«Na, und?»
«Na, und?» wiederholte Erling mit saurer Miene. «Verstehst du denn nicht, was du angerichtet hast?»
«Nein...»
«Ich gehe jede Wette ein, daß Jan daraus eine ‹Affäre› machen wird. Morgen wird er hinter allen Kopenhagener Taxis mit der Quersumme siebzehn her sein.»
«Quatsch, Dicker.» Jan lachte. «Wenn ich das täte, wäre ich an Weihnachten noch nicht fertig, obwohl...»
Er schwieg plötzlich, als wäre ihm eine Idee gekommen. Dann fuhr er leichthin fort: «Laßt uns nicht mehr darüber nachdenken. Vielleicht handelte es sich nur um ein Liebespaar, das Krach bekommen hat. Gehen wir zum Butterkuchen über.»
«Gute Idee», sagte Erling und sah hocherfreut aus.
Während die vier Tee tranken und den guten Butterkuchen verspeisten, sagte Jan kaum ein Wort. Er schien gedankenversunken und sah nur einmal zur Mole hinüber, als dort der sportlich gekleidete Segler erschien, anscheinend nicht in bester Laune.
Jan erhob sich und versuchte seiner Stimme einen gleichgültigen Tonfall zu geben: «Hm, ich glaube, ich muß mir die Beine ein wenig vertreten, bin gleich wieder zurück.»
«Oje, oje!» seufzte Erling, der den mißmutigen Segler auch entdeckt hatte.
Die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, schlenderte Jan langsam über die Mole. Der Mann vor ihm blieb bei einem sehr eleganten, großen Motorboot stehen und ging an Bord.
Er war kaum in der Kajüte des Motorbootes verschwunden, als Jan sich lässig gegen einen der Pfähle lehnte, an denen das Motorboot vertäut war. Aus der Kajüte hörte er aufgeregte Männerstimmen. Einer der Männer sprach schwedisch, während die anderen offenbar Dänen waren.
«Ich habe sie nicht mehr erwischt», ertönte eine Stimme, die demnach dem Segler gehörte.
«Verflixt nochmal!» knurrte einer der anderen. «Jetzt steht unser Plan auf dem Spiel. Wie ist sie denn entkommen?»
«Sie sprang in ein Taxi.»
Der Schwede sagte erbost: «Bei solchen Vorhaben soll man nie Frauen mitmachen lassen. Ich habe euch ja gleich gewarnt.»
«Aber es war doch notwendig ... und Annie war sonst immer ein vernünftiges Mädchen.»
«Vernünftig?» echote der Schwede. «Frauen sind stets nur so lange vernünftig, bis ihre Nerven mit ihnen durchgehen. Ihr seht ja, daß ich recht hatte.»
Eine Zeitlang herrschte Schweigen, dann fragte einer der Männer: «Wo ist sie wohl hingefahren?»
Der Segler antwortete: «Das weiß ich nicht. Sie hat ja viele Freundinnen in Kopenhagen. Von einigen kenne ich die Adresse, aber es wird kaum möglich sein, sie zu finden.»
«Vielleicht kommt sie morgen freiwillig zurück.»
«Hm! Nach allem, was sie gesagt hat, glaube ich das nicht!»
Jetzt trat einer der Männer aus der Kajütentür, was Jan veranlaßte, langsam gegen das Molenende zu schlendern und dann umzukehren. Daß er in der schönen Abendluft einen kleinen Spaziergang machte, konnte niemand auffallen.
Er hatte die «Rex» kaum betreten, als Erling ihn mit bedenklicher Miene fragte: «Nun, mein Freund, hat sich deine Expedition gelohnt?»
Mit Unschuldsmiene schaute Jan ihn an. «Expedition? Wie meinst du das, Dicker?»
«Na, ich sah doch, daß du dem Segler nachgegangen bist. Jetzt ahne ich Schlimmes.»
Jan mußte lachen. «Mach dir nicht schon im voraus unnötige Sorgen. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, daß daraus eine Affäre wird.»
«Ist das ein Versprechen?»
Jan zögerte ein wenig. «Na ja ... mit Versprechen soll man sparsam umgehen, sonst muß man sie womöglich brechen.»
Erling seufzte noch tiefer als zuvor. Er aß das letzte Stück Butterkuchen auf, und seine Laune sank zum Nullpunkt.
*
Kriminalkommissar Mogens Helmer, Jans Vater, saß am gleichen Abend in seinem Arbeitszimmer. Es klopfte an der Tür, und Jan trat ein.
Helmer schaute lächelnd von seiner Arbeit auf. «Nun, mein Sohn, was hast du auf dem Herzen? Ich habe, wie du siehst, ziemlich viel zu tun...»
«Ich weiß, Vater ... aber da ist etwas, worüber ich mit dir sprechen möchte.»
«Heraus damit!»
Helmer klopfte seine Pfeife aus und lehnte sich zurück. Er wußte sehr wohl, daß sein Sohn ihn nicht stören würde, wenn es nichts Wichtiges war. Jetzt war er recht gespannt, wenn man ihm das auch nicht ansah.
In kurzen, klaren Worten erklärte Jan, was sich im Laufe des Abends ereignet hatte. Als er geendet hatte, nickte der Vater ihm zu.
«Du hast, wie immer, deine Augen und Ohren benutzt, mein Junge. Hm, ja, aber eigentlich sehe ich nichts Rätselhaftes an der ganzen Geschichte.»
«Die Männer sprachen von einem ‹Vorhaben›, Vater.»
Helmer nickte. «Das sagtest du bereits. Aber genau genommen, kann es sich dabei doch um eine ganze Menge erlaubter Vorhaben handeln. Jedenfalls ist alles noch so unklar, daß sich die Polizei der Sache nicht annehmen kann, wenn keine Anzeige erstattet wird.»
«Die Männer im Motorboot werden sich hüten, die Frau als vermißt zu melden.»
«Ja, das glaube ich auch.» Helmer nickte. «Aber einen Grund zum Eingreifen hat die Polizei eben nicht.»
Er stopfte sich eine neue Pfeife und fuhr mit einem verschmitzten Augenzwinkern fort: «Wir können natürlich etwas anderes tun, Jan.»
«Ja, bitte?» fragte Jan eifrig.
Helmer starrte ihn etwas verblüfft an. «Warum sagst du ‹ja, bitte›? Du weißt doch noch gar nicht, was ich vorschlagen will.»
Jan konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. «Doch, Vater. Du willst sicher sagen, daß die Polizei schnell herausbekommen kann, wohin das Taxi die junge Frau gebracht hat.»
«Bravo, Jan! Genau daran habe ich gedacht. Da wir ja die Quersumme des polizeilichen Kennzeichens kennen, wird es nicht allzu schwer sein, diese Auskunft zu bekommen. Wie gesagt, solange keine Anzeige erstattet wird, kann sich die Polizei mit dieser Angelegenheit nicht beschäftigen ... aber meinetwegen kannst du ein wenig Privatdetektiv spielen, mitsamt deinen Freunden.» Ernster werdend fügte er hinzu. «Wenn ich dir diese Erlaubnis gebe, dann nur, weil ich die Sache für ungefährlich halte. Sollte sich aber etwas Außergewöhnliches ereignen, dann mußt du mir sofort Bescheid sagen, Jan!»
«Das werde ich auch, Vater.»
«Gut, dann sind wir uns einig, mein Junge. Ruf mich morgen nach Tisch im Präsidium an; dann kann ich dir sicher sagen, wohin die Frau gefahren ist.»
«Vielen Dank, Vater.»
«Keine Ursache», sagte Helmer gutgelaunt und zündete seine Pfeife an. «Ich wünsche euch bei euren Nachforschungen viel Glück, aber ich glaube nicht, daß ihr auf ein Abenteuer rechnen könnt. Gute Nacht, Jan.»
«Gute Nacht, Vater ... und danke.»
«Ist schon gut.»
*
Es ging zunächst genau so, wie der Kriminalkommissar es vorausgesagt hatte. Es bereitete der Polizei keine Schwierigkeiten, ausfindig zu machen, wohin das Taxi die flüchtende junge Frau gebracht hatte. Zuerst war sie zum Gammel Kongevej gefahren und hatte dort ein Haus betreten, war aber gleich zurückgekommen. Danach war sie im Richmond-Gebäude auf der Vestre Farimagsgade gewesen und schließlich zu einer Villa in der Jägersborg Allé gefahren. Dort hatte sie den Fahrer bezahlt und war in der Villa verschwunden.
Jan