Karels Briefe waren ganz anders. Roh und voller männlichem Trotz und Schweiß. Er erzählte von dem japanischen Konzentrationslager, in dem er gesessen hatte. Berichtete, dass alle ihm bekannten Bat’a-Leute es überlebt hätten. Karel Aster, meine erste Liebe. Schon in Zlín hatte ich eine Schwäche für ihn, und nicht nur ich. Als wir uns dann in Amerika wiederbegegneten, folgte eine Zeit, die ich insgeheim »große amerikanische Verwirrung« genannt habe und aus der ich schnell wieder nüchtern hervorging, denn Karel war ein ausgemachter Frauenheld, ein Schürzenjäger, wie er im Buche steht. Es war in seinen Augen zu lesen, an seiner Körperhaltung zu erkennen, daran, wie er gleich und sofort alles wollte. Karel, der Eroberer. Trotzdem denke ich gern an ihn zurück. Er war ein famoser Kerl. Famos – ein Wort, das ich mit zwanzig fortwährend verwendete. Aber Karel war wirklich famos. Er war wie frisches Frühlingsgras, in das man sich nur hineinlegen musste, er roch nach Luft, dem Staub der Prärie, dem aufgewühlten Meer. Vielleicht als Einziger hat er daran geglaubt, dass ich großes Talent besitze und Konzertpianistin sein könnte. Alle anderen versuchten es mir eher behutsam auszureden, und nachdem ich Rudi auf Konzerten hatte spielen hören, redete ich es mir ebenfalls kleinmütig aus. Niemals würde ich so sein können wie er. Und mein Perfektionssinn – angeboren oder Ergebnis der Bat’a-Erziehung – gebot mir natürlich, nichts zu tun, was nicht vollkommen ist. Nur Karel sah in mir die Pianistin, die professionelle Musikerin, und als wir in Amerika waren, versuchte er für mich eine Musikhochschule zu finden. Aber auch seine Briefe waren verräterisch, die selbstbewusste Handschrift, die heißblütige Leidenschaft, die er mehr gekonnt stilisierte als wirklich empfand. Ich witterte hinter dieser Schrift den Herzensbrecher. Nicht dass ich so eine großartige Graphologin wäre, aber man sah es einfach. Wenn ich die Briefe nebeneinanderlegte, war es geradezu frappierend, wie Karels großspuriges Anpreisen seiner selbst neben der schmalen, fast unleserlichen Handschrift des genialen Pianisten ins Auge stach. Auch Karels Briefe waren in teuren Hotels und auf erstklassigem Briefpapier geschrieben worden. In der Garage hatte er ein teures Auto, im Bett eine schöne Frau. Und ich war weit weg, von beiden.
Und dann sind hier, nach langen Jahren mit meinem starken Mann Ljubodrag, die Augen dieses Malers aufgetaucht. Schwarze Schlitze in Tälern von Falten. Ich spüre sie immer noch auf mir. Wie sie jede Linie meines Körpers erforschen, wie sie, nun ja, sich an mir ergötzen und, ja, wie angenehm mir das ist. Zweimal die Woche hat er mich vor meiner minderjährigen Tochter mit den Augen ausgezogen. Es war schön, wieder einmal verehrt und vergöttert zu werden. Ich weiß, Ljubodrag verehrte und vergötterte mich, aber auf eine wilde, raue, wenn auch zärtliche Weise. Als würde er das ganze Leben mit mir leidenschaftlich Tango tanzen. Es gab gleichsam nichts daneben. Seine Liebe war Liebe, und fertig. Ljubodrag wollte mich nicht auf einem Gemälde verewigen, er hatte kein Bedürfnis nach Erinnerung und Ewigkeit. Ljubodrag liebte und lebte voller Intensität und kannte keine Feinheiten der Verführung, keine Zweifel, nicht die Raffinesse künstlerischer Betörung. Er mochte mich am liebsten nackt oder in Reithosen auf dem Pferd. Freilich hat der Maler kein Wort geäußert, obwohl er es gekonnt hätte, denn wir sprachen Deutsch, damit Dolores es nicht verstand. Es war das erste Mal nach langer Zeit, dass ich wieder gerne mit jemandem Deutsch sprach. Als Ljubodrag und ich uns in Batatuba kennengelernt hatten, hatten wir anfangs auch Deutsch miteinander geredet, wir hatten ja beide in Wien studiert und fanden auf diese Weise die österreichische Art der Aussprache, die weichen, abgerundeten Laute wieder, doch als Ljubodrag dann kühner wurde, wechselten wir ins sinnlichere Französisch mit seinen schmeichelnden Nasalen. Dieser Maler hier aber verkörperte das Wienerische selbst. Es war, als würde ich wieder in die Zeit vor dem Krieg eintauchen, als wir regelmäßig nach Brünn fuhren, wo in Geschäften und Restaurants Deutsch gesprochen wurde, in die Zeit, als Mozart und Beethoven für mich nur auf Deutsch existierten. Ich konnte dem nahezu perfekten Deutsch dieses Malers nicht widerstehen, obwohl ich mir hundertmal gesagt hatte, wie sehr ich diese Sprache hasste und was die Deutschen unserer Familie und ganz Europa angetan hatten. Auch wenn ich wusste, dass eine Sprache nichts dafür kann. Nun, da wir so fern von Europa waren, hatte ich das Gefühl, dass dieser Malermund und das Deutsche, das so weich und ein wenig lispelig aus ihm herausperlte, mich Europa näherbrachte.
Ich erinnere mich, wie er mit ernster Miene murmelte, für meine Augen gebe es keine passende Blaunuance, denn so ein Blau habe er noch nie gesehen. Er müsste dafür eigens einer Siamkatze die Augen herausholen und zur Farbe anrühren. So wie er ihr auch die Härchen ausreißen und neue Pinsel daraus binden müsste, um die Feinheit meiner Haut zu treffen. »Haben Sie zu Hause so eine Katze, die man auf dem Altar Ihrer Schönheit opfern könnte?« Ich schüttelte mich vor Abscheu und warf ihm vor, er würde Dolores Angst machen. Da lachte er nur.
Hätte ich ihm das Bild am Ende überlassen, dann wäre es so gewesen, als hätte ich mich ihm hingegeben. Als würde ich ihm gehören. Ich würde in seinem Zimmer hängen und mich von seinem gierigen Künstlerblick betasten lassen. Ich glaube, auch deshalb kam es zwischen uns zu diesem Kampf. Um mich und um das Bild. Natürlich hatte er bei mir nicht die geringste Chance. Er war ein halbes Jahrhundert älter als ich, und es gab nichts, was mich an ihm angezogen hätte. Bis auf diese Leidenschaft, die mich wie kaum etwas zuvor erregte. Bis auf seine Augen und diese Hände, die so schmal und zierlich waren wie die Krallen eines seltenen Vogels.
EDITA
Ungarn und dieser Zug sind nur noch dunkle, ferne Träume. Sie bleiben zwar immer ein Teil von mir, doch tagsüber kann ich sie verdrängen und vergessen, vielleicht weil wir schließlich alle glücklich in Paris zusammentrafen und später auf dem riesigen Luxus-Überseedampfer an Bord gingen, der Île de France. Unser Ziel war zunächst Nordamerika. Wir hatten noch keine Vorstellung