»Was wollte sie?«
»Zwei Betten und einen Tisch versetzen. Da ich aber diese Sachen bei ihnen lassen sollte, konnte ich nichts geben.«
»Hatten Sie nichts Anderes?«
»Nein. Es ist Alles bereits bei mir.«
»Der Fall geht mich nichts an. Der vorherige aber desto mehr. Also, Salomon Levi, was sagst Du aus, wenn Du dem Riesen gegenüber gestellt wirst?«
»Ich sage, daß er unschuldig ist. Der wirkliche Einbrecher sah ihm täuschend ähnlich, hat aber ein großes rothes Maal auf der rechten Wange. Ist's so richtig?«
»Ja, so ist es richtig. Dabei bleibt Ihr Beide, Du und Rebecca, das Weib Deines Herzens!«
»Verlasse Dich darauf, Hauptmann!«
»Das thue ich. Denkt an meine Macht! Der Ungehorsam gegen mich würde Euch verderben. Wie Du bereits bemerkt hast, kenne ich Alles, sogar die verborgensten Geheimnisse Deines Hauses. Ihr seid Tag und Nacht unter meiner schärfsten Aufsicht. Jeder meiner Leute wird auf das Strengste bewacht. Darum nehmt Euch in Acht. Laßt mich jetzt hinaus! Und daß es Euch nicht einfällt, mir nachzublicken oder gar mir nachzufolgen!«
Er ging, ohne die Maske eher abzunehmen, als bis er aus dem Kreise ihres Lampenscheines war. Der Jude führte ihn hinaus. Als er zurückkam, stellte er sich vor die beiden Frauen hin, schlug die Hände zusammen und sagte:
»Gott der Gerechte! Welch' ein Abend! Ist der Hauptmann bei uns gewesen! Haben wir ihn gesehen stehen hier grad vor uns und gehört den Klang seiner Stimme!«
»Aber wir kennen ihn nicht!« meinte Judith.
»Nein, wir kennen ihn nicht! Hat er doch auf dem Gesichte getragen eine Maske, und ehe er sie aufsetzte, da saß er hier und – – –«
»Er saß erst ohne Maske hier?« unterbrach sie ihn schnell.
»Ja.«
»So mußt Du doch sein Gesicht gesehen haben!«
»Nein. Er hat sich gesetzt in das Finstere. Ich sah nur einen großen schwarzen Bart und zwei Augen, welche leuchteten wie die Augen einer Katze, wenn sie will beißen eine Maus. Er war die Katz' und ich die Maus!«
»Wer mag es sein? Er hat nicht die Sprache und das Wesen eines gewöhnlichen Mannes.«
»Nein; er ist ein vornehmer Mann. Es kann auch gar nicht anders sein, als daß der Hauptmann gehört zu den Leuten, welche sich bewegen in den Kreisen, welche man nennt fein und gebildet. Aber, wie kamst Du zu uns, Judith, mein Tochterleben?«
»Sarah Rubinenthal ist droben bei mir auf Besuch. Ich kam herab, um Mutterleben zu senden nach Chocolade, welche ich der Freundin vorsetzen wollte.«
»So will ich gleich eilen, zu holen Chocolade!« meinte die Alte.
»Und ich will mich sputen, einzutragen die Nummern von diesen fünf Hundertthalerscheinen in das Buch der Kasse. Sie sind sehr leicht verdient,« bemerkte der Alte.
»Und ich werde zur Freundin zurückkehren. Sie wird mich mit Sehnsucht erwarten,« sagte Judith.
»Warum mit Sehnsucht?« fragte der Vater.
»Weil wir sind beschäftigt, zu lesen und zu declamiren aus dem herrlichen Buche, welches hat geschrieben Hadschi Omanah, der berühmte Dichter des Morgen- und Abendlandes.«
»Immer lies, mein Tochterleben! Judith, die einzige Erbin von Salomon Levi wird einst erhalten eine Million. Sie soll haben Geist und Bildung, um zu heirathen einen Grafen, und zu erfreuen mit Stolz das Herz ihres Vaters!«
Das Mädchen ging. Sie stieg die enge Treppe empor und trat dann in ein kleines, einfensteriges Stübchen, welches wirklich allerliebst und gar nicht nach der bekannten, jüdisch überladenen Manier ausgestattet war.
Dort saß am Tische ein Mädchen, vielleicht zwanzig Jahre alt, aber klein, häßlich und ausgewachsen. Aber wie man grad unter den Häßlichen und Buckeligen oft recht geistreiche Menschen findet, so hatte auch dieses von der Natur äußerlich so kärglich bedachte Mädchen ein herrliches Augenpaar, aus dem eine Seele leuchtete, deren der Körper nicht würdig war.
Man macht oft die Erfahrung, daß schöne Mädchen sich ihre Lieblingsfreundin grad unter den Häßlichen suchen. Ist es nur deshalb, weil dadurch ihre Vorzüge eine besondere Folie erhalten, oder hat dies einen anderen, tiefer zu suchenden Grund – so auch hier.
Judith legte das Tuch ab, und nun stand sie im Scheine der Lampe da in einer Schönheit und Herrlichkeit, welche einen Makart in Entzücken versetzt hätte. Groß und voll gebaut, von stolzer Haltung und wahrhaft gebieterischem Gesichtsschnitte, zeigte sie jene Schönheit, welche der Jugend ihres Stammes zu eigen ist, aber leider rasch zu vergehen pflegt, in ihrer ganzen Glorie. Sie hieß Judith, und sie war eine Judith. Wie mag sich Hebbel in seinem classischen Schauspiel die Judith gedacht haben? Welches Bild mag den Malern und Bildhauern, welche sich an dieses Problem wagten, vorgeschwebt haben? Sie hätten hier dieses Mädchen sehen sollen, und sicherlich wären sie einstimmig in den entzückten Ruf ausgebrochen:
»Ja, das ist die wahre Judith, das muthvolle Weib, die Mörderin des Holofernes, die Retterin ihrer Heimat, welche selbst ihre Tugend zum Opfer brachte, um den Ihrigen das abgeschlagene, blutige Haupt des Feindes zu bringen.«
»War ich Dir zu lange?« fragte sie.
Dabei klang ihre Stimme ganz anders als vorher da unten in der Gerümpelstube. Der Klang war ein so schwesterlicher, traulicher, wohlthuender.
»Wohl nicht,« antwortete die Freundin. »Aber da wir dieses Gedicht lasen, mußte ich warten, und deshalb ist es mir fast recht lang geworden.«
»So laß uns weiter lesen! Ist es nicht, als habe dieser Hadschi Omanah in unsere Herzen geblickt, um dann unsern Gefühlen, Wünschen und Gedanken diese glanz- und prunkvollen Reime zu geben?«
»Ja,« antwortete die Freundin nachdenklich. »Er muß ein hochgeborener Mann sein; an seiner Wiege hat das Glück gesessen, sonst wäre ihm diese Pracht und Herrlichkeit fremd geblieben. Die Worte, in welche er seine Gedanken kleidet, gleichen funkelnden Brillanten, welche in allen Farben und Nuancen schimmern und flimmern. Keiner dieser Diamanten und Smaragden, Rubinen und Saphiren hat eine falsch geschliffene Facette. Es ist alles so werthvoll, echt und schwer, wie es eigentlich nur ein König, ein Kaiser tragen kann.«
Bei dieser begeisterten Lobrede schüttelte Judith leise und langsam den Kopf.
»Vielleicht findet gerade das Gegentheil statt,« sagte sie. »Viele Dichter und Schriftsteller schreiben gerade über das, was ihnen am Allerfernsten liegt, am Allerliebsten. Ein Prinz schreibt gern Dorfgeschichten, ein Melancholikus gern Humoresken, und ein Literat, welcher mit dem Hunger kämpft, wagt sich an das Höchste und Beste, was der Mensch zu erreichen vermag. Er träumt, es im Besitz zu haben; seine Phantasie schmückt es mit allen irdischen Werthen und Schönheiten; er fühlt sich während des Schreibens als Glücklichster der Sterblichen und sinkt, wenn er die Feder fortlegt, dem Knochengespenste des Hungers und des Elends wieder in die Arme.«
Sie ahnte nicht, wie Recht sie in diesem Falle hatte. Aber ihre Freundin sagte:
»Daran glaube ich hier nicht. Wer sich zu solcher Höhe emporzuschwingen vermag, muß auch schon auf Erden hoch Fuß gefaßt haben. Höre nur hier, wo er von dem Suchen nach Gott spricht!«
Sie nahm das Buch zur Hand und las begeistert vor:
»Schwingt Euch hinauf in jene Fernen,
Zum großen Weltenozean;
Lest in den Sonnen, in den Sternen!
Sie zeigen Euch des Ewgen Bahn.
Dort oben kann kein Zweifel walten,
Wie hier in Wort und Buch und Schrift.
Dort muß der Geist sich frei entfalten,
Bis er auf seinen Urquell trifft!« –
»Kann