Zarenblut - Ein Fall für Julia Wagner: Band 4. Tanja Noy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tanja Noy
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Fall für Julia Wagner
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726643091
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Was ist passiert?“

      „Sie hat sich inzwischen umgebracht.“

      Julia senkte den Blick auf das Foto. Die junge Frau musste wunderschön gewesen sein. Die hellen, leicht gewellten langen Haare fielen ihr sanft auf die Schultern. Aber sie waren auch blutverklebt. Die Augenfarbe war nicht zu erkennen, weil die Augen blau verfärbt und angeschwollen waren.

      „Sie war erst zwanzig Jahre alt“, fuhr Augustin fort. „Ukrainerin. Sie wurde entführt und über mehrere Monate festgehalten. Während der Zeit ist sie mehrfach vergewaltigt und gefoltert worden. In diesem Keller.“ Er schob Julia das nächste Foto hin. Es zeigte einen lichtlosen Raum, kaum größer als ein fensterloser Öltank. An der Eisentür ein Riegel, an der Decke eine nackte Glühbirne, im hinteren Bereich war ein Eisenbett mit einer Matratze zu erkennen. An der Wand über dem Bett hingen Haken, an denen man Fesseln anbringen konnte.

      „Vor drei Tagen gelang Nathalia die Flucht“, fügte Augustin hinzu. „Es ist uns gelungen, den Keller ausfindig zu machen, aber leider haben wir dort nichts gefunden. Keine Spuren, gar nichts.“

      „Also ist er gründlich gereinigt worden, bevor ihr kamt“, stellte Julia fest.

      „Ja. Aber wir wissen dennoch, dass in diesem Keller insgesamt fünf Frauen festgehalten wurden.“

      „Fünf?“, entfuhr es Eva, die sich bisher zurückgehalten hatte.

      Augustin nickte. „Wir fanden fünf Verschläge, und Nathalia sagte aus, dass dort noch weitere Frauen festgehalten worden sind. Sie konnte sie nicht sehen, aber hören.“ Er lehnte sich etwas zurück. „Wir nehmen an, dass sie alle über das Internet nach Deutschland gelockt wurden. Immer mit derselben Masche. Eine Datingseite hat heiratswillige osteuropäische Frauen mit allen möglichen Versprechen geködert. Kaum waren sie dann hier gelandet, wurden sie entführt und in dem Keller als Sexsklavinnen gehalten, deren Dienste an fremde Männer verkauft wurden.“

      „Ein Netzwerk?“, fragte Julia.

      „Wir gehen davon aus.“

      „Was soll das heißen?“, fragte Eva dazwischen. „Dass es noch mehr solcher Keller gibt?“

      „Ja“, antwortete Augustin in ihre Richtung.

      „Das heißt, es gibt einen Markt für … so etwas?“

      „Es gibt genügend Männer, die dafür bezahlen, ja.“

      „Mein Gott.“ Eva wurde ganz bleich. „Wie pervers ist das denn?“

      „Wie pervers das Ganze wirklich ist, könnt ihr euch noch gar nicht vorstellen.“ Augustin schüttelte den Kopf. „Zander gelangte während der Ermittlungen an einen Film aus dem Internet, auf dem die ganze Perversität in vollem Umfang zu sehen ist. Aber ich würde euch nicht empfehlen, ihn euch anzusehen. Das ist mehr als kranke Scheiße.“

      „Ich will ihn sehen“, sagte Julia und sah zu Eva. „Du kannst so lange rausgehen, wenn du möchtest.“

      Eva schüttelte den Kopf. „Ich bleibe hier.“

      „Wirklich, denkt noch einmal darüber nach“, warnte Augustin.

      „Ich will ihn sehen“, beharrte Julia.

      „Ich auch“, sagte Eva, wenn auch weit weniger überzeugt.

      Augustin seufzte leise auf und holte seinen Laptop. Er schob eine DVD hinein und drückte auf Start.

      Und bereits zwei Sekunden später wurde die Küche, in der sie saßen, winzig und luftlos.

      Auf dem Bildschirm war eine nackte Frau auf einem schmalen Eisenbett zu sehen. Sie lag auf dem Rücken, ihre Hände waren mit Lederriemen an das Kopfteil gefesselt. Ihr Gesicht war nass vor Tränen, und ihr Mund stand weit offen. Man hörte keinen Schrei, denn die Aufnahme war ohne Ton, aber man sah, wie ihr Körper zuckte und wie sie versuchte, sich loszureißen. Ihre Halsmuskeln waren angespannt, jeder einzelne Knochen trat hervor.

      Ein Mann trat ins Bild. Er trug nur ein dunkles T-Shirt, keine Hose. Er vergewaltigte sie, wobei er die Hände um ihren Hals legte.

      Dann kam noch ein Mann. Und noch einer.

      „Oh mein Gott!“, entfuhr es Eva, die jetzt überhaupt keine Farbe mehr im Gesicht zu haben schien. „Die haben eine Vergewaltigung gefilmt und ins Netz gestellt?“

      Augustin nickte. „Es scheint ebenso unglaublich wie alles andere, aber auch hier gibt es Männer, die für einen solchen Film sehr viel Geld bezahlen.“

      Julia deutete auf den Bildschirm. „Seid ihr an diesen Männern dran?“, wollte sie wissen.

      „Ja, aber es gestaltet sich schwierig, weil die natürlich alle nicht ihre richtigen Namen hinterlassen, wenn sie sich im Netz bewegen. Aber wir arbeiten mit sehr guten IT-Experten zusammen. Wir kriegen sie – früher oder später.“

      „Ich muss an die Luft“, sagte Eva und verließ den Raum.

      Julia sah ihr kurz hinterher, dann deutete sie noch einmal auf den Bildschirm. „Ist das Nathalia?“

      Augustin nickte.

      „Du hast gesagt, ihr sei die Flucht aus diesem Keller gelungen …“

      „Richtig. Ein Autofahrer fand sie völlig am Ende am Straßenrand. Er brachte sie sofort in ein Krankenhaus.“

      „Dann ist sie dort doch untersucht worden. Habt ihr nichts gefunden? Keine Spuren? DNA? Kein Sperma am Körper?“

      „Nein.“ Augustin deutete ebenfalls auf den Bildschirm. „Wie du siehst, tragen die Männer Kondome. Die sind nicht blöd.“

      Julia atmete tief durch und lehnte sich zurück. „Wie ist Zander an den Film gekommen?“

      „Das kann ich dir leider nicht sagen. Er hat kein Wort darüber verloren, wo er ihn herhatte.“ Augustin stoppte den Film, und der Bildschirm wurde schwarz.

      „Wie seid ihr dann weiter vorgegangen?“, wollte Julia wissen.

      „Nun ja, keine zwölf Stunden nach Nathalias Flucht fanden wir eine männliche Leiche. Der Name des Mannes war Matthias Bartholomäus, und uns war ziemlich schnell klar, dass er einer ihrer Entführer war.“

      „Wie kamt ihr darauf?“

      „Der Keller in seinem Haus.“ Augustin deutete noch einmal auf das Foto, das den Keller zeigte. „Das war dieser. Hier wurde Nathalia festgehalten.“

      Julia dachte einen Moment nach. „Das heißt, er wurde umgebracht, nachdem ihr die Flucht gelungen war.“

      „Ja. Offenbar rechnete man damit, dass wir früher oder später dort auftauchen und ihn zum Sprechen bringen würden. Also hat man ihn vorher umgebracht. Und er blieb nicht unsere einzige Leiche. Kurz darauf fanden wir einen weiteren Ermordeten. Sein Name war Lars Dexter. Wir nehmen an, dass er der zweite Entführer war. Beiden Männern wurde das Genick gebrochen. Sehr schnell. Sehr professionell. Sehr außergewöhnlich. Es gibt nicht viele Menschen, die auf diese Art und Weise töten, es musste sich also um ein und denselben Täter handeln.“

      „Und habt ihr auch einen Verdächtigen?“

      „Ja.“

      Julia sah auf. „Wen?“

      Augustin schob ein Phantombild zu ihr hin. „Sein Name ist Sten Kjaer.“

      In dem Moment, in dem er den Namen aussprach, spürte Julia, wie alles aus ihr entwich. Wirklich alles. Die Luft. Der Gleichgewichtssinn. Alles.

      Die Welt blieb für einen kurzen Moment stehen. Ein erstarrtes Bild, in dem sich nichts mehr bewegte.

      Finde Sten Kjaer. Eric Cirpkas letzte Worte im Schwarzwald.

      Eva kam in die Küche zurück und setzte sich wieder zu ihnen an den Tisch. „Wer ist das?“, wollte sie wissen und deutete auf das Phantombild.

      Julias Blick ruhte auf dem kalkweißen