
Auf welche Weise soll das christliche Abendmahl Christen helfen, sich ihre eigene Versklavung und Befreiung in Erinnerung zu rufen?
Ein Mahl, das uns definiert
Ich glaube, indem Jesus das Passahmahl zum Abendmahl macht, will er zeigen, dass dieses Mahl definiert, wer wir sind. Es erinnert uns daran, dass wir von jemandem erlöst worden sind; dass unsere Freiheit von jemandem erkauft wurde; dass Gott Mensch geworden ist, gelitten hat und für uns gestorben ist. Das ist die Geschichte, an die wir uns erinnern sollen. Es ist eine große, eine wichtige Geschichte, und wir müssen sie wirklich verinnerlichen, wenn wir Jesus Christus nachfolgen wollen. Wir müssen uns selbst bei diesem Mahl und am Kreuz sehen und wissen, dass Jesus für uns gestorben ist. Jedes Mal, wenn wir das Brot brechen und den Wein trinken, erinnern wir uns daran; und dadurch werden wir umgestaltet. Das Mahl erinnert uns daran, woher wir kommen, und es definiert, wer wir sind und wer wir sein werden. Es ist für uns Christen die Erinnerung an unsere Geburt als ein Volk. Wir kommen zu diesem Mahl zusammen und erinnern uns daran, dass wir versklavt waren an die Sünde und den Tod und nur für uns selbst und allein gelebt haben. Und nach dem Mahl sind wir frei, sind wir Menschen, die ihren Erlöser kennen, die beschlossen haben, ihm nachzufolgen, und die seine Gnade und Barmherzigkeit für ihr Leben annehmen. Es ist ein feierliches, freudiges Ereignis, weil es für unsere Befreiung steht. Es wird auch »Eucharistie« genannt, das ist griechisch und bedeutet »Danksagung«. Es ist ein tiefgründiges und heiliges Mahl voller guter Nachrichten. Und genauso wie eine gute Nachricht soll es auf uns wirken.
Von welchen Erinnerungen werden Sie bestimmt? Gibt es Ereignisse oder Worte, die wie in einer Endlosschleife in Ihrem Kopf ablaufen? Ist es die Misshandlung oder der Missbrauch, die Sie als Kind erlebt haben? Sind es Worte, die ein Elternteil, ein Lehrer oder ein Freund gesagt hat? Oder ist es eine Beleidigung oder Herabsetzung, die tief getroffen hat, eine Verletzung, die Sie nicht vergessen können? Eine Gewohnheit oder eine Sucht, die Sie einfach nicht loswerden?
Das alles sind Dinge, durch die Sie nicht bestimmt werden sollen. Es gibt noch etwas anderes, eine umfassendere, größere Geschichte, die Sie definiert. Für das Volk Israel ist diese größere Geschichte, an die jedes Jahr aufs Neue erinnert wird, der Auszug aus Ägypten, der zusammengefasst ist mit den Worten: »Wir waren einmal Sklaven, aber jetzt sind wir frei.« Für Sie und mich als Christen ist die Geschichte, durch die wir definiert sind, ebenfalls von einem Mahl begleitet und von einigen wichtigen Worten:
»In der Nacht, in der unser Herr Jesus verraten wurde, nahm er das Brot dankte Gott dafür, brach es und sprach: ›Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. So oft ihr dieses Brot esst, denkt an mich und an das, was ich für euch getan habe!‹
Nach dem Essen nahm er den Kelch und sprach: ›Dieser Kelch ist der neue Bund zwischen Gott und euch, der durch mein Blut besiegelt wird. So oft ihr aus diesem Kelch trinkt, denkt an mich und an das, was ich für euch getan habe. Denn jedes Mal, wenn ihr dieses Brot esst und aus diesem Kelch trinkt, verkündet ihr, was der Herr durch seinen Tod für uns getan hat, bis er kommt.‹ «
(1. Korinther 11,23–26)
In einer der ältesten noch erhaltenen christlichen Predigten hebt Bischof Melito von Sardis hervor, dass das Passahfest nicht nur dazu gedacht war, die Israeliten an Gottes Erlösungswerk durch Mose zu erinnern, sondern auch, um sie auf das hinzuweisen, was er 1 200 Jahre später durch Jesus Christus für die ganze Welt tun würde. So, wie wir glauben, dass uns das heilige Abendmahl wieder ans Kreuz zurückführt, um uns daran zu erinnern, was Gott für unsere Rettung getan hat; so weist es auch voraus auf den Tag, an dem wir dieses Mahl im Himmel zu uns nehmen werden. Paulus bringt genau diesen Gedanken zum Ausdruck, wenn er sagt, dass wir dieses Mahl zu uns nehmen, um den Tod Christi zu verkünden, bis er wiederkommt (1. Korinther 11,26).
Und an noch etwas sollen wir denken, wenn wir über das Letzte Abendmahl nachdenken: Als für Jesus der Tod näher rückt, findet er Trost in der Gemeinschaft mit seinen Freunden. Im Lukasevangelium ist nachzulesen, dass Jesus zu seinen Jüngern sagt: »Wie sehr habe ich mich danach gesehnt, mit euch das Passahmahl zu essen« (Lukas 22,15). Im Bericht des Apostels Johannes spricht Jesus mit den Jüngern über seine Liebe zu ihnen und nennt sie nicht Knechte oder Schüler, sondern Freunde (Johannes 15,15). In den Stunden, bevor Jesus verhaftet, vor Gericht gestellt und zur Kreuzigung verurteilt wird, ist er mit den zwölf Männern zusammen, die seine Gefährten und enge Vertraute sind; mit Männern, mit denen er gebetet, Gott gepriesen und das Leben geteilt hat. Als er in dem Wissen, dass er sterben wird, geht, um zu beten, bittet er die, die ihm am nächsten sind, mit ihm zu beten.
Beachten Sie, dass diese engen Gefährten und Vertrauten nicht perfekt sind. Sie haben Jesus bereits zuvor im Stich gelassen, und sie werden es wieder tun. Einer von ihnen wird ihn sogar verraten. Dennoch sind sie die besten Freunde, die er hat; und sie sind bei ihm, als seine finsterste Stunde naht.
Die ersten Christen kamen in den Vorhöfen des Tempels zum Gebet zusammen und trafen sich in kleineren Gruppen in den Häusern Einzelner, so wie auch Jesus mit kleinen Gruppen zusammengekommen war. In vielen modernen Gemeinden spielen Kleingruppen eine so große Rolle, weil jeder Mensch genau wie Jesus enge Freunde braucht, mit denen er seinen Weg gemeinsam gehen kann, die ihn hinterfragen, ihm helfen und ihn im Glauben unterstützen. Das ist für uns heute genau so wichtig, wie es damals für Jesus war.
Wenn Sie wüssten, dass Sie nur noch einen Tag zu leben hätten, dass es Zeit für Ihr letztes Abendessen wäre, mit wem würden Sie dann an einem Tisch sitzen? Natürlich mit Ihrer Familie. Bei mir wären es LaVon und meine Töchter, und natürlich meine Eltern. Die anderen Leute am Tisch wären aus meiner Kleingruppe. Das sind die Leute, mit