»Holen Sie ein Angebot ein, damit ich diese Anschaffung kalkulieren kann«, bat er auf dem Weg zur Tür. »Wer weiß, vielleicht stellt auch die Stiftung Gelder zur Verfügung und unterstützt diesen ehrgeizigen Plan.« An der Tür drehte er sich zu Daniel um und reichte ihm die Hand.
»Auf gute Zusammenarbeit!« Er nickte Dr. Norden zu. »Und nichts für ungut.« Mit diesen Worten trat er durch die Tür und war wenige Augenblicke später verschwunden.
Andrea Sander an ihrem Schreibtisch musterte ihren Chef neugierig. Ein Besuch des Verwaltungsdirektors war immer spannend.
»Nanu, Sie sehen ja so zufrieden aus«, stellte sie überrascht fest.
»Stellen Sie sich vor: Fuchs erwägt, dieses Wundergerät anzuschaffen.«
»Wie bitte?«
Daniel lachte.
»Genau dasselbe habe ich auch gedacht«, gab er zu, ehe er sich auf den Weg in die Radiologie machte. Inzwischen sollten die Untersuchungsergebnisse von Viola da sein.
*
Svenja fand die Nachricht ihrer Mutter auf dem Frühstückstisch und machte sich sofort auf den Weg in die Klinik.
»Entschuldigung, wo finde ich Frau Viola Wagenknecht?«, erkundigte sie sich am Empfang.
Die Schwester suchte im Computer nach dem Namen.
»Tut mir leid. Ich kann keine Patientin finden, die so heißt.«
»Komisch.« Ratlos drehte sich Svenja um, als sie Fee entdeckte, die in Begleitung eines Kollegen geschäftig durch die Lobby lief. Ihre Blicke trafen sich.
Felicitas sagte ein paar Worte zu Dr. Naumann. Während er nickte und weiterging, ging sie auf die junge Frau zu.
»Svenja, das ist ja eine Überraschung!«, begrüßte sie sie freundlich. »Willst du lieber eine Klinikführung statt einer Stadtrundfahrt?«
Die junge Frau lächelte pflichtschuldig.
»Mama hat mir einen Zettel dagelassen, dass sie mit Daniel in der Klinik zur Untersuchung ist.«
»Ich weiß.« Natürlich hatte Daniel seine Frau informiert. Von den Ergebnissen wusste sie allerdings noch nichts. »Komm, ich bringe dich zu ihr.« Fee winkte Svenja mit sich. Unterwegs unterhielten sie sich ein wenig über dies und das, bis sie vor einer Tür Halt machten. »Ich drücke euch die Daumen, dass alles gut ist. Wenn du mich brauchst, findest du mich in der Kinderabteilung.« Eine besorgte Mutter wartete auf sie, um sich mit ihr über die weitere Behandlung ihres Kindes zu unterhalten.
Svenja zögerte. »Vielen Dank für alles«, sagte sie, die Hand auf der Klinke. »Auch dafür, dass Sie Mama überredet haben, sich untersuchen zu lassen.«
Felicitas lächelte warm.
»Dafür hat man doch Freunde, nicht wahr?« Sie zwinkerte Svenja zu und machte sich auf den Weg.
Svenja spürte, wie die Nervosität in ihr hochkroch. Was mochte sie hinter der Tür erwarten?
»Hallo, Mama!«, begrüßte sie ihre Mutter. Nachdem er Viola die Diagnose mitgeteilt hatte, hatte Daniel sie direkt in ein Krankenzimmer bringen lassen und versprochen, so schnell wie möglich wieder bei ihr zu sein. »Wie geht es dir?«
Viola saß auf einem Stuhl am Fenster und lächelte tapfer.
»Ist das nicht ein hübsches Zimmer?«, fragte sie statt einer Antwort. »Schau mal, da unten!« Als sie hinunter in den Garten deutete, zitterte ihre Hand. »Ist das nicht ein herrlicher Ausblick? Man könnte meinen, wir wären in einem Grand Hotel.« Eine Träne rann über ihre Wange.
Svenja erschrak. Schnell zog sie sich einen Stuhl heran und setzte sich neben ihre Mutter. Sie griff nach ihren Händen und zwang sie, ihr in die Augen zu sehen.
»Was ist los, Mama? Was haben die Ärzte gesagt?«
Violas Lippen bebten so sehr, dass sie nicht sofort antworten konnte.
Svenja bekam es mit der Angst zu tun.
»Mama?«
»Sie haben in meinem Kopf einen Tumor gefunden«, murmelte Viola schließlich. »Ich muss operiert werden.«
Als Svenja vor ein paar Monaten achtzehn Jahre alt geworden war, hatte sie gedacht, endlich die magische Grenze überschritten zu haben und erwachsen zu sein. In diesem Moment bemerkte sie, dass sie sich geirrt hatte. Plötzlich fühlte sie sich wieder wie in kleines Kind. Einsam. Verlassen. Hilflos.
Trotz ihrer eigenen Angst bemerkte Viola die Erschütterung ihrer Tochter. Sie zog sie an sich und wiegte sie in den Armen.
»Hab keine Angst. Alles wird gut«, murmelte sie wie ein Mantra vor sich hin.
*
Als Dr. Sandra Neubeck an diesem Nachmittag in die Klinik kam, hatte sie es so eilig, dass sie über die Kante eines Schmutzfängers stolperte. Es war ein Zufall, dass Matthias Weigand ihr genau in diesem Moment entgegenkam. Ihr Anblick erhellte seine Stimmung schlagartig.
Geistesgegenwärtig streckte er die Arme aus und fing sie auf.
»Hoppla. Heute liegen mir die Frauen scharenweise zu Füßen.« Sie lag in seinen Armen, ihr Kopf dicht vor seinem, und sah ihm in die Augen. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte sie geküsst.
Doch Sandra machte ihm einen Strich durch die Rechnung.
»Dann schlage ich vor, du suchst dir ein anderes, williges Opfer.« Sie befreite sich aus seinen Armen und fuhr sich durch das Haar. »Ich habe zu tun.«
»Aber du bist doch eh zu früh da«, bemerkte Matthias zu recht. »Deine Schicht fängt erst in einer Stunde an.« Er legte den Kopf schief und sah sie forschend an. »Sag bloß, du hast noch einen anderen Mann im Visier.« Das, was in munterem Tonfall daherkam, war ihm bitterernst.
»Tut mir leid, wenn ich dich enttäuschen muss. Aber ja, es gibt noch einen anderen Mann in meinem Leben. Er heißt Hugo Wimmer, und ich werde gleich ein Hühnchen mit ihm rupfen.«
Im ersten Moment fühlte sich Matthias wie betäubt vor Enttäuschung. Im zweiten erinnerte er sich daran, diesen Namen schon einmal gehört zu haben.
»Sagtest du Hugo Wimmer?«
Sandra war schon im Begriff weiterzugehen, und hielt noch einmal inne.
»Ja, warum? Hattest du bereits das Vergnügen mit meinem Vater?«
»Dein Vater? Allerdings. Er wurde heute Morgen mit einem Aneurysma hier eingeliefert. Ich habe ihn zusammen mit dem Kollegen Merizani aus der Neurologie operiert.«
Sandra war blass geworden.
»Ich wusste, dass er hier ist. Der Nachbar sagte etwas von Schwächeanfall.« Schuldbewusst blickte sie zu Boden.
»Du musst dir keine allzu großen Sorgen machen. Er hat die Operation ganz gut überstanden.« Matthias Stimme war weich vor Mitgefühl.
Sandra kämpfte sichtlich mit sich. »Das ist es nicht.«
Doch so leicht wollte Matthias ihr es nicht machen.
»Was dann? Warum wolltest du ein Hühnchen mit ihm rupfen.«
Sie verdrehte die Augen gen Himmel, um die Tränen zurückzuhalten.
»Weil sich mein Vater aus dem Staub gemacht hat, als ich noch nicht geboren war. Weil ich in all den Jahren dachte, dass er im Ausland leben würde, was gar nicht stimmte. Und weil er neulich einfach vor der Tür stand«, zählte sie einen guten Grund nach dem anderen auf. »Genügt das?«
Matthias fuhr sich über die Stirn.
»Puh, das ist wirklich eine ganze Menge«, musste er zugeben.
Sandra nickte. Offenbar tat es ihr gut, sich Kummer und Wut von der Seele zu