Schlangengift - Roland Benito-Krimi 7. Inger Gammelgaard Madsen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Inger Gammelgaard Madsen
Издательство: Bookwire
Серия: Rolando Benito
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711731437
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am besten erinnerte. Er könnte seinen Opa fragen, aber irgendetwas in ihm wollte es doch nicht. Der Teil von ihm, der nicht mehr wissen wollte.

      „Was wolltest du dann also da?“ Jetzt schaute sie ihn an und ihre Augen waren noch dunkler als sonst. War es Angst? Sie drückte die Serviette zwischen ihren Fingern, als ob sie ein Lebewesen wäre, das sie umbringen wollte. Der eine ihrer Söhne, der neben ihr saß, legte seine Hand über ihre, drückte sie und hielt sie fest. Wütend sah er Roland an.

      „Verstehst du nicht, dass es Mama mitnimmt, darüber zu sprechen?“, sagte er ruhiger, als sein grimmiges Gesicht zum Ausdruck brachte. Vielleicht war er nicht so wütend, wie er aussah. Dunkle Augenbrauen, fast über dem Nasenrücken zusammengewachsen, verliehen ihm einen wütenden Ausdruck. Die ganze Benito-Familie hatte diese Augenbrauen – auch die Tante.

      „Doch, das verstehe ich, Mario. Sie hat das Thema zur Sprache gebracht.“ Er schaute wieder zu Giovanna. „Aber ich verstehe nicht ganz, damals, als Mama noch gelebt hat, haben wir Sergio doch fast immer besucht, wenn wir hier waren.“

      „Das war etwas anderes“, entgegnete Giovanna und starrte wieder auf den Teller, ohne zu essen. Messer und Gabel verharrten in einer Position, als ob sie essen wollte, aber in der Bewegung erstarrt wäre.

      „Wieso war das was anderes?“ Er spürte, dass er aus unbekanntem Grund dabei war sich aufzuregen.

      „Ich verstehe, dass Rolando Lust hat, den Arbeitsplatz seines Vaters zu besuchen, wenn er selbst bei der Polizei in Dänemark ist. Das ist doch natürlich“, mischte sich Marios Frau Alberta ein und lächelte Roland zu. Ein robustes Mädchen mit der bronzefarbenen Haut einer Süditalienerin, kohlschwarzen Haaren und einer Andeutung eines kleinen Schnurrbarts, der wie ein dunkler Schatten über der vollen Oberlippe lag. Sie stammte aus der Reggio Calabria. Roland erinnerte sich, dass ihr Vater einer der Schafzüchter war, die vor einigen Jahren in Rom zusammen mit anderen Züchtern aus vielen anderen Regionen in ganz Italien demonstriert hatten, um die Politiker dazu zu bewegen, Plagiate von Pecorino in den Ländern außerhalb Italiens zu bekämpfen. Amerikanische Firmen ließen den Käse beispielsweise in Ungarn und Rumänien herstellen, nannten ihn aber dennoch Pecorino, obwohl er nichts mit Italien und der italienischen Herstellungsmethode zu tun hatte. Sie verdarben die Preise auf dem Markt, sodass die italienischen Schafzüchter um ihren Lebensunterhalt gebracht wurden. Aber soweit Roland wusste, war bei ihren Anstrengungen nicht viel herausgekommen.

      „Habt ihr viel Kriminalität bei euch?“ Alberta trank aus ihrem Glas und ihre schwarzen Augen musterten ihn über den Rand hinweg.

      „Tja, wir …“

      „Habt ihr auch eine Mafia?“, fragte der älteste Junge plötzlich interessiert. Er ähnelte Salvatore, als er ebenfalls ungefähr zwölf Jahre alt gewesen war.

      Pippinos Blick wurde aufmerksam, er fuhr verwirrt von einem zum anderen. Zuletzt fingerte er an seinem Ohr herum. Das Hörgerät gab einen Heulton von sich, als er es anschaltete.

      „Nicht ganz, aber so etwas Ähnliches. Wir nennen sie Rocker.“

      „Habt ihr auch ein bestimmtes Polizeikorps, das sich um sie kümmert?“

      „Ja, gewissermaßen schon. Wir haben eine Abteilung für organisierte Kriminalität, die …“

      „Was war dein letzter Mordfall?“, unterbrach der Junge eifrig.

      Seine Mutter lächelte beinahe entschuldigend.

      „Alfio will Polizist werden“, sagte sie und versuchte, den Stolz in ihrer Stimme zu verbergen. Der Augenkontakt mit Giovanna war sehr kurz. Danach starrte Giovanna Alfio an und sah aus, als wolle sie etwas sagen, schwieg aber. Pippino nickte vergnügt.

      Roland begegnete Irenes Blick. Jetzt konnte sie der Unterhaltung folgen. Alltagsgespräche.

      „Ich finde nicht, dass wir jetzt darüber reden sollten, Alfio …“, antwortete er und lächelte dem Jungen freundlich zu.

      „Bestimmt nicht“, pflichtete Giovanna bei. Sie reichte die Schüssel erneut herum und alle nahmen sich noch eine Portion, wohl hauptsächlich, um die Köchin nicht zu beleidigen, hungrig konnte keiner von ihnen mehr sein.

      Einen Augenblick lang war es still. Alle aßen, und das einzige Geräusch, das man hörte, war das von Besteck auf Porzellan. Kurz darauf begann die Unterhaltung wieder – Smalltalk, an dem auch Irene teilnahm und sich traute, auf Italienisch zu antworten, wenn sie etwas gefragt wurde. Pippino blühte auf und kam mit seiner üblichen Geschichte über die Landung der Amerikaner auf Sizilien, als er ein junger Soldat war und gegen die Deutschen kämpfte. Sein Gedächtnis hier war vortrefflich, und wenn er mit seiner pfeifenden, aber kraftvollen Stimme zu sprechen begann, hörten alle zu, auch wenn sie das Ganze schon tausend Mal gehört hatten. Dass es eine Aktion war, bei der die Amerikaner Hilfe von der Sizilianischen Mafia bekommen hatten, die Lucky Luciano für sie kontaktiert hatte. Zum Dank wurde er aus einer 30-jährigen Haftstrafe wegen Zuhälterei entlassen, die er in einem amerikanischen Gefängnis verbüßte, und konnte als freier Mann nach Hause nach Italien zurückkehren. Auf Sizilien wurden die Mafia-Bosse für ihren Einsatz belohnt, indem sie große, wichtige Bürgermeisterposten bekamen. In seinen Augen standen Tränen von den Erinnerungen oder vielleicht aus Rührung darüber, dass er im Mittelpunkt stand und man ihm zuhörte.

      „Zum Teufel mit den Amerikanern!“, schloss er fast fauchend. „Aber sie hatten gute Zigaretten.“

      Hier meinte Giovanna, es müsse genug sein, sie wüssten ja alle, wohin das sonst führen würde.

      Die Frauen räumten gerade den Tisch ab, als Rolands Handy eine Melodie spielte. Er sah auf dem Display, dass es eine unbekannte Nummer war und überlegte, es klingeln zu lassen. Vielleicht auszuschalten. Die Arbeit konnte es ja nicht sein, aber als er aus Gewohnheit trotzdem auf den grünen Knopf drückte, hörte er Asger Brinks Stimme. Er ging auf den Balkon, der zur Via Monte di Dio hin lag. Gottes Berg, unter dem ging es für seine Tante nicht. Einem Zitronenbaum in einem Tonkrug schien Wasser zu fehlen, es war nur eine Zitrone dran, aber die magentafarbene Bougainvillea gedieh gut; sie kletterte über den Rand des Eisengeländers, als versuchte sie zu entkommen. Eine feuchte Hitze stieg von der Straße auf, vermischt mit allen möglichen Gerüchen süßer Früchte vom Obst- und Gemüsehändler im Erdgeschoss, Abgasen von Autos und Rollern und verrottetem Abfall aus den Mülleimern. Es wehte auch Essensgeruch aus den Wohnungen auf der anderen Seite der schmalen Straße herüber, wo die Fensterläden offen waren. Aus einem merkwürdigen Grund bekam er Lust auf eine Zigarette; das war eigentlich lange her.

      „Sie ist nach Sizilien gereist, Rolando. Ich habe das Tauchzentrum ausfindig gemacht und eine Schwedin, die auf dem gleichen Boot nach Ischia war. Sie hat Beth auf dem Foto, das ich ihr gezeigt habe, wiedererkannt. Sie haben nicht an der gleichen Stelle getaucht, sich aber auf dem Boot ein bisschen über ihr gemeinsames Hobby unterhalten und sie hat erzählt, dass Beth vor zwei Tagen ein Zugticket am Bahnhof hier in Neapel gekauft hat. Sie hatte mit einem jungen Mann gesprochen, der auch zum Tauchen in Ischia war. Einem Norweger. Er wollte mit Beth mitkommen und hat ihr beim Ticketkauf geholfen. Er konnte wohl Italienisch. Das hat mir die Schwedin erzählt. Beth hatte anscheinend erwähnt, dass es richtig gute Tauchplätze in Sizilien gäbe, aber ich hätte nicht gedacht, dass sie so weit wegfahren würde, ohne es mir vorher zu sagen.“

      „Ja, aber dann ist ihr ja, Gott sei Dank, nichts passiert“, antwortete Roland und verspürte eine seltsame Erleichterung, als wäre eine Bürde, die eigentlich nie da gewesen war, von seinen Schultern genommen worden.

      „Das weiß ich ja nicht. Wieso geht sie dann nicht an ihr Handy? Warum gibt sie keinen Mucks von sich? Was ist das für ein junger Mann, der ihr hilft?“

      „Es kann viele Gründe geben, warum sie nicht anruft. Vielleicht gibt es da, wo sie ist, kein Netz, oder …“

      „Ich glaube nicht daran, Rolando. Ich kann immer noch spüren, dass etwas nicht stimmt. Das kann ich einfach. Ich fahre heute Abend nach Messina.“

      „Sie reisen also nach Sizilien, um sie dort zu suchen?“

      „Das ist die Absicht. Haben