Dies ist die geistige Funktion des fließenden Sprechens: Die Gedanken lenken und bestimmen den fließenden Inhalt. Das ist eine reiche Gabe für das Gefühl der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft und die Entwicklung der eigenen Fähigkeiten.
*
Das Stottern
Er oder sie stottert. Das ist erschreckend, witzig, krank – es wirkt nervös, hilflos, mitleiderregend, unfähig, dumm? Ich stottere und fühle mich minderwertig, verängstigt, behindert, erniedrigt, wertlos, benachteiligt, mutlos, zurückhaltend, einsam, angespannt, nicht zugehörig.
Dies ist die geistige Funktion des stotternden Sprechens: Die Gedanken bestimmen zwar auch hier den Inhalt, doch Sprechangst entsteht. Somit konzentrieren sich die Gedanken auf das Stottern, suchen nach Wortersatz, überprüfen den Inhalt, suchen das Ende des Sprechvorgangs, erkennen das Versagen – eine Zwangsjacke mit negativem Etikett.
*
Das Heute aus der Vergangenheit gewinnen
In unserem Leben ist die Vergangenheit unveränderbar besetzt mit wichtigen Erfahrungen und eingeprägten Meinungen aus der Kindheit. Im weiteren Leben kommen neue Erfahrungen, Bereicherungen und Probleme hinzu, die unsere persönliche Vergangenheit vergrößern und es uns in einem höheren Alter dann erlauben, dem Bild des Lebens einen Rahmen zu geben, um es zu vollenden.
Besondere Erfahrungen und Meinungen, die eine Basis für den weiteren Lebensweg bilden und die Entwicklung sowohl positiv als auch negativ lenken können, bestimmen unseren Werdegang. Diesen Erfahrungen besondere Aufmerksamkeit zu schenken, sollte in Gegenwart und Zukunft die Grundlage für den Platz im Leben und Orientierung für uns sein.
Die frühkindlichen Erfahrungen, die sich auf der Bühne des beginnenden Daseins wie Wurzeln eines jung gepflanzten Baumes ausbreiten und sich verankern, leiten die Nahrung für das stetige Wachstum weiter und bilden einen Stamm aus, um dann in Blüte und Frucht ihre Bestimmung zu finden.
Ich möchte hier meine Lebenserfahrungen – die im engen Zusammenhang mit einem Menschen stehen, der stottert – in ihrer Entstehung, ihrem Vorgang, Erlebnis und Ereignis, ihrer Erkenntnis, Übung und Begegnung wiedergeben, ohne dabei perfekt sein zu wollen. Möge derjenige, der Interesse zeigt, seine Erfahrung bereichern.
*
Mein aktueller Standpunkt: Leben mit dem Stottern
Meines Wissens und meiner nun schon jahrelangen Erfahrung zufolge beginnt das psychische Stottern niemals bei einem erwachsenen Menschen. Auch in der Veranlagung eines Kindes, sei es bereits im Mutterleib oder später in der Kinderwiege, kann das Stottern nicht als ursprünglich erkannt werden. Wer Gegenteiliges behauptet, hat selbst noch nie gestottert, vermutet eventuell ein wundersames und störendes Geschehen oder ist auf der Suche nach anatomischen Fehlern. Er sollte den Versuch unterlassen, einen stotternden Menschen fließendes Sprechen zu lehren, um ihn vor weiteren Rätseln und noch mehr täglich auf ihn einwirkenden Problemen zu bewahren.
Wenn der Motor eines Autos stottert, kann es für die weitere Nutzbarkeit des Autos hilfreich sein, einen Kfz-Mechaniker mit dessen Reparatur zu beauftragen. Der Mensch allerdings ist keine Erfindung von Konstrukteuren und benötigt keine Reparatur mechanischer Art an Ventilen und Stellschrauben.
Es ist erwiesen, dass nahezu jeder jugendliche und erwachsene stotternde Mensch die Worte in seiner erlernten Muttersprache kennt und somit keine Hilfeleistungen oder auch Vorbeter benötigt. Auch derjenige, der stottert, wird Worte nach seinem Verständnis und seinen Wünschen für seinen Gebrauch verwenden, um sich mitzuteilen, um gehört und verstanden zu werden. Es ist eine Tatsache, dass jeder Mensch, der stottert, auch fließend sprechen kann, sofern keine körperliche Beeinträchtigung der Sprechorgane vorliegt.
Hat ein gestörtes Sprechen allerdings eine anatomische Ursache, kann dies mit medizinischen Möglichkeiten abgeklärt und behandelt werden.
In vielen Praxen, Instituten und auch in der Literatur stapeln sich die Angebote, das Geheimnis des psychischen Stotterns zu lüften, ein fließendes Sprechen zu trainieren und zu erreichen. Nicht selten wird die Ursache des Stotterns als Schuld anderer identifiziert und so für den Betroffenen eine falsche Fährte gelegt. Dies kann letztlich völlige Hilflosigkeit und auch Frustration bewirken. Weil das eigene Mitwirken am blockierenden Sprechen nicht erkannt und nicht akzeptiert wird, sieht sich der Betroffene kaum dazu veranlasst, dafür Verantwortung zu übernehmen.
In allen Phasen der Versuche, das Stottern durch Sprechübungen in ein fließendes Sprechen umzuleiten, werden falsche Hoffnungen geweckt und wird psychischer Druck auf den Betroffenen ausgeübt, der letztendlich nur das Symptom des Stotterns zu verdrängen lernt, was kurzfristig zwar erfolgreich erscheint, aber die psychische Stabilität eines doch ansonsten gesunden Menschen herabsetzt und letzten Endes Versagensängste in nahezu allen relevanten Sprechsituationen hervorruft.
Dies sind zumindest die Erkenntnisse aus meinen Erfahrungen.
*
Mein erreichtes Verständnis
Meine Stimme, meine Sprache, Singen und mit einer Gruppe Gedichte vortragen, verhelfen mir zu der Gewissheit, kein Stotterer zu sein, eher ein Mensch, der in bestimmten Situationen gelegentlich stottert. Um eine für mich annehmbare Ursache des Stotterns zu ermitteln, ist es wichtig, auf mein Verhalten zu schauen. Um meinen Bedürfnissen, Wünschen und Vorstellungen die Orientierung auf die gewohnten und erstrebenswerten Lebensziele zu ermöglichen, auch wenn diese Ziele nicht immer vorteilhaft, förderlich und hilfreich sind für eine befreite, selbstbewusste und erfolgreiche Lebensgestaltung.
So lässt sich für mich ableiten, dass Stottern sehr stark mit Verhaltenszielen verbunden ist, die im Unterbewusstsein gespeichert sind und in nahezu allen Lebenssituationen nach Erfüllung streben. In meinem erwachsenen Umfeld, in der Gemeinschaft mit anderen, sind die früh in der Kindheit gefassten Meinungen mit Aufmerksamkeit und verständnisvollem Blick gut erkennbar. So erklärt sich ein problematischer Zugang zur kommunizierenden Gemeinschaft. Der Abstand in der Kommunikation zu anderen Menschen, der je nach Erfahrungen klein oder groß sein kann, bestimmt mein Leben mit anderen Menschen.
Mein Dilemma ist die irrationale Forderung an die Gemeinschaft der anderen: Das Stottern, meine frühkindliche Entscheidung, ist ein Hinweis, ein Gebot, zudem auch eine Forderung an die anderen, meine Bedürfnisse und Erwartungen zu beachten und zu erfüllen. Diese irrationale Zielstellung enthält zugleich eine Kampfansage an die Gemeinschaft – ein Kampf, der nicht zu gewinnen ist.
*
Ein rationaler Gedanke
Da ich die Funktion der Blockierung des Sprechens selbst steuere, bedarf es eines guten Basiswissens, die Ziele der Blockierung in meinen kindlichen Verhaltensmustern zu erkennen, um Alternativen dazu entwickeln zu können. Es ist notwendig, Vertrauen zu meinen Fähigkeiten zu finden, ja, mit Mut den versäumten oder verdrängten weiteren Lernprozess des fließenden Sprechens aus der Kindheit neu zu bedenken, aufzulegen und zu trainieren, um die nötigen Grundlagen für das normale fließende Sprechen zu schaffen.
Verantwortung für ein fließendes Sprechen hat immer der Redner selbst im Vertrauen auf seine guten Fähigkeiten und Eigenschaften. Sprechen ist und bleibt nur das Vertonen von Gedanken. So könnte auch eine Feststellung begründet werden, dass Gedanken bereits stottern.
Es ist eine Tatsache, dass Gedanken bewusst oder unbewusst viele Funktionen des Körpers steuern. Das Verändern der mit frühkindlichen Erfahrungen, Ängsten und Meinungen belagerten Gedanken setzt den absoluten Willen und die Bereitschaft voraus, in das Erwachsensein zu blicken, die Realitäten