»Guten Morgen, Herr Wachtmeister,« lautete die Antwort.
Der Gefangene gab dieselbe, indem er sich höflich erhob und der Thüre näherte.
»Wann werden Sie mit dem Kaffee fertig sein?«
»Nur noch einen Schluck.«
»Na, so eilig ist es nicht. Aber halten Sie sich bereit, in einer Viertelstunde in meine Expedition zu kommen!«
»So früh? Liegt vielleicht etwas Neues, Unerwartetes vor?«
»Allerdings!«
»Was meiner Angelegenheit eine andere Wendung geben wird?«
»Ja.«
»Eine bessere?«
»Ich freue mich, Ihnen das bestätigen zu können.«
»Gott sei Dank! Endlich, nachdem bereits das Todesurtheil gefällt ist, scheint die Vorsehung sich meiner erbarmen zu wollen. Ich darf wohl nicht fragen, welcher Natur dies unerwartete Ereigniß ist?«
»Sie wissen, daß Schweigen leider allzu sehr meine Pflicht ist. Nur das kann ich Ihnen sagen, daß wir eine kleine Reise unternehmen werden.«
»Nach meiner Heimath? Nach dem Orte des Verbrechens?«
»Auch hierüber muß ich schweigen.«
»Ah, ich ahne dennoch, daß es sich um eine Recognition handelt, vielleicht um eine Wiederaufnahme der Untersuchung. – Gott sei gelobt!«
Der Wachtmeister ging. Er war ein harter Mann, aber die Täuschung, welcher sich der Gefangene hingab, flößte ihm doch einiges Mitleid ein. Als der Gefangene nach der angegebenen Zeit zu ihm gebracht wurde, stand er, ihn reisefertig erwartend, in seiner Expedition.
»Herr Brandt,« sagte er. »Sie wissen, daß Sie zum Tode verurtheilt sind –«
»Leider weiß ich das nur allzu gut!« antwortete der Unglückliche.
»Sie kennen wohl auch die Strenge meiner Verpflichtung. Sehen Sie her! Es thut mir leid, aber ich kann es nicht ändern!«
Er brachte ein Paar Handschellen zum Vorschein. Ueber das Gesicht Brandt's flog eine schnelle Röthe. Seine Augen leuchteten zornig auf, doch mäßigte er sich und sagte in höflichem Tone:
»Können Sie mir diese Demüthigung wirklich nicht erlassen?«
»Nein. Ich bin instruirt, sie zu fesseln.«
»Aber ich werde Ihnen nicht entschlüpfen!«
»Ich habe mich auf alle Fälle sicher zu stellen!«
»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, mein heiliges Ehrenwort, daß ich Ihnen nachlaufen werde wie ein Hund.«
»Ich kann nicht; ich darf nicht!«
»Herr Wachtmeister, Sie wissen, daß ich hier in der Residenz angestellt war, daß Viele, sehr Viele mich kennen. Welch eine Demüthigung für mich, wenn man auf dem Bahnhofe mit Fingern auf mich zeigt.«
»Wir werden uns so setzen oder stellen, daß man uns gar nicht bemerken wird.«
»Und diejenigen, welche mit in dem Coupee sitzen!«
»Als Transporteur eines Gefangenen habe ich nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, ein Einzelcoupee zu verlangen!«
»Also ist es Ihnen auf alle Fälle unmöglich, mich von den Fesseln zu dispensiren?«
»Ja. Selbst wenn meine Extrainstruction nicht so lautete, würde ich Sie fesseln; ich bin es so gewöhnt; ich bin stets vorsichtig!«
»Dann haben Sie weder ein Herz noch ein Gefühl für Ehre und Ehrenwort! Die Freundlichkeit, die Sie mir bisher gezeigt haben, ist nur Schein gewesen. Sie haben, um sich und Ihren Schergen den Dienst zu erleichtern, mich, den Mörder, den gefährlichen Menschen, bei guter Stimmung erhalten wollen –!«
»Oho!« fiel da der Wachtmeister ein. »Sind Sie der Vorgesetzte hier, oder bin ich es?«
»Keiner von uns Beiden ist es. Sie stehen nicht über mir, und ich nicht unter Ihnen. Ich befinde mich nur in Ihrer Obhut, und Sie haben mich zu bewachen. So ist unser Verhältniß.«
»Ja, so ist es allerdings! Und ich werde Sie streng, sehr streng bewachen, darauf können Sie sich verlassen. Her mit den Händen!«
Brandt streckte ihm, im höchsten Grade aufgebracht, die Hände entgegen und sagte:
»Hier sind sie! Nun ich sehe, daß alle Ihre Freundlichkeit nur Falschheit war, daher glaube ich auch nicht, was Sie mir heute oben in meiner Zelle sagten. Die Veränderung, welche meine Lage erleiden soll, ist jedenfalls keine gute. Entweder werde ich jetzt auf das Schafott geführt, oder nach dem Zuchthause, zu welchem man mich ohne meine Einwilligung begnadigt haben mag. In beiden Fällen erhebe ich Ein- und Widerspruch. In beiden Fällen werde ich den äußersten Widerstand leisten!«
»Versuchen Sie es!« meinte der Beamte höhnisch, indem er die Hände des Gefangenen mit den Eisenringen umschloß.
Brandt warf den Kopf empor wie ein Löwe, welcher gereizt wird, und sagte mit erhobener Stimme:
»Ich gab Ihnen mein Ehrenwort, Ihnen zu folgen wie ein Hund seinem Herm. Nun Sie mein Ehrenwort zurückgewiesen haben und mich wie ein wildes Thier der Bewegung berauben, sage ich Ihnen mit aller Aufrichtigkeit, daß ich Ihnen entspringen werde wo und sobald sich mir die Gelegenheit dazu bietet!«
»Sie werden damit nichts Anderes erreichen als nur eine Verschlimmerung Ihrer Lage. Wir sind fertig. Kommen Sie!«
Sie traten den Weg nach dem Bahnhofe an. Dort angekommen, löste der Wachtmeister die Billets mit so leiser Stimme, daß der Gefangene das Ziel der Reise unmöglich verstehen konnte.
Der Beamte zog es vor, sich mit seinem Manne an einer weniger erleuchteten Stelle des Bahnhofes aufzustellen. Er wollte nicht in das Wartezimmer treten. Er hatte, um Brandt's ganz und gar sicher zu sein, diesem eine starke Schnur um den Leib gebunden und hielt die Enden derselben in der Hand. Aber trotz dieser doppelten Fesselung überkam es ihn doch wie eine nicht ganz leichte Sorge. Der Gefangene hatte im höchsten Zorne gesagt, daß er den äußersten Widerstand leisten und jede Gelegenheit zur Flucht ergreifen werde. Er trug zwar die Handschellen und war an die Schnur befestigt; aber was konnte nicht unterwegs im stillen, einsamen Coupee passiren. Brandt konnte wenigstens einen Angriff, einen Fluchtversuch wagen, und wenn derselbe auch nicht gelang, so war es für den Wachtmeister doch leicht möglich, eine Verletzung davon zu tragen.
Und wer ist allwissend? Wie viele und wie ungeahnte Fälle konnten eintreten, welche dem Gefangenen günstig waren, während der Beamte ihnen ungerüstet gegenüberstand!
Ja, wenn ein starker und zuverlässiger Mann zu finden wäre, welcher sich erbitten ließ, die Reise in solcher Gesellschaft zu machen!
Kam dieser Gedanke in Folge der vorherigen Ueberlegungen? Kam er unwillkürlich? Oder war er eine indirecte Folge des Umstandes, daß ein starker Herr langsam auf dem Perron hin- und herschriitt und zuweilen, scheinbar ohne sie nur zu bemerken, an den Beiden vorüberging? Der Wachtmeister konnte sich diese Frage nicht beantworten; aber als der Fremde wieder ganz nahe gekommen war, trat er mehr instinctiv als infolge eines klaren Entschlusses einen Schritt auf ihn zu und sagte:
»Entschuldigung, mein Herr! Wohin fahren Sie?«
»Nach Blankenwerda,« lautete die rasche, kurz entschlossene Antwort.
»Ah, das ist auch meine Richtung! Dritter Classe, wenn ich fragen darf?«
»Dritter!«
»Haben Sie Reisecollegen?«
»Nein.«
»Erlauben Sie, mich Ihnen vorzustellen! Ich bin Wachtmeister beim königlichen Landesgericht.«
»Ich bin Viehhändler, mein Herr, habe aber auch als Wachtmeister gedient, nämlich bei den Kürassiren.«
»So