„ Nachtrag. — Während des Drucks geht uns die Nachricht zu, dass Herr Hektor Farlane eben wegen Verdachtes der Täterschaft verhaftet werden soll. Der Verhaftungsbefehl ist bereits ergangen. Die Polizei hat weitere Nachforschungen über den traurigen Fall am Tatort angestellt. Ausser den Anzeichen des blutigen Ringens im Schlafzimmer, hat man jetzt auch gefunden, dass das Balkonfenster offen war, und auch eine Fährte, als ob ein schwerer Gegenstand nach dem Holzhaufen geschleift worden wäre; endlich ist in letzter Stunde festgestellt worden, dass die Asche verkohlte Leichenteile enthält. Die Polizei neigt zu der Ansicht, dass man es mit einem aussergewöhnlichen Verbrechen zu tun hat, dass das Opfer in seinem Schlafzimmer ermordet, die Wertpapiere geraubt, und die Leiche dann nach dem Holzstoss geschleppt worden ist, den der Mörder in Brand gesteckt hat, um auf diese Weise jede Spur seines Verbrechens zu verwischen. Die Leitung der Polizeilichen Untersuchungen ist dem erfahrenen Inspektor Lestrade von Scotland Yard übertragen worden, der die Spuren mit der bekannten Energie und dem ihm eigener Scharfsinn verfolgen wird.“
Holmes hatte diesen merkwürdigen Bericht mit geschlossenen Augen angehört.
„Der Fall bietet entschieden einige interessante Punkte,“ sagte er in seinem gleichgültigen, geschäftsmässigen Ton. „Darf ich vielleicht fragen, Herr Farlane, wieso Sie sich noch auf freiem Fuss befinden, obwohl scheinbar triftige Gründe zu Ihrer Verhaftung vorliegen?“
„Ich wohne in Blackheath bei meinen Eltern, Herr Holmes, da ich aber gestern abend sehr spät bei Herrn Oldacre zu tun hatte, übernachtete ich in einem Hotel in Norwood und wollte von dort ins Bureau fahren. Ich habe den Vorfall erst im Zuge erfahren, als ich die Zeitung las. Ich erkannte sofort die schreckliche Gefahr, in der ich schwebte, und beeilte mich, Ihnen die Sache vorzutragen. Ich zweifle keinen Augenblick, dass man mich zu Hause oder im Bureau schon arretiert haben würde. Vom Bahnhof London-Bridge ist ein Mann hinter mir hergegangen und würde mich sicher — Herr des Himmels, jetzt kommen sie —.“
Es klingelte, und auf der Treppe wurden alsbald schwere Tritte hörbar. Im nächsten Augenblick machte unser alter Freund Lestrade die Tür auf. Hinter ihm erblickte ich die Uniformen zweier Schutzleute, die draussen blieben und warteten.
„Herr John Hektor Farlane?“ fragte Lestrade.
Unser unglücklicher Schützling fuhr entsetzt von seinem Stuhl auf.
„Ich verhafte Sie wegen der Ermordung des Herrn Jonas Oldacre in Lower Norwood.“
Farlane warf uns verzweifelte Blicke zu und sank, wie vom Schlag getroffen, wieder auf seinen Stuhlnieder.
„Einen Augenblick, Herr Lestrade,“ sagte Holmes. „Eine halbe Stunde früher oder später macht keinen Unterschied. Der Herr war gerade dabei, uns eine Darstellung seiner höchst interessanten Angelegenheit zu geben. Sie kann uns bei ihrer Aufklärung vielleicht viel nützen.“
„Diese Aufklärung wird, glaube ich, nicht sehr schwierig werden,“ antwortete Lestrade ironisch.
„Immerhin möchte ich, wenn Sie nichts dagegen haben, seine Aussagen gerne hören.“
„Ich schlage Ihnen ungern etwas ab, Herr Holmes, denn Sie haben der Polizei schon verschiedentlich gute Dienste geleistet, und wir verdanken Ihnen manches in Scotland Yard,“ 2 erwiderte Lestrade. „Trotzdem muss ich meinen Gefangenen festhalten, und ich bin verpflichtet, ihn vor offenbar unwahren Angaben zu warnen.“
„Ich wünsche nur die Wahrheit zu sagen,“ fiel unser Klient ein: „Ich bitte nur, mich anzuhören, damit Sie die reine Wahrheit erfahren.“
Lestrade sah nach der Uhr. „Ich will Ihnen eine halbe Stunde Zeit lassen.“
„Ich muss vorausschicken,“ begann Farlane, „dass ich Herrn Oldacres Verhältnisse absolut nicht gekannt habe. Sein Name war mir allerdings bekannt, weil meine Eltern vor vielen Jahren mit ihm verkehrt hatten, sich später aber von ihm zurückgezogen haben. Ich war daher gestern nachmittag nicht wenig überrascht, als er in meinem Bureau erschien. Aber ich war noch mehr überrascht, als er mir den Grund seines Besuches mitteilte. Er hatte mehrere beschriebene Blätter aus einem Notizbuch in der Hand — hier sind sie.“ Er legte sie vor uns auf den Tisch.
„,Das ist mein Testament,‘ sagte er. ,Ich bedarf Ihrer Hilfe, Herr Farlane, damit es in die vorschriftsmässige gesetzliche Form gebracht wird. Ich will mich unterdessen setzen!‘
„Ich nahm die Abschrift vor, und Sie können sich mein Erstaunen vorstellen, als ich merkte, dass er mir unter einigen Vorbehalten sein ganzes Vermögen vermachte. Er war ein eigenartiger, kleiner, zappeliger Mann mit grauem Haar und weissen Augenwimpern, und als ich zu ihm aufblickte, sah er mich vergnügt an. Ich traute meinen Sinnen kaum, als ich seine Bestimmungen las. Auf meine verwunderten Fragen antwortete er mir jedoch, er sei Junggeselle und habe keine lebenden Verwandten, er habe in seiner Jugend meine Eltern sehr gut gekannt und von mir stets als von einem ordentlichen jungen Manne gehört, sodass er versichert sein könne, dass sein Geld in gute Hände käme. Ich konnte nur ein paar Worte des Dankes stammeln. Das Testament wurde gesetzmässig geschlossen und unterzeichnet, und mein Schreiber fungierte als Zeuge. Es steckt in diesem blauen Umschlag hier in meiner Tasche. Die Zettel enthalten, wie ich schon gesagt habe, nur den Entwurf des Herrn Oldacre. Er teilte mir dann weiter mit, dass er noch verschiedene Schriftstücke — Mietkontrakte, Eigentumsurkunden, Hypotheken und sonstige Papiere, in die ich Einsicht nehmen müsse, zu Hause in seiner Wohnung habe. Er bat mich, zu diesem Zwecke gleich am Abend zu ihm nach Norwood hinauszukommen und das Testament mitzubringen, damit alles geordnet würde; er könnte eher keine Ruhe finden. ,Sagen Sie Ihren Eltern kein Wort, mein Lieber, bis die Angelegenheit ganz geregelt ist. Wir wollen ihnen dann eine kleine Ueberraschung bereiten.‘ Auf dieser Forderung bestand er sehr hartnäckig und nahm mir mein Wort ab.
„Sie können sich denken, Herr Holmes, dass ich keine Lust hatte, ihm seine Bitten abzuschlagen. Er wollte mir wohl, und ich hatte daher nur das Bestreben, seinen Wünschen bis ins kleinste zu entsprechen. Ich telegraphierte nach Hause, dass ich am Abend ein wichtiges Geschäft vorhabe und nicht wüsste, ob ich kommen könnte. Herr Oldacre hatte mich für neun Uhr zum Essen eingeladen, weil er kaum vor dieser Stunde zu Haus sein würde. Es war nicht ganz leicht, seine Wohnung zu finden, sodass es gegen halb zehn wurde, ehe ich sie erreichte. Ich traf —“
„Einen Augenblick!“ unterbrach ihn Holmes. „Wer öffnete Ihnen die Tür?“
,,Eine Frau in mittleren Jahren, vermutlich seine Haushälterin.“
„Dieselbe hat wahrscheinlich der Polizei auch Ihren Namen angegeben?“
„Doch wohl,“ antwortete Farlane.
„Bitte, weiter.“
Unser Klient wischte sich den Schweiss von der Stirne und fuhr dann fort: —
„Diese Frauensperson führte mich in ein Empfangszimmer, wo ein frugales Abendbrot aufgetragen war. Nach dem Essen nahm mich Herr Oldacre mit in sein Schlafzimmer, wo ein schwerer Geldschrank stand. Er schloss auf und nahm eine Menge Papiere heraus, die wir zusammen durchgingen. Es dauerte bis zwischen elf und zwölf Uhr, ehe wir fertig wurden. Er sagte dann zu mir, wir dürften die Wirtschafterin nicht stören, und geleitete mich an das Balkonfenster, das während der ganzen Zeit offen, gestanden hatte.“
„War die Jalousie heruntergelassen?“ fragte Holmes.
„Ich