Unterm Rad. Hermann Hesse. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermann Hesse
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 4064066113650
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      „Gut, du darfst, wenn’s Examen bestanden ist.“

      Am nächsten Tage, einem Sonntag, ging ein Gewitter und Platzregen nieder und Hans saß stundenlang lesend und nachdenkend in seiner Stube. Er überdachte seine Stuttgarter Leistungen nochmals genau und kam immer wieder zu dem Ergebnis, er habe heillos Pech gehabt und hätte viel bessere Arbeiten machen können. Zum Bestehen würde es nun auf keinen Fall mehr reichen. Das dumme Kopfweh! Allmählich bedrückte ihn eine wachsende Bangigkeit und schließlich trieb eine schwere Sorge ihn zu seinem Vater hinüber.

      „Du, Vater!“

      „Was willst?“

      „Etwas fragen. Wegen dem Wünschen. Ich will lieber das Angeln bleiben lassen.“

      „So, warum denn jetzt das wieder?“

      „Weil ich ... Ach, ich wollte fragen, ob ich nicht ...“

      „Heraus damit, ist das eine Komödie! Also was?“

      „Ob ich aufs Gymnasium darf, wenn ich durchfalle.“

      Herr Giebenrath war sprachlos.

      „Was? Gymnasium?“ brach er dann los. „Du aufs Gymnasium? Wer hat dir das in den Kopf gesetzt?“

      „Niemand. Ich meine nur so.“

      Die Todesangst stand ihm im Gesicht zu lesen. Der Vater sah es nicht.

      „Geh, geh“, sagte er unwillig lachend. „Das sind Überspanntheiten. Aufs Gymnasium! Du meinst wohl, ich sei Kommerzienrat.“

       Er winkte so heftig ab, daß Hans es aufgab und verzweifelnd hinausging.

      „Ist das ein Bub!“ grollte er hinter ihm her. „Nein so was! Jetzt will er gar noch aufs Gymnasium! Ja prosit, da brennst du dich.“

      Hans saß eine halbe Stunde lang auf dem Fenstersims, stierte auf den frisch geputzten Dielenboden und versuchte sich vorzustellen, wie das sein würde, wenn es nun wirklich mit Seminar und Gymnasium und Studieren nichts wäre. Man würde ihn als Lehrling in einen Käsladen oder auf ein Bureau tun und er würde zeitlebens einer von den gewöhnlichen armseligen Leuten sein, die er verachtete und über die er absolut hinaus wollte. Sein hübsches, kluges Schülergesicht verzog sich zu einer Grimasse voll Zorn und Leid, wütend sprang er auf, spuckte aus, ergriff die daliegende lateinische Chrestomathie und warf das Buch mit aller Wucht an die nächste Wand. Dann lief er in den Regen hinaus.

      Am Montag früh ging er wieder in die Schule.

      „Wie geht’s?“ fragte der Rektor und gab ihm die Hand. „Ich dachte, du würdest schon gestern zu mir kommen. Wie war’s denn im Examen?“

      Hans senkte den Kopf.

      „Na, was denn? Ist’s dir schlecht gegangen?“

      „Ich glaube, ja.“

      „Nun, Geduld!“ tröstete der alte Herr. „Vermutlich kommt noch heute vormittag der Bericht von Stuttgart.“

      Der Vormittag war entsetzlich lang. Es kam kein Bericht und beim Mittagessen konnte Hans vor innerlichem Schluchzen kaum schlucken.

      Nachmittags, als er um zwei Uhr ins Schulzimmer kam, war der Klassenlehrer schon dort.

      „Hans Giebenrath“, rief er laut.

      Hans trat vor. Der Lehrer gab ihm die Hand.

       „Ich gratuliere dir, Giebenrath. Du hast das Landexamen als Zweiter bestanden.“

      Es entstand eine feierliche Stille. Die Tür ging auf und der Rektor trat herein.

      „Ich gratuliere. Nun, was sagst du jetzt?“

      Der Bub war ganz gelähmt vor Überraschung und Freude.

      „Na, sagst du gar nichts?“

      „Wenn ich das gewußt hätte,“ fuhr es ihm heraus, „dann hätt’ ich auch vollends Primus werden können.“

      „Nun geh heim“, sagte der Rektor, „und sag’ es deinem Papa. In die Schule brauchst du jetzt nicht mehr zu kommen, in acht Tagen fangen ja ohnehin die Ferien an.“

      Schwindlig kam der Junge auf die Straße hinaus, sah die Linden stehen und den Marktplatz in der Sonne daliegen, alles wie sonst, aber alles schöner und bedeutungsvoller und freudiger. Er hatte bestanden! Und er war Zweiter! Als der erste Freudensturm vorüber war, erfüllte ihn ein heißes Dankgefühl. Nun brauchte er dem Stadtpfarrer nicht aus dem Wege zu gehen. Nun konnte er studieren! Nun brauchte er weder den Käsladen noch das Kontor mehr zu fürchten!

      Und jetzt konnte er auch wieder angeln. Der Vater stand gerade in der Haustür, als er heimkam.

      „Was gibt’s?“ fragte er leichthin.

      „Nicht viel. Man hat mich aus der Schule entlassen.“

      „Was? Warum denn?“

      „Weil ich jetzt Seminarist bin.“

      „Ja, Sackerlot, hast du denn bestanden?“

      Hans nickte.

      „Gut?“

      „Ich bin der Zweite geworden.“

      Das hatte der Alte doch nicht erwartet. Er wußte gar nichts zu sagen, klopfte dem Sohn fortwährend auf die Schulter, lachte und schüttelte den Kopf. Dann öffnete er den Mund, um etwas zu sagen. Doch sagte er nichts, sondern schüttelte nur wieder den Kopf.

      „Donnerwetter!“ rief er schließlich. Und noch einmal: „Donnerwetter!“

      Hans stürzte ins Haus hinein, die Treppen hinan und auf den Dachboden, riß einen Wandschrank in der leerstehenden Mansarde auf, kramte darin herum und zog allerlei Schachteln und Schnurbündel und Korkstücke heraus. Es war sein Angelzeug. Nun mußte er vor allem eine schöne Rute dazu schneiden. Er ging zum Vater hinunter.

      „Papa, leih mir dein Sackmesser!“

      „Zu was?“

      „Ich muß eine Gerte schneiden, zum Fischen.“

      Der Papa griff in die Tasche.

      „Da,“ sagte er strahlend und großartig, „da sind zwei Mark, du kannst dir ein eigenes Messer kaufen. Geh aber nicht zum Hanfried, sondern drüben in die Messerschmiede.“

      Nun ging’s im Galopp. Der Messerschmied fragte nach dem Examen, bekam die frohe Botschaft zu hören und gab ein extraschönes Messer her. Flußabwärts, unterhalb der Brühelbrücke, standen schöne, schlanke Erlen- und Haselstauden, dort schnitt er sich nach langem Auswählen eine fehlerlose, zäh federnde Rute und eilte damit nach Hause zurück.

      Mit gerötetem Gesicht und glänzenden Augen ging er an die fröhliche Arbeit des Angelrüstens, die ihm fast so lieb wie das Fischen selber war. Den ganzen Nachmittag und Abend saß er darüber. Die weißen, braunen und grünen Schnüre wurden sortiert, peinlich untersucht, geflickt und von manchem alten Knoten und Wirrwarr befreit. Korkstücke und Federkiele in allen Formen und Größen wurden probiert oder neu geschnitzt, kleine Bleistücke von verschiedenem Gewicht in Kugeln gehämmert und mit Einschnitten versehen, zum Beschweren der Schnüre. Dann kamen die Angelhaken, von denen noch ein kleiner Vorrat da war. Sie wurden teils an vierfachem schwarzen Nähfaden, teils an einem Rest Darmsaite, teils an zusammengedrehten Roßhaarschnüren befestigt. Gegen Abend war alles fertig und Hans war nun sicher, in den langen sieben Ferienwochen keine Langeweile haben zu müssen, denn mit der Angelrute konnte er ganze Tage allein am Wasser zubringen.

       Inhaltsverzeichnis

      So müssen Sommerferien sein! Über den Bergen ein enzianblauer Himmel, wochenlang ein strahlend heißer Tag