»Bestechung ist ein Fremdwort für mich«, brummte Daniel unwillig. Seine Verstimmung lag beileibe nicht an dem neuen Posten, den er an diesem Tag hochoffiziell übernehmen sollte. Es ging vielmehr um seinen Unwillen, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Dabei hatte die Chefin Jenny Behnisch auf eine große Übergabezeremonie verzichtet. Eine kleine Veranstaltung war auch ganz in ihrem Sinne.
Auch wenn er es nicht laut aussprach, wusste Felicitas um seine Gedanken.
»Sag bloß, du gönnst den Kollegen den Sekt nicht«, scherzte sie gut gelaunt. Sie sah der Zukunft optimistisch entgegen und freute sich auf die Zusammenarbeit mit ihrem Mann.
»Nur einem nicht«, erwiderte Daniel auf dem Weg zum Wagen. »Aber diese Missgunst beruht auf Gegenseitigkeit.« Er ließ die Schlösser des Wagens aufschnappen und hielt seiner Frau die Tür auf.
Fee dankte ihm mit einem Lächeln und nahm auf dem Beifahrersitz Platz.
»Kein Wunder. Schließlich hast du Lammers‘ ehrgeizige Pläne durchkreuzt«, bemerkte sie und schnallte sich an.
Daniel startete den Motor, legte den Rückwärtsgang ein und lenkte den Wagen aus dem Carport.
»Ich dachte, er hat es auf deinen Posten abgesehen.«
»Das ist sein Nahziel. Aber wenn sich die Chance geboten hätte, hätte er bestimmt auch nicht nein zur Klinikleitung gesagt«, unkte Fee.
Sie wusste nicht, dass Volker Lammers seine Fühler tatsächlich ausgestreckt, sie aber schnell beleidigt wieder eingezogen hatte, als Jenny Behnischs Entscheidung die Runde in der Klinik machte.
»Damit könntest du durchaus recht haben.«
Dr. Norden ahnte schon jetzt, dass ihm keine leichten Zeiten bevorstanden.
Nichtsdestoweniger überwog inzwischen die Freude über die neue Herausforderung. Er war sich der Ehre wohl bewusst, die seine langjährige Freundin Jenny Behnisch ihm zuteil werden ließ. Nicht viele Menschen in seinem Alter bekamen die Chance, noch einmal beruflich derart durchzustarten. Diese Gedanken beschäftigten ihn, bis er den Wagen auf dem Klinikparkplatz abstellte.
»Wir sehen uns später bei Jennys Feier«, raunte Fee ihm zu, als sie gemeinsam durch die Türen der Behnisch-Klinik traten.
Wie immer herrschte dort lebhaftes Treiben. Angehörige und Patienten bevölkerten die Lobby ebenso wie Schwestern, Pfleger und Ärzte. Daniel Norden war dankbar dafür, dass niemand von ihm Notiz nahm, als er durch die Lobby dem Aufzug entgegenstrebte. Oben angekommen, schlug er wie in den vergangenen Wochen auch den Weg Richtung Jennys Büro ein.
Nach einem Magengeschwür und einer schicksalhaften Operation, die sie um ein Haar das Leben gekostet hatte, war die Klinikchefin eine andere geworden. Zur großen Überraschung ihrer Freunde hatte sie die langjährige Bitte ihres Lebensgefährten endlich erhört und Daniel die Klinikleitung angeboten. Trotz der Ehre hatte er sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Zu groß war seine Sorge, in einen ähnlichen Sog zu geraten wie Jenny viele Jahre lang. Erst die Versicherung seiner Familie, das nicht zuzulassen, hatte ihn endlich überzeugt.
»Ich tue das Richtige!«, sprach er sich selbst Mut zu, als er vor der Tür zum Vorzimmer stand. Er gab sich einen Ruck, klopfte an und trat ein. »Einen wunderschönen guten Morgen, Andrea«, begrüßte er die Assistentin, die schon an ihrem Platz saß.
»Das können Sie laut sagen. Sie haben herrliches Wetter mitgebracht«, erwiderte Andrea Sander seinen Gruß gut gelaunt. »Wenn das kein gutes Zeichen ist …« Sie zwinkerte ihm zu und deutete auf die angelehnte Tür, aus der leises Summen klang. Ein verstörend fremdes Geräusch aus Jenny Behnischs Büro. »Gehen Sie nur rein. Sie werden erwartet.«
»Danke!« Er nickte ihr zu, zögerte einen winzigen Augenblick und schob die Tür auf.
Jenny war gerade dabei, ihr persönliches Hab und gut aus Regalen und Schränken in einen Umzugskarton zu packen. Einen Bildband in den Händen – das Geschenk eines angesehenen Kollegen – drehte sie sich zu ihm um.
»Ach, Daniel, da bist du ja! Schön, dich zu sehen.« Sie begrüßte ihn mit einem Küsschen rechts und links auf die Wange, um sich gleich darauf wieder über den Karton zu beugen. »Jetzt wird es ernst.« Sie legte das Buch in die Kiste und blickte einen Moment lang versonnen hinein. So einfach war es also, die Vergangenheit verschwinden zu lassen!
Daniels Räuspern riss sie aus ihren Gedanken.
»Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass wir die Feierlichkeiten so klein halten.« Ähnlich Daniel Norden war sie nie eine Freundin großer Reden gewesen.
»Du sprichst mir aus der Seele.« Er machte einen Schritt auf sie zu und musterte das Gesicht der Frau, die er schon so lange kannte. Dies war der richtige Moment, um ihr das zu sagen, was ihm schon eine Weile auf dem Herzen lag. »Trotzdem will ich nicht darauf verzichten, dir zu sagen, dass es mir ein Anliegen und eine Ehre ist, deine Klinik in deinem und Dieters Sinne weiterzuführen.« Während er sprach, füllten sich seine Augen mit lange zurückliegenden Erinnerungen. Seit Jenny ihm die Leitung angeboten hatte, musste er so oft wie lange nicht an seinen Studienkollegen Dieter Behnisch denken. Lustige Zeiten waren das gewesen, bevor der Ernst des Lebens sie gefangen genommen hatte. Doch auch danach hatten sich die Freunde nicht aus den Augen verloren. Daniel erinnerte sich noch genau an seine erste Begegnung mit der spröden, unnahbaren Ärztin Dr. Jenny Behnisch, die einige Zeit in einem Entwicklungsland in Afrika gearbeitet hatte. Bis zum Tod ihres Mannes hatte sie in der Klinik mitgearbeitet und danach die Leitung übernommen. Inzwischen war die kleine Privatklinik nicht wiederzuerkennen. »Dieter wäre wahnsinnig stolz gewesen auf dich. Auch wenn der sture Esel das niemals gezeigt hätte.« Daniel lächelte mit einer Mischung aus Schmerz und dankbarer Erinnerung.
»Ich bin dir wirklich zutiefst verbunden, dass du meine Standhaftigkeit nicht vor Publikum auf die Probe gestellt hast.« Daniel konnte sich nicht daran erinnern, Jenny je weinen gesehen zu haben. An diesem Morgen aber wischte sie sich tatsächlich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. Doch der schwache Moment verging schnell, und als sie sich wieder umdrehte, war alles wie immer. »Das hier ist ab heute dein Reich.« Mit einem letzten prüfenden Blick klappte sie den Karton zu.
Auf dieses Stichwort schien Andrea Sander nur gewartet zu haben.
»Ich hätte da schon ein kleines Geschenk für Sie!« Sie trat durch die offene Tür und reichte Dr. Norden ein kleines Paket.
Sichtlich verlegen nahm Daniel es entgegen.
»Aber ich habe doch nicht Geburtstag heute.«
»Sie werden es trotzdem schätzen. Nachdem wir keinen Hausmeister haben …« Der Rest des Satzes schwebte unausgesprochen in der Luft.
Während Daniel das Papier aufriss, tauschten Jenny und Andrea wissende Blicke.
»Ein Zollstock? Wofür das denn?«
»Sie wollen doch sicherlich ihre eigene Einrichtung haben. Da leistet so ein Meterstab ganz gute Dienste«, erwiderte Andrea augenzwinkernd.
Dr. Norden lachte dankbar.
»Das Wichtigste ist, dass Sie in dieses Büro passen. Und das haben Sie ja schon oft genug bewiesen.«
Andrea Sander konnte kaum glauben, was sie da hörte.
»Oh, Chef! Das ist das schönste Kompliment, das ich seit Jahren bekommen habe.«
»Dann wurde es aber höchste Zeit«, erwiderte Daniel, als Jenny in die Hände klatschte.
»Genug Gefühlsduselei für heute.« Plötzlich war ihre Stimme so resolut wie eh und je. »Daniel, auf dem Schreibtisch liegt eine Unterschriftenmappe. Und wenn ich mich nicht irre, ist dein Terminkalender brechend voll.« Ehe er etwas darauf erwidern konnte, wandte sie sich an ihre Assistentin. »Und Sie besorgen mir bitte einen starken Mann, der diese Kartons in meinen Wagen bringt.«
»Natürlich,