Die Eroberung von Plassans. Emile Zola. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Emile Zola
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726683301
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nach einem Mann, der anders beschaffen ist als die anderen, der die Kerze ausbläst, um das Hemd zu wechseln, der weder seine Unterhosen noch sein Rasierzeug herumliegen läßt. Es verdroß ihn, daß sich weder auf den Möbeln noch in den Ecken irgend etwas fand, das dort vergessen worden war und das ihm Stoff zu Vermutungen bieten konnte. Der Raum war wie dieser Teufelsmensch, stumm, kalt, glatt, undurchdringlich. Zu seiner lebhaften Überraschung hatte er dort, sosehr er darauf gefaßt war, nicht den Eindruck von Elend; er rief in ihm im Gegenteil eine Wirkung hervor, die er einst empfunden hatte, als er eines Tages den sehr reich eingerichteten Salon eines Präfekten in Marseille betrat. Die große Christusfigur schien den Raum mit ihren schwarzen Armen auszufüllen.

      Er mußte sich jedoch entschließen, der Ecke näher zu treten, in die ihn der Abbé rief.

      „Sie sehen den Fleck, nicht wahr?“ begann dieser wieder. „Seit gestern ist er ein bißchen zurückgegangen.“

      Mouret stellte sich auf die Zehenspitzen, blinzelte, ohne irgendwas zu sehen. Nachdem der Priester die Vorhänge zurückgezogen hatte, gewahrte er schließlich eine leichte rostfarbene Tönung. „Das ist nicht weiter schlimm“, murmelte er.

      „Ohne Zweifel; aber ich habe geglaubt, Sie in Kenntnis setzen zu müssen . . . Es muß am Dachrand durchgesickert sein.“

      „Ja, Sie haben recht, am Dachrand.“ Weiter erwiderte Mouret nichts; er betrachtete das Zimmer, das vom grellen Licht des hellen Tages beleuchtet wurde. Es war weniger feierlich, aber es wahrte sein unbedingtes Schweigen. Sicherlich erzählte hier kein Staubkörnchen vom Leben des Abbé.

      „Übrigens“, fuhr letzterer fort, „könnten wir vielleicht durch das Fenster sehen . . . Warten Sie.“ Und er öffnete das Fenster.

      Aber Mouret rief, daß er ihn nicht länger zu stören beabsichtige, daß es eine Lappalie sei, daß die Arbeiter das Loch wohl zu finden wüßten.

      „Sie stören mich keineswegs, versichere ich Ihnen“, sagte der Abbé, in liebenswürdiger Art und Weise darauf bestehend. „Ich weiß, daß Hausbesitzer sich gern selbst ein Bild machen . . . Ich bitte Sie, prüfen Sie alles eingehend . . . Das Haus gehört Ihnen.“ Und was bei ihm selten vorkam: er lächelte sogar, als er diesen letzten Satz aussprach. Als sich Mouret mit ihm dann über die Fensterbrüstung gebeugt hatte und beide zur Dachrinne hochsahen, ließ er sich in bautechnische Erklärungen ein, wie der Fleck sich gebildet haben konnte. „Sehen Sie, ich denke an eine leichte Senkung der Dachziegel, vielleicht ist sogar einer von ihnen gebrochen, falls nicht dieser Riß daran schuld ist, den Sie dort längs des Kranzgesimses erblicken und der sich in der Stützmauer fortsetzt.“

      „Ja, das ist schon möglich“, antwortete Mouret. „Ich gestehe Ihnen, Herr Abbé, daß ich nichts davon verstehe. Der Maurer wird nachsehen.“

      Der Priester sprach nun nicht mehr von Reparaturen. Er blieb ruhig da und betrachtete die Gärten unter sich. Mouret, der sich neben ihm auf die Ellenbogen gestützt hatte, wagte aus Höflichkeit nicht, sich zurückzuziehen. Er war ganz und gar eingenommen, als sein Mieter nach einigem Schweigen mit seiner sanften Stimme zu ihm sagte:

      „Sie haben einen hübschen Garten, Herr Mouret.“

      „Oh, einen ganz gewöhnlichen“, antwortete er. „Es standen da ein paar schöne Bäume, die ich fällen lassen mußte, denn in ihrem Schatten wuchs nichts. Das ist nun mal nicht anders. Man muß an das Nützliche denken. Diese Ecke genügt uns. Wir haben die ganze Zeit über Gemüse.“

      Der Abbé staunte, ließ sich Einzelheiten berichten. Der Garten war einer jener alten, von Laubengängen umgebenen und durch hohe Buchsbaumsträucher in vier regelmäßige Gevierte eingeteilten Provinzgärten. In der Mitte befand sich ein schmales Becken ohne Wasser. Ein einziges Geviert war Blumen vorbehalten. Auf den drei anderen, die an ihren Ecken mit Obstbäumen bepflanzt waren, wuchsen prächtiger Kohl und herrliche Salate. Die mit gelbem Sand bestreuten baumbestandenen Gartenwege waren peinlich sauber gehalten.

      „Das ist ein kleines Paradies“, meinte Abbé Faujas mehrmals.

      „Es gibt mancherlei Unannehmlichkeiten, das kann ich Ihnen sagen“, erwiderte Mouret im Gegensatz zu der lebhaften Genugtuung, die er darüber empfand, von seinem Besitz so gut sprechen zu hören. „Es wird Ihnen zum Beispiel aufgefallen sein, daß wir uns hier auf einem Abhang befinden. Die Gärten sind terrassenförmig angelegt. So liegt der von Herrn Rastoil tiefer als meiner, der wiederum tiefer liegt als der der Unterpräfektur. Das Regenwasser richtet oft Schäden an. Und außerdem, was noch weniger angenehm ist, sehen die Leute von der Unterpräfektur zu mir herüber, um so mehr, als sie jene Terrasse gebaut haben, die meine Mauer überragt. Es stimmt, daß ich zu Herrn Rastoil hinübersehe, eine armselige Entschädigung, versichere ich Ihnen, denn ich kümmere mich nie um das, was die anderen tun.“

      Der Priester schien ihm aus Gefälligkeit zuzuhören, schüttelte den Kopf, stellte keine Frage. Er folgte mit den Augen den Erklärungen, die ihm sein Hauswirt mit der Hand gab.

      „Sehen Sie, dort ist noch ein Ärgernis“, fuhr letzterer fort und zeigte auf ein Gäßchen, das hinten am Garten entlangführte. „Sehen Sie diesen kleinen, zwischen zwei Mauern eingefaßten Weg? Das ist die Chevilottes-Sackgasse, die an einem Einfahrtstor zum Gelände der Unterpräfektur endet. Alle anliegenden Grundstücke haben eine kleine Ausgangspforte zur Sackgasse, und es herrscht dort unaufhörlich ein geheimnisvolles Kommen und Gehen . . . Ich, der ich Kinder habe, habe meine Pforte mit zwei guten Nägeln versperrt.“ Er zwinkerte mit den Augen und sah den Abbé an, wobei er vielleicht hoffte, daß dieser ihn frage, was das für ein geheimnisvolles Kommen und Gehen sei.

      Aber der Abbé sagte nichts; er musterte die Chevilottes-Sackgasse ohne mehr Neugier, er lenkte seine Blicke friedfertig wieder zu Mourets Garten zurück.

      Unten am Rande der Terrasse säumte Marthe an ihrem gewohnten Platz Servietten. Als sie die Stimmen hörte, hatte sie zuerst kurz aufgeblickt; dann hatte sie sich, erstaunt darüber, ihren Gatten in Gesellschaft des Priesters an einem Fenster des zweiten Stocks zu sehen, wieder an die Arbeit gemacht. Sie schien nicht mehr zu wissen, daß die beiden da waren.

      Mouret hatte aus einer Art unbewußter Prahlerei heraus, glücklich darüber, zu zeigen, daß er soeben endlich in diese hartnäckig verschlossene Wohnung eingedrungen war, die Stimme erhoben. Und der Priester ließ mitunter seine ruhigen Augen auf Marthe verweilen, auf dieser Frau, von der er nur den gesenkten Nacken mit der schwarzen Masse des Haarknotens sah.

      Schweigen trat ein. Abbé Faujas schien noch immer nicht geneigt zu sein, vom Fenster wegzugehen. Er schien nun die Gartenbeete des Nachbarn eingehend zu betrachten. Herrn Rastoils Garten war nach englischer Art angelegt, mit kleinen Alleen, kleinen Rasenflächen, die von kleinen Blumenbeeten unterbrochen waren. Im Hintergrund war eine Baumrotunde, in der sich ein Tisch und Gartenstühle befanden.

      „Herr Rastoil ist sehr reich“, begann Mouret wieder, der der Blickrichtung des Abbé gefolgt war. „Sein Garten kostet ihn was; der Wasserfall, den Sie zwar nicht sehen können dort hinter den Bäumen, ist ihm auf mehr als dreihundert Francs zu stehen gekommen. Und kein Gemüse, nichts als Blumen. Eine Zeit hatten die Damen sogar davon gesprochen, die Obstbäume fällen zu lassen; das wäre ein wahrer Mord gewesen, denn die Birnbäume sind prächtig. Ach was! Er hat recht, seinen Garten nach seinem Belieben einzurichten. Wenn man die Mittel dazu hat!“ Und da der Abbé immer noch schwieg, fuhr er fort und drehte sich dabei zu ihm um: „Sie kennen Herrn Rastoil, nicht wahr? Jeden Morgen geht er von acht bis neun Uhr unter seinen Bäumen spazieren. Ein dicker Mann, ein bißchen untersetzt, kahl, ohne Bart, mit kugelrundem Kopf. Ich glaube, er hat in den ersten Augusttagen die Sechzig erreicht. Seit nahezu zwanzig Jahren ist er nun Präsident unseres Zivilgerichts. Es heißt, er sei gutmütig. Ich verkehre nicht mit ihm. Guten Tag, guten Abend, und das ist alles.“ Er hielt inne, als er sah, daß mehrere Personen die Freitreppe des Nachbarhauses hinuntergingen und sich zu der Baumrotunde hinwandten. „Ach ja“, sagte er und senkte die Stimme, „heute ist Dienstag . . . Man gibt ein Essen bei Rastoils.“

      Der Abbé hatte eine leichte Bewegung nicht unterdrücken können. Er hatte sich vorgebeugt, um besser zu sehen. Zwei Priester, die neben zwei erwachsenen Mädchen gingen, schienen ihn besonders