Erdmann Graeser
Das Spukhaus in Schöneberg
und andere humoristische Erzählungen
aus der Romanfolge
Lemkes sel. Wwe.
Saga
Das Spukhaus in Schöneberg
© 1937 Erdmann Graeser
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711592403
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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Im Spukhaus in Schöneberg
Wind und Wetter hatten im Laufe der Jahre das große Schild mit der Inschrift: „Zur Märzwiese, Restaurant und Kegelbahn“, arg mitgenommen, aber der „olle reiche Lemke“, wie ihn die Leute nannten, dachte nicht daran, die Farbe auffrischen zu lassen.
Unverändert hatte sich der große Garten erhalten, nur daß er jetzt, da bei den Straßenregulierungen ringsum Anschüttungen vorgenommen worden waren, so tief lag, daß die Gäste, wie sonst ein paar Stufen hinauf, eine kleine Treppe hinuntersteigen mußten.
Da unten aber spazierten die Hühner wie früher zwischen den klobigen, grüngestrichenen Tischen, brannten abends die flackernden Petroleumlampen, sah man Herrn Lemke an heißen Sommertagen in Hemdsärmeln mit der Gießkanne umhergehen und die Wege sprengen. Und auch das Rollen der Kegelkugeln hörte man, die Stimme des Jungen, der sein „Jrennadier“ und „alle neine“ durchdringend schrie und dabei die nackten Beine anzog, daß ihn die stürzenden Kegel und sausenden Kugeln nicht trafen.
Und man hätte glauben können, daß Lemkes alter Weißbiergarten trotz des Aufschwungs, den Schöneberg genommen, trotz des Näherrückens Berlins unverändert und siegreich allen Neuerungen standhalten werde, wenn da nicht merkwürdige Gerüchte im Umlauf gewesen wären. Irgendwo hatte es einer gelesen, war es durchgesickert, daß der „olle Lemke vakoofen wolle“. Und man glaubte auch die Gründe zu kennen: erstens, die „olle Lemken“ war nicht mehr so taktfest auf den Beinen und konnte sich nicht mehr so wie früher um die Wirtschaft kümmern. Man merkte das schon am Essen, das lange nicht mehr so gut wie sonst war. Und die alten Stammgäste drückten die Augen ein und schnalzten mit der Zunge, wenn sie von dem „jrienen Aal mit Jurkensalat“ und den großen Portionen Gänsebraten schwärmten, die man einstmals hier bekommen. Zweitens aber – und wenn man davon sprach, dämpfte man jedesmal die Stimme, denn der „olle Lemke“ konnte „sehre eklij“ werden, wenn er es hörte – „war irgendwas mit dem alten Haus los“. Andere sagten es geradezu heraus: „Es spukte“ oder: „Lemkes selige Witwe ging um.“ Man hatte – besonders die beiden Dienstmädchen, die in der Küche hantierten – oft genug in der Nacht einen schrillen Schrei gehört, und wenn der „olle Lemke“ auch zehnmal am andern Morgen behauptete, daß seine Frau nur schlecht geträumt habe, so ließ man es sich doch nicht ausreden, daß noch etwas anderes „dran“ sei, denn man hörte es ja auch nachts oben auf dem Boden rumoren.
Alle Milchmänner, die mit ihren Frauen von Wilmersdorf und Schöneberg zur Milchablieferung nach Berlin fuhren, spähten jedesmal, wenn sie vorüberkamen, nach dem Garten und dem im Grün des Nußbaumes und der Linden versteckten Hause, grüßten zuvorkommend den „ollen Lemke“ und erwarteten irgend etwas Neues zu erfahren – aber da war keine Veränderung zu bemerken, alles war beim alten.
Nur den jungen Herrn Lemke, den Sohn, sah man jetzt wieder häufiger und wunderte sich, was aus dem schmächtigen, tolpatschigen Burschen, der immer für ein bißchen dumm gegolten, für ein selbstbewußt auftretender, stattlicher Mensch geworden war. Und jedesmal erinnerte man sich dann an die alte Geschichte, wie damals der junge Lemke mit der Anna, dem hübschen, forschen Dienstmädchen, seinen Eltern durchgebrannt war, um dann in Berlin ganz von vorn anzufangen, „wie dunnemals seen Jroßvata“, der auch keinen Dreier besessen und es dann doch zu solcher Wohlhabenheit und solchem Ansehen in Schöneberg gebracht hatte.
„Aba det haben se beede ihren Frauen zu vadanken“, pflegten dann die alten Schöneberger Bauern hinzuzusetzen, „wat die Jroßmutta für een resolutes Frauenzimma jewesen is, merkt ma ja am besten daraus, det se jetz noch nach ihrem Tode im Hause ’rumwirtschaft’.“
Nachmittags, wenn die Sonne nicht mehr ganz so grell schien, sahen die Vorübergehenden „die kranke Lemken“ vor der Haustür sitzen, umgeben von einer Hühnerschar, die darauf wartete, daß für sie etwas abfiel. „Ach herrjeh“, hieß es dann jedesmal mit Bedauern, „wat is aus die schöne, rotbackige Frau jeworden – die wird’s wohl nich mehr lange machen“. Und dann freute man sich über Herrn Wilhelm Lemke, der so zu seiner Mutter hielt und jeden Tag den weiten Weg von der Landsberger Straße bis nach Schöneberg machte, um zu erfahren, wie es mit der Kranken stände.
„Wenn se sich man ’n Dokter nehmen wollten, det Jeld haben se doch dazu!“ sagten die Leute. Aber „die Lemken“ wollte von den Ärzten nichts wissen. „Ick halt’ nischt von die janzen Dokters“, wehrte sie jedesmal ab, „die können mir ooch nich helfen, die denken man imma jleich an’t Schneiden und Absäbeln. Nee, nee, det muß von janz alleene besser werden. Und et fehlt mir ja ooch nischt, ick hab’ ja keene Schmerzen, bloß det ick ’n bißken schwach uff die Beene bin und keene Luft krieje. Wenn ick janz stille sitze, merk’ ick ibahaupt nischt von, nur ’rumloofen derf ick nich mehr so wie frieher!“
Eines Tages kam auch Tante Marie mit nach Schöneberg hinaus. Unter ihrem Umschlagetuch verbarg sie mit großer Geheimnistuerei einen Gegenstand, der sich als eine alte Zigarrenkiste entpuppte, die sie als ihre „Hausapotheke“ bezeichnete. Tante Marie hatte die Absicht, die Kranke „nu ’mal jründlij zu kurieren“, aber ehe sie damit anfing, legte sie der Lemken die Karten. Ja, die Karten hatten wieder mal recht, „da stand die Krankheit“ – und sie wies auf die schwarzen Kreuze –, „aba et war ooch Hoffnung vorhanden“, und darum öffnete Tante Marie die Zigarrenkiste und begann unter den Fläschchen und blauen Tüten zu suchen. „’n Kapital steckt hier drinne“, wiederholte sie fortwährend, „wat braucht man denn det teire Jeld die Apothekas in ’n Rachen zu werfen?“ Und da ihr ja die Mittel nichts kosteten, denn sie hatte sich die heilkräftigsten Kräuter – Lindenblüten, Stiefmütterchen- und Kamillentee selbst gesammelt oder von Onkel Karl schenken lassen, ging sie nicht sparsam damit um, sondern beschloß gleich eine Radikalkur. „Die Hauptsache is, det die Krankheit erst ’mal or’ntlij ’rauskommt.“ Und die durchschlagenden Erfolge, die sie dann mit einem ganz besonders wirksamen Tee erzielte, der auch ihr immer geholfen hatte, veranlaßten sie, wieder und immer wieder darauf hinzuweisen, wie dringend notwendig für jeden Haushalt solch eine Apotheke sei. Dem alten Herrn Lemke leuchtete das auch ein, und als Tante Marie am nächsten Tage wiederkam, wurde sie in die gute Stube geführt, wo auf dem Tische ein zierliches kleines Schränkchen stand – „’ne wirkliche Hausapotheke, die ick in ’ne richtje Apotheke jekooft habe, damit Se sich nich imma mit die olle Zijarrnkiste zu schleppen brauchen“ – wie Herr Lemke zur Erklärung sagte.
Aber Tante Marie war gar nicht so entzückt davon. Mißtrauisch besah sie sich die eleganten Glasstöpselfläschchen, die etikettierten Salbentöpfchen und bunten Pillenschachteln und schüttelte bedenklich den Kopf. Interesse erregte bei ihr nur die kleine, seltsam gebogene Schere, die sie für ein Operationsmesser hielt. Und sie konnte auch gar nicht Herrn Lemke zustimmen, der nun mit diesem Heilmagazin einem ganzen Heer von Krankheiten Trotz bieten wollte.
„Is ja nischt drinne in die kleenen Pullen, bloß Uffmachung, ick halte det Jeld for wejjeschmissen. Hätten Se mir man lieba wat von jesajt. Wenn nu zwee uff eenmal krank werden, denn is for keenen jenug da, nee, da is mir meene Apotheke doch ville lieba!“
Und darum blieb die elegante Hausapotheke unbenutzt stehen, und Tante Marie kurierte mit ihren Mitteln weiter. Aber es wurde und wurde nicht besser mit der