Wenn es hingegen immer schon nur eine einzige Option gab, um von C nach D zu kommen – das eigene Auto etwa –, dann wird der Umstieg um ein Vielfaches schwieriger. Und noch schwieriger wird es, wenn Klimaschutz einen noch viel größeren Schritt erfordert – einen Umzug etwa.
Eine der größten Klimasünden überhaupt sind demnach kostenlose (oder zumindest sehr günstige) Parkplätze:19 Wenn ich weiß, dass ich in der Stadt meine ganz persönliche Tonne Stahl gratis parken darf, dann werde ich das auch tun. Das bedeutet mitunter, dass der Umzug in ein Haus im „Grünen“ plötzlich um ein Vielfaches leichter fällt – ich könnte ja immer mit dem Auto zurück in die Stadt fahren. Sobald ich dann in diesem Haus in einem fernen Vorort wohne, bin ich für geraume Zeit auf das Auto angewiesen.
Technisch gesehen handelt es sich dabei um den Lock-in-Effekt: Die Wechselkosten und sonstigen -barrieren sind so hoch, dass ein solcher Wechsel – weg vom Auto etwa – kaum noch möglich ist. Aus dem fernen Vorort oder vom Land kommt man schließlich ohne Auto nur schlecht in die Stadt. Selbst jene, die grundsätzlich die Möglichkeit haben, etwa mit dem Zug zur Arbeit zu fahren, brauchen immer noch irgendwo Zugang zu einem Auto; man weiß ja nie. Je mehr Menschen nun an diese Orte ziehen – im Wissen, dass sie fast täglich mit dem Auto zur Arbeit zurück in die Stadt fahren werden –, desto mehr dieser Fahrten sind locked-in, das heißt: Alternativen zur Autofahrt gibt es nicht mehr.
Je größer der Lock-in, desto schwieriger wird es auch, intelligente Klimapolitik zu betreiben – und etwa Gratisparkplätze abzuschaffen. Die unmittelbare Reaktion auf eine solche Maßnahme ist ein Aufschrei: „Die armen Pendler! Sie müssen jetzt plötzlich mehr bezahlen!“ Solche Debatten gibt es fast überall auf der Welt. Stadtpolitiker sind meist für, Vorstädter, Autofahrerklubs, die Automobilindustrie und ähnliche Interessengruppen gegen die Abschaffung billiger Parkmöglichkeiten. Und was für Parkplätze gilt, das gilt auch für viele andere Infrastrukturinvestitionen, die es jenen aus Suburbia leichter machen, in die Stadt zu kommen – von breiteren Straßen bis hin zur Grünphase für die Durchzugsstraße, während die lokalen Schulkinder länger warten müssen.
All das bedeutet, dass Klimapolitik nicht nur aus CO2-Bepreisung bestehen kann, einer Verteuerung der CO2-Emissionen oder der städtischen Parkplätze. Das auch – allerdings stellt der Lock-in-Effekt sicher, dass eine solche Verteuerung zunächst hauptsächlich zu höheren Kosten für Autofahrer führt, ohne noch einen entsprechenden Unterschied in Sachen Emissionen zu bewirken. Es gibt auf kurzfristige Sicht keine Alternativen. Der einzige Unterschied ist vielleicht ein Aufkleber am Auto, um meinem Unmut gegen die neue politische Maßnahme Ausdruck zu verleihen. Die CO2-Emissionen würden aber – zumindest kurzfristig – kaum sinken.
Mittelfristig kaufe ich mir vielleicht ein sparsameres Auto, oder auch gleich ein Elektroauto, weil es dafür eine Befreiung von der Parkgebühr gibt, um ebendiese Anreize zu schaffen. Vielleicht kann ich meinen Arbeitgeber auch dazu bewegen, dass ich öfter von zu Hause aus arbeiten darf. Die CO2-Emissionen sinken nun, allerdings gibt es auch hier Limits: Der Lock-in-Effekt besteht teils immer noch.
Erst langfristig machen die CO2-Steuer oder die neue Parkgebühr einen echten Unterschied: wenn nämlich Familien aus dem Vorort und vom Land wieder ans Übersiedeln denken.
Der wichtigste Schritt überhaupt: diesen Lock-in von vornherein zu vermeiden – erst gar nicht aus der Stadt wegzuziehen.
Deshalb geht es bei Klimapolitik neben einer CO2-Steuer einerseits auch um direkte Steuerung – um Verkehrs- und Regionalpolitik, um Stadtplanung – und andererseits vor allem um Investition: Es geht darum, Alternativen zur derzeitigen CO2-intensiven Lebensweise zu schaffen. Es geht darum, Menschen dabei zu helfen, ihren derzeitigen Lock-ins zu entkommen und sie erst gar nicht so zu schaffen. Oft ist es genau der Mangel an einfachen Alternativen, der Klimapolitik so schwierig macht: Denn kaum jemand gibt an der Wahlurne seine Stimme für jene Politik, die einem das eigene Leben schwerer macht. Es geht um Alternativen – billigere und bessere Alternativen.20
Lock-ins gibt es überall – auch in der Stadt. Allerdings sind es hier deutlich weniger: Stadt ist flexibel. In der Stadt ist es viel einfacher, eine alternative Route von A nach B zu finden. Die Stadt ist schon jetzt effizient und klimafreundlich. Und sie birgt auch Potenzial für mehr. Das ist vor allem bei einer der wichtigsten Klimafragen überhaupt der Fall, wo menschliches Leid durch Klimawandel auf menschliches Leid durch Armut stößt.
Klima und Entwicklung
Zwei der wichtigsten Fragen rund um den Klimaschutz lauten: Wer ist für die CO2-Emissionen letztlich verantwortlich – der Produzent oder der Konsument? Und wer sollte was wann tun? Um selbst tiefere Einblicke in die erste dieser beiden Fragen zu erhalten, waren drei weitere Jahre meines Forscherlebens nötig. Die zweite Frage ist eine Aufgabe für viele Lebenszeiten.
Der Ökonom Simon Kuznets war ein Wegbegleiter von Wassily Leontief. Ebenso wie Leontief und Jorgenson war er Professor an der Harvard University, und er war es, der Anfang der 1930er-Jahre die ersten volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Vereinigten Staaten und somit das Bruttoinlandprodukt des Landes, das BIP, erstellte. Seine Berechnungen halfen der amerikanischen Regierung dabei, das Land aus der „Großen Depression“, der schweren Wirtschaftskrise der Dreißigerjahre, zu steuern. Er erhielt dafür 1971 den Nobelpreis.
In Umweltkreisen – mit denen er an sich kaum direkte Berührungspunkte hatte – ist Kuznets auch für eine andere „Erfindung“ bekannt. Er hatte einst beobachtet, dass Ungleichheit im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung einem umgedrehten „U“ entspricht: Am Anfang, wenn alle gleich arm sind, ist die Ungleichheit niedrig. Im Zuge der ökonomischen Entwicklung steigt auch die Ungleichheit: Die Reichen werden zusehends reicher, während andere zurückfallen; die Einkommensschere klafft auseinander – bis die Politik interveniert. In vielen der reichsten Länder schließt sich die Einkommensschere dann wieder, meist durch progressive Steuern. Kuznets stellte diese Beobachtung Mitte der 1950er-Jahre an.21 Das umgedrehte U wurde als „Kuznets-Kurve“ bekannt.
Die „Umwelt-Kuznets-Kurve“ ist ebendiese Beobachtung umgelegt auf Luft-, Wasser- und andere Umweltverschmutzungen.22 Geringe Entwicklung bedeutet demnach: wenig Verschmutzung. Schnell wachsende Länder werden auch entsprechend stärker verschmutzt, bis in mehr oder weniger reichen Ländern die Umweltverschmutzung wieder zurückgeht: Benzin wird bleifrei, saurer Regen wird in die Geschichtsbücher verbannt, das Trinkwasser wird wieder trinkbar.
Die wichtigste Beobachtung – bei den Einkommensunterschieden wie auch bei der Umweltverschmutzung – lautet: Weder das eine noch das andere wird einfach automatisch besser. Laissez-faire mag zwar einen schönen sprachlichen Klang haben, doch in der Realität ist Laissez-faire-Kapitalismus ein sicheres Rezept für mehr ökonomische Ungleichheit und mehr Umweltverschmutzung.23
Denn fast jeder der bisher erreichten umweltpolitischen Erfolge beruht genau darauf: auf Umweltpolitik. Mittelalterliche Kathedralen schmelzen nur deshalb nicht mehr im sauren Regen dahin, weil es Luftreinhaltegesetze gibt, die das auch sicherstellen. Und wie man es dreht und wendet: Rauchgasentschwefelung zur Reinigung von Abgasen kostet Geld – zwar weniger Geld, als es die Energieindustrie gerne zugibt, aber Geld allemal.24 Dieses ist aus gesamtgesellschaftlicher Sicht äußerst gut investiert, aber Privatunternehmen werden dies nicht von allein tun: Es bedarf der Politik. Dasselbe gilt für die Verbannung von Blei im Benzin und sonstige Umweltauflagen, Gesetze und Regulierungen. Für den Klimaschutz gilt es ebenso.
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