»Gib dir keine Mühe.« Joshua verzog den Mund. »Du bist zwar eine glänzende Schauspielerin. Aber die Unschuld vom Lande nimmt dir keiner ab.«
Ihre Blicke schossen wütende Blitze auf ihn ab.
»Ich glaube nicht, dass ich es nötig habe, so mit mir reden zu lassen.«
Joshua atmete tief durch.
»Tut mir leid. Du hast recht. Fangen wir noch einmal von vorn an. Warum bist du nach all den Jahren nach München gekommen?«
»Um dich zu sehen. Du bist mein Sohn.«
Unwillkürlich musste Joshua Gespräch mit Dési denken. »Daran dachtest du offenbar nicht, als du Papa und mich vor acht Jahren verlassen hast. Seitdem hatten wir kaum Kontakt. Erinnerst du dich?«, fragte er ernst. »Ich dachte immer, deine Karriere wäre dir wichtiger als deine Familie. Und dann stehst du plötzlich vor der Tür und tust so, als wäre nichts geschehen. Als hätte es die Jahre nicht gegeben.«
Paola zuckte mit den Schultern.
»Na und? Was ist daran verkehrt? Ich weiß wirklich nicht, worauf du hinaus willst.« Das war die Wahrheit. Joshua spürte es. Er konnte es in ihrem Gesicht lesen. »Warum kannst du dich nicht einfach darüber freuen, dass ich wieder da bin? Dir darüber hinaus die Chance biete, eine hervorragende Schauspielausbildung zu bekommen?«
In diesem Moment wusste Joshua, dass es vergebliche Liebesmüh war.
»Weil wir zu verschieden sind«, gestand er endlich sich selbst und auch seiner Mutter ein. »Wir leben in unterschiedlichen Welten. Vielleicht sogar in verschiedenen Universen. Du bist Äonen weit weg von mir.«
»Diesen Unsinn hat dir sicher dein Vater eingeredet«, schnaubte Paola.
»Nein. Papa hat auch nicht von mir verlangt, hier in München zu bleiben. Das war meine Entscheidung allein.« Wieder musste er an seine Erlebnisse mit Dési denken. An die Verbundenheit mit ihr, die er während der Suche nach Paul empfunden hatte. An die überschäumende Freude, die sie geteilt hatten. »Bitte versteh mich nicht falsch. Ich will nicht so sein wie du. Kein schillernder Schmetterling, der von Blüte zu Blüte taumelt. Der nur im Hier und Jetzt lebt und weiter flattert, wenn eine andere Blume lockt.« Die Gedanken an Dési und ihre Familie, an Adrian, seine Freunde und sogar an Paul wärmten Joshuas Herz. Er wusste, dass er auf dem richtigen Weg war. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. »Im Gegensatz zu dir gefällt es mir, Bindungen einzugehen. Ich mag es, zu jemandem zu gehören. Eine Familie, eine Freundin zu haben. Das fühlt sich gut und sicher an.«
»Du bist ein Romantiker«, konterte Paola. »Es gibt keine Sicherheit im Leben.«
»Das sehe ich anders. Bei Papa fühle ich mich sicher. Und bei Dési und ihrer Familie auch.« Joshua stand auf und beugte sich über seine Mutter. »Aber weißt du was? Wir können trotzdem Freunde sein. Auch wenn wir so verschieden sind.«
Als er Paola einen Kuss auf die Wange drückte, gelang es ihr nicht länger, die kühle Fassade aufrecht zu erhalten.
»Du bist der beste Sohn, den eine Mutter sich wünschen kann«, raunte sie ihm ins Ohr. Sie nahm das Taschentuch, das Joshua für sie aus dem Spender auf dem Nachtkästchen zupfte, und betupfte sich die Augen.
»Das finde ich, ehrlich gesagt, auch«, witzelte er und ging zur Tür. »Ich komme morgen wieder vorbei.« Joshua winkte, ehe er das Krankenzimmer verließ. Walzertanzend schwebte er über den Flur Richtung Ausgang.
*
Auch Christine Lekutat konnte endlich in den wohlverdienten Feierabend gehen. An diesem Abend führte sie ihr Weg allerdings nicht nach Hause. Sie hielt ihr Versprechen und betrat das Krankenzimmer ihrer Mutter.
»Blumen? Aber das wäre doch nicht nötig gewesen.« Petras Strahlen strafte ihre Worte Lügen.
»Ich muss mich bei dir entschuldigen«, nuschelte Christine. Sie ging hinüber zum Schrank, um eine Vase zu holen, und füllte sie im Bad mit Wasser. »Ich dachte nicht …«
»Schon vergeben und vergessen«, winkte Petra ab. »Ich bin froh, dass ich noch lebe. Der Arzt, dieser Dr. Wiesental, war vorhin bei mir. Er hat mir erzählt, wie knapp es war und dass du dir große Sorgen gemacht hast.« Sie drückte die Hand ihrer Tochter. »Ein reizender Mann übrigens. Und so einfühlsam.«
Christine rollte mit den Augen.
»Ich finde ihn ziemlich aufdringlich. Er bettelt schon die ganze Zeit, dass ich mit ihm ausgehen soll. Sogar heute wollte er mich zum Essen einladen. Er dachte allen Ernstes, ich lasse dich im Stich.«
»Ich hätte nichts dagegen gehabt.«
»Du lässt dich auch von jedem freundlichen Mann um den Finger wickeln.«
Unwillig schnalzte Christine mit der Zunge. »Weißt du eigentlich, dass du dich wie eine einsame, alte Frau benimmst?«
»Das stimmt doch auch. Wenn du nicht so viel arbeiten würdest, wäre ich nicht so einsam«, hielt Petra dagegen.
»Auch das ist übrigens ein Grund, warum ich auf eine nähere Bekanntschaft mit dem Kollegen Wiesenstein verzichte«, schwindelte Christine. »Dann hätte ich nämlich gar keine Zeit mehr für dich.«
Diesem Argument hatte Petra Lekutat nichts entgegenzusetzen.
»Du bist ein gutes Kind«, murmelte sie. »Es tut mir leid, dass ich dir solchen Kummer mache.« Die Operation steckte der alten Dame noch in den Knochen. Vergeblich versuchte sie, das Gähnen zu unterdrücken.
»Schon gut, Mama.« Christine Lekutat lächelte. »Hauptsache, du kommst schnell wieder auf die Beine.« Sie blieb so lange am Bett sitzen, bis ihrer Mutter die Augen zufielen.
Dann hatte sie es plötzlich eilig. Mit fliegenden Fahnen verließ sie das Krankenzimmer und eilte über den Klinikflur Richtung Aufenthaltsraum der Ärzte. Dort hatte sie den Kollegen Wiesenstein zuletzt gesehen.
Adrian hatte längst nach Hause gehen wollen. In Straßenkleidung stand er noch mit Schwester Elena zusammen und unterhielt sich mit ihr über den aufregenden Tag, als er aufhorchte.
In der ganzen Klinik gab es nur einen Menschen, der beim Gehen solche Geräusche machte. Adrenalin schoss ihm ins Blut und bereitete ihn auf die Flucht vor. Panisch sah er sich um.
»Haben Sie eine Idee, wo ich mich verstecken könnte?«
Elena sah sich um.
»Unter der Spüle?«
»Zu klein. Da passe ich nie und nimmer rein.« Er überlegte noch, ob er sich hinter der Tür verstecken sollte, als Christine hereinkam. In seiner Verzweiflung tat Adrian das einzige, was ihm einfiel. Blitzschnell zog er Elena an sich und presste seine Lippen auf die ihren.
Christine erstarrte.
»So ist das also!«, schnaubte sie zutiefst verletzt, drehte sich um und stürmte aus dem Aufenthaltsraum.
»Puh, das war knapp.« Adrian ließ Elena los und atmete auf. »Vielen Dank. Sie haben mir gerade das Leben …«
Ein Klatschen übertönte den Rest seines Satzes. Im nächsten Moment sah er Sternchen.
»Das hat gesessen.« Er öffnete die Augen wieder.
Zu seiner Verwunderung lächelte Elena.
»Ich bin eine glücklich verheiratete Frau und möchte es auch bleiben«, erklärte sie. »Aber bitteschön, ich habe Ihnen gern das Leben gerettet. Solange es bei diesem einen Mal bleibt.«
»Versprochen.« Adrian hob die Hand zum Schwur. »Ob Sie es glauben oder nicht: Im Augenblick habe ich die Nase gestrichen voll von Frauen.« Er ging zur Tür und lugte hinaus. Die Luft war rein. Von Christine Lekutat war keine Spur mehr zu sehen, und Adrian zögerte nicht länger, seinen Plan, nach Hause zu gehen, endlich in die Tat umsetzen.
*
Im Gegensatz zu seinen Kollegen hatte Dr. Matthias Weigand in dieser Nacht Bereitschaft. Um