Gerade die Offenheit, mit der er gleich zu Anfang von seinen Verhältnissen gesprochen hat, obenhin, wie ein Mann, der sich seines Wertes bewußt ist, auch wenn er keine Hunderttausende zur Verfügung hat, und der doch mit einer gewissen Ängstlichkeit bestrebt ist, keine falschen Ansichten über seine Verhältnisse aufkommen zu lassen — gerade das hat sie nur noch mehr für ihn eingenommen.
Seine Mutter ist eine geborene Fürstin Dolgoruki gewesen. Andere hätten vielleicht versucht, damit Eindruck zu machen, aber Feras hat es nur einmal leichthin erwähnt, mit einem nachsichtigen Lächeln, das über Adelsstolz und äußeren Glanz erhaben schien. Immer ist sein Gesichtsausdruck beherrscht, vornehm verhalten, überlegen. Nur einmal hat Sylvia Gauda dieses Gesicht dunkel gesehen vor Haß. Das war auch hier im Kaiserhof, sogar an demselben Tisch. Ein Herr war da eingetreten und hatte sich breit und aufdringlich an einen der kleinen Tische dicht unter dem Podium des Kabaretts gesetzt, ein Mann, dem der Abendanzug am Leibe saß wie ein unbequemer Panzer, ein Mann mit einem gemeinen, widerlich groben Gesicht.
„Wenn dieser — Herr da nicht wäre, könnten wir glücklich sein,“ hat Las Feras dann gesagt, und seine aristokratisch lange Hand hat sich auf dem Tischtuch geballt.
„Der da drüben?“ Sylvia hat überrascht den Mann angesehen und wiedererkannt. „Das ist merkwürdig. Der war neulich bei uns in der Bank. Ich mußte ihn beim Chef, bei Geheimrat Herkrath persönlich, melden. Er heißt … wart’ mal … es war ein russischer Name.“
„Er ist auch Russe. Es gab eine Zeit, da war er der Hausverwalter meiner Mutter.“
„Aber du sagst, wenn er nicht wäre …?“
Da hat Las Feras ihr zögernd die Geschichte erzählt:
„Seine Mutter war nach dem Tode ihres Mannes, kurz vor dem Kriege, in ihre russische Heimat zurückgekehrt. Beim Ausbruch der Revolution lag sie krank auf ihrem Landgut im Kaukasus. Alles wurde ihr von den Roten genommen, das Palais in Petersburg, das Landhaus, die Güter im Gouvernement Twer. Aber ihre Juwelen, besonders das kostbare Diadem, das noch aus der Zeit des Zarenbefreiers stammte, konnte sie in Sicherheit bringen. Selbst eine halbe Gefangene, hatte sie in den Tagen höchster Not die Juwelen dem Hausverwalter Jussow anvertraut, der sie außer Landes bringen sollte.
Da Ilina Feodorowna Dolgoruki durch ihre Heirat mit Las Feras portugiesische Staatsangehörige geworden war, hatte das große Blutbad sie verschont. Mit Hilfe der portugiesischen und englischen Gesandtschaft erhielt sie endlich die Erlaubnis, Rußland zu verlassen. Den Tod im Herzen, kam sie in Paris an, und wenige Monate später starb sie dort. Auch Jussow tauchte eines Tages in Paris auf, behauptete aber, von den Juwelen nichts zu wissen. Er habe zwar gewisse Wertstücke in Verwahrung, aber die seien ihm von dem Grafen Nebridow, einem Nachbarn der Fürstin Dolgoruki, anvertraut worden. Alle Versuche, ihn zur Herausgabe der Kostbarkeiten zu bewegen, blieben erfolglos. Jussow blieb bei seiner Behauptung und weigerte sich entschieden, die Sachen herauszugeben. Graf Nebridow aber konnte nicht mehr sprechen. Er schlief längst in irgendeinem Grab im fernen Rußland.
„Ich habe ein kleines Vermögen für Rechtsanwälte und Detektive ausgegeben,“ hat Las Feras düster geschlossen. „Es ist nichts zu machen. Ich habe keine Beweise, daß die Juwelen das Eigentum meiner Mutter sind. Und Jussow ist schlau wie ein Fuchs. Er hat anscheinend nur einige kleinere Stücke zu Geld gemacht, so daß er gerade davon leben kann. Die eigentlichen Wertstücke hat er vorläufig nicht angetastet. In Paris hat er sie zuerst beim ‚Credit Lyonnais‘ deponiert. Seitdem er nach Deutschland übergesiedelt ist, hat er — ich weiß das genau — ein Safe in der ‚Westbank‘ gemietet. Aber beizukommen ist ihm nicht. Könnte ich ihn zwingen, mein Eigentum herauszugeben, so … Ich selbst brauche keine Reichtümer. Ich pfeife auf das Geld, wenigstens auf das überflüssige Geld. Aber seitdem ich dich kenne, Sylvia, sehe ich rot, wenn ich nur an den Kerl denke. Hätte ich das Diadem meiner Mutter, so könnte ich dir das Leben bieten, auf das du Anspruch hast!“
Später haben sie noch manchmal davon gesprochen. Las Feras besaß ein kleines Bankkonto. Er wohnte im Hotel du Nord und lebte anständig, ohne großen Luxus. Aber Sylvia merkte, er litt unter dem Zwang, sich einschränken zu müssen, wenn er mit ihr zusammen war. Manchmal sprach er auch davon, daß er neue Versuche gemacht habe, zu seinem Recht zu kommen, daß aber sein Anwalt selbst so gut wie keine Hoffnung mehr gebe.
Hernando Las Feras war ein stattlicher Mann von vollendeten Formen, ein Mann, an dessen Seite man sich mit Stolz sehen lassen konnte. Sylvia zweifelte nicht, daß er sie liebte. Sylvia, die sonst ohne Schwierigkeit allzu zudringliche Huldigungen abzuwehren verstand, ist seinem Zauber rettungslos verfallen.
Las Feras ist ritterlich, zartfühlend und sucht ihr jeden Wunsch zu erfüllen, soweit er kann. Aber das ist es eben: Sie weiß, er kann nicht alles, was er will. Darum ist es so schwer, ihn um Geld zu bitten.
„Sehr gute Arbeit!“ Las Feras wendet einen Augenblick das herrische Gesicht von der Bühne ab und Sylvia zu. „Welche Summe von zäher Kleinarbeit, Fleiß und Energie steckt hinter diesen Akrobatennummern! Die Leute verdienen ihr Brot wahrhaftig im Schweiße ihres Angesichts.“
„Aber sie verdienen wenigstens.“ Sylvia hat, ihren eigenen Gedanken nachhängend, die Vorführung kaum beachtet. „Ich würde gern ebenso halsbrecherische Kunststücke machen, wenn ich dadurch viel Geld verdienen könnte.“
Las Feras lächelt nachsichtig. „Ich glaube, du überschätzt das Einkommen der Artisten, Liebe. Übrigens: Findest du das Programm mittelmäßig?“
„Nein. Warum?“
„Pardon, ich dachte, weil es dich anscheinend nicht interessiert. Oder hast du Unannehmlichkeiten gehabt?“
Nun ist es an der Zeit. Sylvia überlegt blitzschnell noch einmal, ob sie nicht doch lieber die Hilfe der Schwester annehmen soll. Es ist so beschämend, so erniedrigend, Hernando um Geld zu bitten. Aber eben jetzt sieht er sie so verständnisvoll gütig und besorgt an und — sekundenlang taucht das herbe Antlitz Helens vor ihr auf, die strengen Augen, der wahrhaftige Mund, der unumwunden jedes Ding ehrlich beim Namen nennt, ohne auf irgendwelche Gefühle Rücksicht zu nehmen. —
„Ich bin in einer verzweifelt peinlichen Lage,“ stößt Sylvia rasch hervor, als wollte sie sich selbst den Rückzug abschneiden. „Bitte, lies diesen Brief, Hernando!“
„Nicht sehr liebenswürdig in der Form,“ stellt Las Feras mit hochgezogenen Brauen fest und gibt Sylvia das Schreiben der Firma Bendler & Croy zurück. „Solchen Krämerseelen fehlt nun einmal jedes Taktgefühl. Aber ich nehme an, die Leute werden mit sich reden lassen.“
„Wie denn?“ Sylvia faltet in nervöser Hast den Brief wieder zusammen. „Ich habe leider keine Ahnung, wie ich die Rechnung begleichen soll.“
„Das ist doch sehr einfach. Du bist bei einer angesehenen Bank angestellt. Wenn deine monatlichen Abzahlungen auch naturgemäß nur gering sein können, wird sich die Firma lieber mit dir vergleichen, als die Schuld einklagen und dabei Gefahr laufen, gar nichts zu erhalten. Du brauchst den Leuten nur eine Sicherheit zu bieten, daß die Raten pünktlich gezahlt werden.“
„Was für eine Sicherheit denn?“
„Nun — etwa so, daß du die Firma ermächtigst, die Raten direkt von der Bank einzuziehen und dein Monatsgehalt damit zu belasten.“
„Dann müßte ich meinem Chef beichten!“ Sylvia flutet ein heißes Rot über die Wangen. „Das kann ich nicht, Hernando! Geheimrat Herkrath ist ein Ekel! Ich habe dir ja schon erzählt, wie er mich behandelt. Immer hat er etwas auszusetzen, zu mäkeln, zu knurren. Nicht einen freundlichen Blick hat er mir gegönnt, seitdem ich als Sekretärin in seinem Vorzimmer sitze. Wenn nicht Gerhard Lenneberg mich empfohlen hätte, wäre ich bestimmt