Nach drei Stunden taten ihr die Augen vom vielen Lesen am Bildschirm weh, aber sie hatte einiges herausgefunden: Sie wusste nun, dass BDSM (wie es im Ganzen hieß) ein breites Feld vieler Vorlieben war. Außerdem hatte sie erfahren, dass der Gegenpart der Sub der »Dom« war. Er war derjenige, der die Macht hatte über seine Sub, der auf sie achtgab, ihr aber auch Regeln auferlegte, deren Missachtung bestraft wurde. Der, der die Verantwortung hatte und der Sub erst dieses unglaubliche Gefühl der Geborgenheit ermöglichte – eben dadurch, dass er klarmachte und ausstrahlte, dass er auf sie aufpasste, wenn nötig auch durch Schmerz. Aber erst die geistige Kontrolle, die den anderen selbst in Abwesenheit dazu bewegte, nichts zu tun, was ihm untersagt worden war, erst das war klassische Dominanz und Unterwerfung.
Sie hatte einen tollen Satz gelesen, der sie gleichzeitig faszinierte und ihr bestätigte, dass es Sina bei der Sache gut ging: »Dominanz bedeutet nicht, jemanden in die Knie zu zwingen, sondern in ihm das Gefühl zu wecken, auf die Knie gehen zu dürfen.«
Langsam wurde sie müde, das war heute alles ziemlich viel gewesen. Sie schaltete den Laptop aus und ging ins Bad, um sich die Zähne zu putzen.
Im Bett las sie noch eine Weile in einem Krimi, aber so richtig konnte sie sich nicht konzentrieren. Also machte sie das Licht aus, drehte sich um und schlief tatsächlich auch recht schnell ein, allerdings nicht, ohne sich in wirren Träumen zu verlieren.
Schnell wechselten die verschiedenen Träume, ohne jeglichen Zusammenhang. Sie fand sich in dem Club wieder, von dem Sina erzählt hatte, sah Leute, die sie nicht kannte, in freizügiger Kleidung herumlaufen. Dann war da das Gespräch mit Sina am Nachmittag, die aber plötzlich in schwarzer Korsage vor ihr saß, und Marc, der sie zu sich zitierte. Und wieder wechselte der Schauplatz: Sie sah sich selbst dabei zu, wie sie auf ihrem Bett lag, nackt und gefesselt, mit einer Augenbinde. Das Zimmer war nur gedämpft beleuchtet und vor dem Bett stand ein fremder Mann. Er ging um das Bett herum und betrachtete sie ausgiebig, trat neben sie und hielt seine Hand knapp über ihre Brüste. Sie spürte die Wärme, aber keine Berührung. Ihre Brustwarzen stellten sich auf und ihr Atem ging schneller, stoßweise. Dann endlich die ersehnte Berührung – langsam strich er ihr über die Brüste, den Bauch und die Beine entlang – ein unglaublich schönes Gefühl. Die Berührung endete abrupt, als er einen Schritt zur Seite machte und nach einer Kerze griff, die auf dem Nachttisch neben dem Bett brannte. Luna erschrak, er würde doch nicht …? Zuerst hielt er die Kerze neben sie, damit sie die Hitze spürte, dann vergrößerte er den Abstand, hielt die Kerze über ihre Brüste. »Vertrau mir«, flüsterte er und kippte die Kerze etwas, sodass das Wachs zu tropfen begann. Ein Schmerz durchfuhr sie …
Luna schreckte hoch, sah sich um und stellte fest, dass sie allein war und in ihrem Zimmer in ihrem Bett lag, schweißnass. Was hatte sie da nur geträumt?
Noch ein bisschen durch den Wind verschwand sie unter der Dusche. Das heiße Wasser auf der Haut tat gut, es erinnerte sie jedoch postwendend an ihren Traum. Trotz des warmen Wassers lief ihr ein Schauer den Rücken herunter. Sie schloss die Augen, seifte sich ein und wieder drängte sich der Traum in ihr Bewusstsein. Sie ließ ihn noch einmal vor ihrem inneren Auge ablaufen. Da spürte sie noch etwas – nicht nur die Gänsehaut, die sich bei dem Gedanken an die Vorgänge in ihrem Traum immer noch einstellte, sondern noch etwas anderes, ein Gefühl, das sie kannte – dieses warme Gefühl in ihrer Leistengegend … Was war nur mit ihr los? Seit dem Gespräch mit Sina und ihrer Internetrecherche war sie einfach nicht mehr dieselbe. Sie versuchte, das Gefühl zu ignorieren und stellte das Wasser ab.
Nachdem sie sich fertig gemacht hatte, griff sie zum Telefon und machte es sich mit einem Kaffee auf dem Sofa gemütlich. Sie nahm an, dass dies ein längeres Gespräch werden würde.
Sina ging sofort ans Telefon.
»Na, hast du schon sehnsüchtig darauf gewartet, dass ich anrufe?«
»Na ja, sagen wir es so: Ich freue mich, dass du dich meldest. Hast du unser Gespräch von gestern etwas verdaut?«
»Ja, das hab ich, zumindest ist der erste Schreck überwunden. Was ich dir noch sagen wollte: Für mich ändert das nichts, du bist meine beste Freundin, egal was dir gefällt oder nicht. Ich halte dich nicht für unnormal oder so!«
»Danke, dass du das sagst.« Sina atmete erleichtert auf.
»Jetzt erzähl mal: Wie hat das mit Marc angefangen?«
Sina erzählte von ihrem zweiten Besuch in der Kneipe, wie sie sich – nachdem Kim und Tom sie allein gelassen hatten – lange mit Marc unterhalten hatte. Und dass er dann nach ihrer Nummer und einem Treffen – allein oder auf der nächsten Party dort – gefragt hatte, aber ohne irgendwie aufdringlich zu sein.
»Und wie ging es dann weiter?« Luna war nun doch neugierig.
»Wir haben uns tatsächlich auf der nächsten Party dort wiedergetroffen. An dem Abend war nur Kim dabei, Tom musste arbeiten. Ich hatte Marc eine Nachricht geschickt und Bescheid gesagt, dass ich und Kim hingehen wollten, und er hat sofort zugesagt. An dem Abend waren wir ja nun zu dritt, daher ist da nicht weiter was gewesen, außer dass wir uns für den nächsten Tag auf einen Kaffee verabredet haben. Den Rest der Geschichte kennst du, wir haben uns weiter ab und zu getroffen und irgendwann hat es gefunkt.«
»Ich meinte eigentlich, wie er dir dann das Ganze schmackhaft gemacht hat. Also, wie bist du auf die Idee gekommen, das auszuprobieren?« Als Sina nicht gleich antwortete, erklärte sie noch: »Ich hab gestern einiges zu dem Thema im Internet gelesen. Ich wollte wissen, was das alles zu bedeuten hat, aber so richtig weit bin ich nicht gekommen.«
Sina zögerte einen Moment. Wahrscheinlich wollte sie ihr nicht so viel auf einmal zumuten oder überlegte, wie sie anfangen sollte, um sie nicht doch noch zu verschrecken. »Okay, ich versuch es dir zu erklären, frag einfach, wenn du nicht mitkommst.«
»Mache ich.« Luna war mehr als gespannt.
»Ich wusste von Anfang an, dass er diese Vorliebe hat, und er wusste, dass ich damit weder Erfahrungen hatte noch anstrebte, es zu probieren. Nach ein paar Wochen sprach ich das Thema einfach an und fragte ihn, ob ihm nicht etwas fehle. Kim hatte mir vor einiger Zeit mal ihr Leid über die Zeit geklagt, in der sie mit Männern zusammen gewesen war, die nicht auf SM standen. Somit hatte ich eine Ahnung, dass es bei ihm vielleicht auch so sein könnte – egal, wie ernst es ihm mit mir war. Ich musste es einfach wissen. Er schlug vor, eine Runde spazieren zu gehen, um sich ganz offen darüber unterhalten zu können.
Zuerst hat er mich gefragt, was ich mir unter SM vorstelle. Ich wusste im ersten Moment gar nicht, was ich dazu sagen sollte. Schließlich fielen mir ein paar Dinge ein, die ich von Kim wusste. Und ich hatte mitbekommen, dass Tom die ein oder andere Sache auch in der Öffentlichkeit nicht duldete und Kim sich einen bösen Blick einfing, wenn sie es doch tat. Da war zum Beispiel das Zappeln mit dem Bein, wenn sie die Beine übereinandergeschlagen hatte, oder das ständige Spielen mit ihrem Zungenpiercing zwischen den Lippen. Ich hatte das Spiel zwischen den beiden immer eher amüsant gefunden. Und dann kam ich natürlich erst mal mit den »Klassikern« um die Ecke – Schmerzen, Zwang, Schläge und Strafe. Da hat er ein bisschen geschmunzelt und ich hab es ihm fast übel genommen, dass er sich über mich lustig gemacht hat. Sollte er doch mal erklären, worum es denn dann ginge!
Er kam fast schon ins Schwärmen, als er von der Hingabe und dem grenzenlosen Vertrauen zu erzählen begann und davon, wie sanft und anschmiegsam ein Herr seine Sub behandeln konnte. Ich hab ihm lange zugehört, hab auch verstanden, was er sagte, aber so richtig nachempfinden konnte ich es nicht. Nach einer langen Pause fragte er mich dann einfach, ob er es mir zeigen dürfe, nur um mir zu vermitteln, was es bedeuten kann.
Ich hab damals recht schnell und aus dem Bauch heraus zugesagt, es mal zu probieren – zu verlieren hatte ich ja nichts. Ich glaube, in dem Moment war auch eine gehörige Portion Neugier dabei. Marc hat sich unglaublich gefreut, dass ich mich darauf einlassen wollte, aber an dem Abend ist erst mal nichts weiter gewesen.
Die Woche über konnten wir uns nicht oft sehen und ich dachte schon fast, dass er gar nicht mehr daran dachte. Aber als wir uns dann für das Wochenende verabredeten, kam das Thema wieder auf, allerdings