»Sie wird ihrem bisherigen Banquier nicht mehr trauen und sich einen anderen engagirt haben.«
»Und ist es blos auf das Geld abgesehen?«
»Nein, auch auf sie. Diese vier Kerls, welche ich mir auserwählt habe, sind wahre Teufel. Sie werden diese gute, stolze Cousine erst der Reihe nach umarmen und dann – hm, sprechen wir lieber nicht davon!«
Da erhob sie sich in der Wanne, streckte die Arme aus und rief:
»Das ist eine Rache! Endlich, endlich! Was gäbe ich darum, dabei sein zu können, wenn sie in den Armen dieser Menschen erwacht. Und dann – ich glaube, wir werden sie beerben, da man noch nichts gehört hat, daß sie ein Testament gemacht habe.«
»Natürlich werden wir sie beerben. Darum habe ich ja auch auf mein Antheil verzichtet. Diese Vier werden sich in die fünfzigtausend Thaler theilen. Sie sprangen vor Freude auf, als ich ihnen das sagte.«
»Und in das Andere auch, was sie außerdem mitnehmen?«
»Nein. Sie dürfen keine Stecknadel mitnehmen. Ich habe ihnen die angegebene Summe und die Persönlichkeit der Cousine versprochen, mehr nicht. Und sie wissen, das ich selbst den kleinsten Ungehorsam mit dem Tode bestrafe.«
»Mensch! Mann! Franz! Ich möchte Dich umarmen und küssen, wenn das Küssen zwischen uns noch in Gebrauch wäre! Sollte sie heute ja bei Hellenbach's sein, so werde ich sie lebendig also das letzte Mal sehen?«
»Das letzte Mal.«
»Und Du kannst wirklich nicht mit mir? Das ist jammerschade! Wir könnten uns in Gemeinschaft an ihrem Anblicke weiden! Uebrigens entgeht Dir ein höchst interessanter Genuß.«
»Will die junge Hellenbach etwa wieder ein selbst komponirtes Clavierstück vortragen?«
»Ich weiß nichts davon, halte übrigens ihre Musikliebe wirklich nicht für so ein Unding wie Du. Sie hat Talent, sogar viel Talent, wie selbst große Kenner versichern. Und außerdem ist sie eine Schönheit ganz eigener Art.«
»Das mag sein, rührt mich aber nicht. Also was ist es denn sonst für ein so interessanter Genuß, der Dich erwartet?«
»Der berühmteste Mann der hiesigen Gegenwart ist geladen. Ob er aber erscheinen wird, daß weiß man nicht.«
»Der berühmteste – – –? Du meinst doch nicht etwa diesen geheimnißvollen Fürsten von Befour?«
»Gerade diesen!«
»Nun, so verzichte nur! Er lebt bereits seit sechs Monaten hier, aber in so tiefer Einsamkeit, daß ihn höchstens erst sechs Augen erblickt haben. Gesprochen hat ihn noch Niemand.«
»O doch! Hellenbach hat ihn im Coupee getroffen.«
»Auf der Bahn? Und auch mit ihm gesprochen?«
»Ja. Er versichert, daß der Fürst ein außerordentlich liebenswürdiger Gesellschafter sei, ein Weltmann von seltener Vollendung sogar. Darauf hin hat er es gewagt, ihn für heute einzuladen.«
»Das ist allerdings geradezu ein Ereigniß für unsere Aristokratie. Erscheint der Fürst bei Hellenbach, so wird er sich auch weiteren Bekanntschaften nicht länger entziehen können. Daher glaube ich, daß er abgelehnt haben wird.«
»Du wirst es noch heute erfahren, wenn Du mich besuchst.«
»Bleibst Du wach, bis ich komme?«
»Wenn Du es wünschest, ja. Wann kommst Du nach Hause?«
»Spät nach Mitternacht erst.«
»Ich werde dennoch warten, denn ich hoffe dann auch zu erfahren, wie das Unternehmen gegen die Cousine abgelaufen ist.«
»Das kann ich Dir allerdings mittheilen. Jetzt adieu!«
Er ging. Sie erhob sich aus dem Bade und klingelte dem Mädchen, um große Gesellschaftstoilette zu machen. –
Herr Seidelmann hatte vorhin seinen Ueberzieher mit Hilfe des Dieners wieder angezogen und begab sich dann an diejenige Stelle des Marktes, an welcher Droschken zu halten pflegen. Er ließ sich von einer solchen nach einer jener engen, traurigen Gassen bringen, in welchen das Elend, die Armuth und die Noth ihre Heimstätten aufgeschlagen haben. Und doch lag diese Gasse, Wasserstraße genannt, weil sie nach dem Flusse führte, nicht etwa am Ende der Stadt, sondern im regsten Innern derselben.
Der Kutscher hielt vor dem bezeichneten Hause, wurde abgelohnt und fuhr zurück. Herr Seidelmann trat ein.
Das Gebäude machte keinen freundlichen Eindruck. Es war schmal, hatte drei Stock und ein Mansardendach. In dem Flur brannte ein Gasflämmchen, welches ein elendes Irrlichtleben fristete, da man den Hahn der Leitung aus Sparsamkeitsrücksichten nur halb geöffnet hatte.
Ebenso war es auf den schmalen Treppen, welche viel eher Stiegen genannt werden sollten. Herr Seidelmann arbeitete sich bis in das dritte Stockwerk empor. Dort stand an einer Thür, auf ein angeklebtes Papier in kalligraphisch schönem Canzlei geschrieben: ›Robert Bertram, Privatsecretär‹. Ein elender, abgegriffener Klingelzug hing daneben. Herr Seidelmann klingelte. Im Innern erscholl ein trockener, fürchterlicher Husten; dann wurde die Thüre von einem kleinen Mädchen geöffnet. Herr Seidelmann trat ein.
Das, was er sah, bot einen Anblick der bittersten Armuth, ja des Elends. Ein Tisch war an die Wand geschoben, weil er nur drei Beine hatte, das vierte war abgebrochen. Zwei Stühle, welche einst gepolstert gewesen waren, eine Waschwanne, einiges Geschirr auf der Ofenbank, ein verblichener Spiegel und in der einen und der anderen Ecke je ein Strohsack – das war das ganze Ameublement des sonst ziemlich großen Zimmers.
Im Ofen brannte kein Feuer; die Fenster waren fingerdick mit Eis belegt, und die Kälte dieser Wohnung erreichte fast diejenige, welche auf der Straße herrschte.
Und doch war alles blank und sauber. Dieses Elend wurde verklärt durch jene Reinlichkeit, welche selbst den ärmlichsten Gegenstand noch besitzenswerth erscheinen läßt.
Das Mädchen, welches geöffnet hatte, war, sobald es den Herrn Seidelmann erblickte, in eine Ecke geflohen, in welcher die anderen Kinder auf dem Strohsacke saßen, eng aneinander gedrückt, wie Sperlinge des Winters in einer Dachrinne, um sich wenigstens einigermaßen anzuwärmen.
An dem Tische, auf welchem ein kleines Rüböllämpchen qualmte, saß auf einem der beiden Stühle ein Mann, ein wahres jammervolles Bild des Todes. Er schien außer einer alten Hose gar kein Kleidungsstück zu tragen und war in ein Laken gehüllt, welches einst vielleicht ein Tafeltuch gewesen war. Man sah seine Vorderarme; es waren diejenigen eines Skelettes. Wangen schien er gar nicht zu haben, und die Augen lagen so tief in ihren Höhlen, daß sie kaum noch zu sehen waren.
Als dieser Mann den Herrn erblickte, stieß er einen Ruf aus, welcher fast ein Schreckensschrei genannt werden konnte. Er wollte sich von seinem Platze erheben, fiel aber wieder auf denselben zurück. War das vor Schwäche oder vor Angst? Das ließ sich nicht unterscheiden.
»Guten Abend, lieber Bertram! Guten Abend, ihr lieben Kinderchen!« grüßte der Eingetretene in salbungsvollem Tone. »Erschreckt nicht! Der Vorsteher der Schwestern- und Brüdergemeinde ›die Seligkeit‹ ist bei seinem Kommen die aufflammende Leuchte an einem dunklen Orte.«
Ein lang andauerndes Husten des Kranken verhinderte den Sprecher, seiner Rede eine größere Länge zu geben. Dann fragte er: »Darf ich erfahren wie es Ihnen geht, lieber Bertram?«
»Schlecht, wie immer, Herr Seidelmann!« hustete der Mann.
»Das dürfen Sie nicht sagen! Wen Gott lieb hat, den züchtigt er; er stäupet aber einen jeglichen Sohn, den er aufnimmt. Wenn Sie wirklich Noth leiden, so ist diese Ermahnung zur Buße ein Zeichen, daß der Allbarmherzige Euch vergeben will.«
»Vergeben?« stieß der Kranke hervor. »Was habe ich gesündigt?«
»Wir sind allzumal Sünder und ermangeln des Ruhmes, den wir haben sollen. Wer seine