„Und Sie wohnen hier und haben da Ihr Haus?“ Das Fräulein schüttelte bedauernd den hübschen gebräunten, nur von der Wölbung des Tropenhelms beschatteten Kopf. „Und sind gewiss Direktor einer Baumwollspinnerei oder Rohzuckerfabrikant, weil Sie dabei so ungläubig lächeln!“ Sie wurde lebhafter. „Fabrikanten — die kenn’ ich nämlich! Die lächeln immer, wenn Plus und Minus nicht glatt aufgeht. Eine Rechnung, die stimmt — die ist nämlich falsch, sagt Mrs. Adams!“
„Sehr richtig!“
„Das sagen Sie auch?“
„Ich bin auch nicht des Geldverdienens wegen am Nil!“ sprach ich freundlich. „Ich bin Privatgelehrter! Gelehrter, gnädiges Fräulein — nicht Geisterseher!“
Das junge Mädchen zuckte die Achseln.
„Ach — ohne das wäre die Welt furchtbar langweilig!“ sagte sie. „Da lohnte es sich ja gar nicht erst, aus Europa wegzugehen. Es ist bei mir schon das zweite Mal. Ich war schon einmal in Peru, bei den Inkas. Das war fein. Da war ich Sekretärin und Photographin bei einer ganz kleinen deutschen wissenschaftlichen Expedition. Ich erzähle es Ihnen nur, weil Sie Gelehrter sind!“ Sie schirmte das kluge, junge Augenpaar mit der Hand und reichte sie mir dann mit einem kräftigen Druck. „Also da geht’s hinaus ins Freie? Danke schön! Ich bin ja so wahnsinnig gespannt auf Ägypten. Alexandrien — das war ja noch nichts Rechtes!“
Sie wanderte davon. Sie hatte einen ein wenig wiegenden flotten Gang und trug dabei den Kopf im Nacken. Ich schaute ihr nach, wie sie durch die vor Hitze zitternde Luft gross und schlank dahinschritt. Meine Frau blickte aus dem Fenster und frug lachend: „Na — du alter Schwerenöter — wer war denn das hübsche, dunkeläugige Mädel, wegen der du dir beinahe den Sonnenstich geholt hast?“
„Ja. Ich weiss nicht! Jedenfalls ein abenteuerliches Menschenkind!“ sagte ich. „Da könnte sie sich doch jetzt eine Droschke mit einem Sonnendach nehmen. Nein! Sie schlägt doch wahrhaftig in der prallen Mittagsglut zu Fuss den Weg nach dem Karnaktempel ein! Na — dort kann sie gerade heute was erleben! Heute ist da ja ein ganz besonderer Abend. Da werden alle Nilgeister lebendig!“
4
Bericht Arthur Nothombs an die Weltpresse.
Kein härteres Ding, als augenblicklich in Luxor ein Bett zu finden! Die Ladies übernachten in Badewannen und reihenweise auf dem Bodenteppich des Drawing-Rooms, die Gentlemen auf Matratzenlagern auf den flachen Dächern. Manche schlafen sitzend in Automobilen, andere auf mondscheinbeschienenen Bänken in den Hotelparks. Man erwarte höchstens einen Stehplatz in dem Luxusexpress von Kairo! Ich möchte den Apfel sehen, der auf dem Deck der Nildampfer noch zur Erde fallen kann, wenn sie sich Luxor nähern!
Das alles Herrn Konrad Sanders zu Ehren, der den Pharao Scheschonk aus seinem vieltausendjährigen Schlaf aufrütteln will!
Wer in den kleinen und auserwählten Kreisen, die mit ihrem Geld zu ihrem Teil die Welt kontrollieren, kennt Herrn Sanders nicht, diesen vorbildlichen Gentleman zweier Erdhälften? Vor wenigen Jahren leuchtete plötzlich sein Name wie ein Meteor am Gesellschaftshimmel Amerikas und Europas auf, und man weiss nicht, was man an diesem Löwen der Salons als erstes erwähnen soll: seine glänzende Erscheinung, seinen Ruf als Sportsmann, seine Liebenswürdigkeit, sein Glück in allen Dingen, die er anfasst.
Herr Sanders ist kein Mann der grossen Menge. Aber er wird es jetzt, als der Grüftesprenger der Totenstadt von Theben, werden.
Kirchenmänner mahnen: Lasset die Toten ruhen! Hausväter meinen: Mögen die Toten die Toten begraben! Geschäftsleute fragen: Lohnt es sich, in diese Katakomben einzudringen?
Ja. Es lohnt sich. Denn dies sind keine einfachen Keller, voll von Särgen und moderndem Gebein. Dies sind unterirdische, tausendjährige Museen. Dies sind Schatzkammern aus Tausendundeiner Nacht. Dies sind märchenhafte Fundgruben für die Wissenschaft, in die Aladins Wunderlampe in der Hand des Herrn Konrad Sanders hineinleuchten will.
Der tote Pharao brauchte diesen Prunk. Denn er starb nicht. Von seinem Tod ab begann er erst zu leben. Er und seine Untertanen am Nil.
Dass dem so ist und warum dem so ist — darüber hat mich mein gelehrter hiesiger Freund, der deutsche Professor Philipp Bechtold, aufgeklärt. Er hatte die Güte, in den wenigen noch zur Verfügung stehenden Stunden diese ernstliche Frage an der Hand meiner vorläufigen Aufzeichnungen mit mir durchzusprechen, ohne sich freilich, wie er ausdrücklich bemerken möchte, mit meinen Schlussfolgerungen einverstanden zu erklären. Das ist begreiflich. Denn er ist strenger Fachmann, und wir sind Gott sei Dank leichtgläubige Kinder der Welt. Wo kämen wir hin, wenn wir al das beweisen müssten, was wir für wahr halten?
Wir hören also in meinen nun folgenden Worten eines auf Motor, Morseapparat und Schalltrichter eingestellten Globetrotters der Druckerschwärze die Stimme der vorurteilslosen Wissenschaft, die sich die Geheimnisse Ägyptens zum Ziel gesetzt hat.
Ich kenne Ägypten zu allen Jahreszeiten. Ägypten ist ein glühendes Sonnenland. Man kann Monate dort zubringen, ohne dass ein Wölkchen das flammende Blau des Himmels trübt. In einem satten Blaugrün gleissen zu beiden Seiten die fruchtbaren Niederungen. In violettem Dunst umrahmen kahle Steingerippe die riesige grüne Oasenschlange mit dem Nil als Rückgrat, die Ägypten heisst, oder brennend schwefelgelb wie sonst in dem Innern der Sahara schlägt gleich einem erstarrten Meer der Wellenschlag der Sanddünen. Alles ist ein Rausch von Farben und Feuer.
Man sollte meinen, dass unter dieser ewig heiteren Himmelswölbung ein unbeschwertes Geschlecht sich seines Lebens freuen würde, sorglose Söhne der Sonne, eins mit blauem Himmel, Spiel der Nilwogen, fächelnder Brise, wie der Lazzarone in Neapel. Nein. So lange wir um die Ägypter wissen — und wir wissen von ihnen länger in die Urzeit hinauf als von irgendeinem Volk der Weltgeschichte —, haben sie sich auf dieser schönen Gotteswelt nie recht zu Hause gefühlt. Ihre Koffer waren immer gepackt zur Reise ins Jenseits.
Sie waren ein Geschlecht gigantischer Ameisen, in ihrem praktischen Verstand, ihrer kribbelnden Geschäftigkeit, ihrer Freude an Mammutbauten die Amerikaner ihrer Zeit. Und zugleich so bigott, so weltabgewandt, so daseinsverneinend wie heute etwa noch der Dalai - Lama von Tibet und sein Land voll Mönche und Gebetsmühlen.
Sie errichteten Bauwerke, gegen die unsere Zentralbahnhöfe, Talsperren, Schwimmdocks nur Babyklappern sind. Aber diese Quadergebirge der Pyramiden waren Grabmale über einem einzigen winzigen Königssarg, und in dem Karnaktempel bei Luxor, wahrscheinlich dem grössten Bauwerk, das Menschen je auf Erden geschaffen haben, grüsst überall, wie in einem ungeheuren Vorhof zu einem andern Leben, mit seinem Schakalskopf Anubis, der Tutengott, und raunen die Hieroglyphen: „Er öffnet dir die Strasse, wenn du dich zur Unterwelt begibst!“
Die Unterwelt. Die eigentliche Welt.
Denn nach der düsteren altägyptischen Glaubenslehre ist das Menschenleben nur ein flüssiges Flackerpünktchen zwischen zwei schwarzen Unendlichkeiten. Das Erdendasein ist nur ein kurzer Traum. Man erwacht aus ihm im Sterben. Der Tod ist die Wirklichkeit. Darum heissen in den Rätselstellen der Hieroglyphen die Verstorbenen „die Lebenden“, die Häuser „Herbergen auf der Wanderschaft“, die Gräber „Ewige Wohnungen“, die Särge „Schreine des ewigen Lebens“.
Jenseits des breiten fruchtbaren Überschwemmungsgeländes des linken Flussufers lag damals und liegt heute noch in furchtbarer Einsamkeit einer wildzerklüfteten, baum- und strauchlosen, viele Hunderte von Fuss hohen Berg- und Steinwildnis die Totenstadt Theben. Nicht nur die Pharaonen fanden da ihr neues Heim. Sie hatten nur ihr eigenes „Tal der Könige“ oder eigentlich zwei in den Felsschlünden sich gabelnde, schauerlich öde Wüstenschluchten. Ziemlich entfernt davon besitzen die Königinnen ihr eigenes Schattenreich. Überall im Umkreis gähnen aus gelbem Gestein die schwarzen Pforten zu den in den Felsen gehauenen Gräbern: Massengrüfte thebanischer Priesterfamilien, Friedhöfe der hohen ägyptischen Bürokratie, Grabkammern ehrbarer Bürger, von Bestattungsgesellschaften angelegte Massenkatakomben, mit Reihenstätten rechts und links des Bergtunnels für die weniger bemittelten Mumien. Dazwischen Kapellen, zerfallene Mauern,