Mein Herz schlägt noch immer stark, als ich die Augen schließe. Es schlägt in den Schläfen, in den Fingerspitzen und zwischen den Beinen, aber nun ist mir der natürliche Kontakt zum Zug abhandengekommen. Das Fahrzeug, in dem ich unterwegs bin, fühlt sich vor allem wie ein mechanisches Bauwerk an, seine Seele ist fort. Der Strickpulli klebt zwischen meinen Schulterblättern und am Rücken fest. Wenn ich ihn jetzt auszöge, würde sie sehen, dass ich an sie gedacht habe. Oder es riechen. Irgendwie bin ich sicher, dass sie diese Art von Fähigkeit hat. Das Einzige, was ich tun kann, solange wir noch im Tunnel sind, ist, meine Augen zu schließen und mich wieder zurückzulehnen. Meine Atmung macht mich nicht leichter, eher fühlt es sich an, als ob ich die Luft hinaus- statt hereinpumpe. Nie habe ich mich so schwer gefühlt. So schwer auf dem Sitz. So schwer.
Ich glaube, ich schlafe. Es ist die Art von Halbschlaf, wo man weiß, dass man schläft, aber nicht zeigen kann, dass man das weiß. Ein Traumgefängnis. Es ist noch immer dunkel. Ich höre das Geräusch des Zuges nicht, nur ein Rauschen wie vom Wind über den Bergspitzen. Aber das kann nicht sein. Wir müssen auf dem Weg nach unten sein, der nächste Halt kann nicht weit sein und der ist weiter im Tal. Hinter dem Rauschen kann ich Schritte hören, weit weg, wie von Tausenden Füßen, die in die gleiche Richtung gehen. Ein kalter Ring hat sich auf meiner einen Stirnseite gebildet. Die Schritte werden lauter und jemand flüstert mit einer Stimme, die ich noch nie gehört habe: „Danke fürs Ausleihen.“ Ich versuche zu antworten, aber bevor ich es schaffe, bin ich wieder im Traumland.
Jemand klopft mir vorsichtig auf die Schulter und ich zucke zusammen. Merke, dass der kalte Fleck an meiner Stirn von dem Fenster herrührt, an das ich im Schlaf gerutscht bin. Die Schläfe fühlt sich gefroren an. Die Schaffnerin steht vor mir. Sagt, dass sie vorbeikam und mich wecken wollte, falls ich aussteigen muss, sodass ich meine Station nicht verpasse. Muss ich hier raus? Ich sehe durch das beschlagene Fenster. Draußen ist ein schmutziger Bahnsteig, vom Regen aufgelöst. Die Wolken wurden aufgeschnitten und der Himmel hat sich geöffnet, schwerer Regen prallt auf die Erde wie Tausend nasse Füße, rasender Elfentanz auf dem Flachdach des Zuges. Ich sehe zum Platz der Frau hinüber, aber er ist leer. Weder der Pappbecher, noch ihr Gepäck sind zu sehen. Ich werde ihre Silhouette niemals draußen im Regen erkennen, sie ist wie alles andere vom grauen Nass aufgelöst. Ich antworte der Schaffnerin, dass das hier nicht meine Haltestelle ist und danke ihr fürs Wecken. Die Schaffnerin nickt kurz und lässt mich in Ruhe. Zwei neue Passagiere haben hinter dem Sitz der Frau Platz genommen. Sie unterhalten sich fröhlich und teilen sich eine kleine Chipstüte. Der Zug fährt weiter und ich bereite mich darauf vor, an der nächsten Haltestelle auszusteigen, indem ich meine Sachen zusammensuche. Da entdecke ich den Schal auf dem Platz neben mir. Ich kann mich nicht erinnern, ihn zusammengelegt zu haben. Meistens gehe ich sorglos mit ihm um, stopfe ihn in meine Tasche oder lasse ihn zusammengeknüllt herumliegen, und ich dachte, das hätte ich auch diesmal gemacht. Aber nun ist der Schal sorgfältig zusammengelegt, mit einer Seite offen zum Betrachter – zu mir. Es macht einen einladenden Eindruck. Ich stelle mir vor, dass sie die Schals so in französischen Luxusboutiquen zusammenlegen, solche, in denen man auch Parfüm kaufen kann.
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