Seelenfeuer. Cornelia Haller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Cornelia Haller
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Исторические детективы
Год издания: 0
isbn: 9783839268421
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aneinander. »Grete Muntz solltet Ihr vielleicht kennen, sie sorgt dafür, dass die Stadt nicht ganz verlottert. Ihre Art der Geburtshilfe ist auch im Sinn der heiligen Kirche, und wenn Ihr klug seid, lasst Ihr Euch von ihr unterweisen.«

      »Also gibt es eine zweite Wehmutter?«

      »Eine Wehmutter«, wiederholte Sauerwein abfällig. »Nun, die Muntzin ist doch wohl ein wenig mehr. Sie empfiehlt die Seelen in den Himmel. Wenn so viele Kinder unter der Geburt den Tod finden, nicht zu reden von den Weibern, ist es das einzig Sinnvolle«, entgegnete er kalt.

      Luzia schüttelte den Kopf. »Deshalb ist es ja so wichtig, dass die Frauen eine Hebamme holen lassen und nicht unter den unwissenden Händen irgendwelcher Nachbarsfrauen niederkommen.«

      Sauerwein musterte sie mit zusammengekniffenen Augen. »Merkt Euch eins, Jungfer Muntz ist nicht irgendeine Nachbarsfrau. Sie ist ohne Fehl und Tadel und sicher die ehrbarste Frau der ganzen Stadt.«

      »Das bezweifle ich nicht. Dennoch sollte die Geburt von einer ausgebildeten Wehmutter mit Erfahrung begleitet werden.«

      »Unsinn!«, fuhr ihr Sauerwein über den Mund. »Den Weibern ist die Fähigkeit, ihren Nachwuchs zu gebären, eigen. Wir sehen es schließlich täglich bei Kühen und Schafen. Sie beherrschen es wie das Atmen, oder musstet Ihr erst lernen, wie man Luft holt?«, fragte er belustigt.

      »Aber …«

      »Spart Euch Eure Widerworte für einen anderen. Für störrische Weiber, wie Ihr eines seid, fehlt mir die Zeit«, sagte er scharf und wies ihr die Tür.

      Ehe sich Luzia versah, hatte ihr der Stadtmedicus die Tür vor der Nase zugeschlagen. Sie spürte, wie ihr vor Empörung der Schweiß ausbrach.

      Wütend machte sie sich auf den Heimweg. Einige Fremde kreuzten ihren Weg. Sie betrachteten sie mit einer Mischung aus Neugier und verhaltener Freundlichkeit. Die Ankunft der neuen Hebamme hatte sich in Ravensburg herumgesprochen, und durch ihr rotes Haar war sie leicht zu erkennen.

      Luzia griff zum Henkelkorb und verließ die Apotheke. Sämtliche Vorräte waren aufgebraucht und so nutzte sie den Markttag, um sich mit frischen Lebensmitteln einzudecken. Basilius hatte wirklich einen verwöhnten Gaumen, und Luzia gab sich große Mühe, ihn zufriedenzustellen. Als sie ihm an einem der ersten Tage eine grobe Dinkelgrütze zum Morgenmahl vorgesetzt hatte, hatte ihr Onkel sie lange angesehen, war aufgestanden und hatte dann den Honig geholt. »Wenn schon Brei, dann wenigstens gesüßt«, hatte er gesagt. Seither servierte Luzia morgens eine warme Milchsuppe mit Dörrobst, was dem alten Mann besser schmeckte.

      Nepomuk begleitete sie ein Stück weit, besann sich aber bald eines Besseren und verschwand in einer Seitengasse, aus der es schon nach Gekochtem roch.

      Der Morgen war noch jung, dennoch lag bereits eine ungewöhnliche Schwüle über dem frühen Herbsttag. Als Luzia am Rathausbrunnen vorbeikam, schöpfte sie eine Handvoll Wasser. Kühl und frisch benetzte es ihre Lippen.

      Wie ein großer, bunter Teppich breitete sich der Marktplatz vor ihr aus. Die Stimmen der geschäftstüchtigen Marktschreier erfüllten den gesamten Platz. Lautstark boten Bäuerinnen und Bauern ihr Obst und Gemüse feil. Bäcker und Metzger priesen ihre Waren als die besten. Hühner gackerten um ihr Leben, die Tautropfen auf den grüngrauen Wirsingköpfen glänzten in der Sonne. Vom Rand des Platzes kam wildes Hundegebell. In einer Ecke des Marktes hörte man das Klopfen und Hämmern der Kesselschmiede und Scherenschleifer. Korbflechter hatten ihre Waren vor sich aufgebaut und boten ihr Können feil. Es herrschten Lärm und Gedränge, die für Luzia ungewohnt waren. In Seefelden hatte es solche Menschenmengen nicht gegeben, nicht einmal sonntags in der Kirche.

      »Aber, das ist doch Luzia! Gott zum Gruße, kennst du mich nicht mehr?«

      Luzia drehte sich herum und fand sich in den Armen einer kleinen, älteren Frau wieder. Liebevoll drückte sie sie an ihren vollen Busen, und Luzia spürte ihre Wiedersehensfreude wie wärmende Sonnenstrahlen um sich.

      »Johanna! Sei gegrüßt. Wie ich mich freue. Wie geht es dir?« Luzia kannte die Frau des Baders bereits aus Kindertagen. Früher waren Johannas Tochter Susanne und sie Freundinnen gewesen.

      »Du trittst also in die Fußstapfen deiner Mutter, Gott hab sie selig?«

      Luzia nickte. »Ich werde mir alle Mühe geben, Ravensburg eine gute Hebamme zu sein.«

      Johanna sah sich vorsichtig nach Mithörern um, dann wisperte sie: »Versprich mir, dass du dich vor der alten Grete in acht nimmst. Seit deine Mutter nicht mehr lebt, sieht sie sich als Hebamme der Stadt. Jetzt fürchtet sie sicher um ihre Arbeit, deshalb nehme ich nicht an, dass Grete Muntz sich besonders freut, dass du zurückgekommen bist.«

      Schon wieder diese Grete, dachte Luzia. »Dann ist diese Frau also ebenfalls als Wehmutter tätig?«

      Johanna schüttelte den Kopf. »Nein, sie hat den Beruf nie erlernt, aber sie geht schon seit vielen Jahren in die Häuser der Frauen. Nebenbei richtet sie unserem Kaplan Grumper den Haushalt.«

      Luzia zuckte zusammen. Seit sie ihren Fuß wieder in diese Stadt gesetzt hatte, verfolgte sie Grumper, wenn auch nur mit seinem Namen.

      »Manche glauben sogar, der Kaplan schickt die alte Vettel in die Häuser, damit ihm ja nichts entgeht und er immer weiß, was in der Stadt geschieht. Du musst wissen, für Grumper gibt es den Beistand Gottes im Gebet, alles andere verteufelt er als lasterhafte Sünde. Er droht den Frauen sogar mit ewiger Verdammnis, sollten sie gegen den Willen der heiligen Kirche handeln, und Grete achtet peinlich genau auf die Einhaltung der kirchlichen Verbote.«

      Urplötzlich hatte Luzia das Gefühl, als würde der Boden unter ihren Füßen wanken. Und wieder schwoll das gefährliche Flüstern, das Zischeln aus ihrer Vergangenheit, in ihrem Kopf an. Diesmal vernahm sie noch eine weitere Stimme, die ihr wie ein glühendes Schwert durch die Eingeweide fuhr. Luzia fühlte Todesangst, und schlagartig wusste sie, dass sie im Begriff war, Stimmen aus der Zukunft zu hören. Quälend und eiskalt verlangten sie nach Antworten. Etwas abgrundtief Böses fraß sich durch ihren Leib, bis es schließlich ihre ungeschützte Seele erreichte. Sie spürte, dass sie dem niemals würde entrinnen können. Als am Rand ihres Blickfeldes leckende Flammen auftauchten, wich der Albtraum wieder.

      Luzia legte den Handrücken über die Augen und holte einmal tief Luft. Dann war sie wieder in den Gegenwart. Wie lange war sie in jener anderen Welt gewesen? Lange konnte es nicht gewesen sein, denn Johanna hatte nichts bemerkt und sprach zu ihr, als sei nichts gewesen.

      »… Grete kam erst vor wenigen Jahren nach Ravensburg. Anfangs wohnte sie als Pfahlbürgerin außerhalb der Stadt.«

      Luzia vernahm Johannas leise Stimme noch immer wie durch einen Nebelschleier.

      »Sie kam morgens zur Öffnung der Tore und half tagsüber im Seelhaus bei der Zubereitung der Mahlzeiten für die Pilger. Vor Sonnenuntergang musste sie wieder verschwinden. Damals hatte sie keinerlei Rechte. Erst als Kaplan Grumper auf ihre gottesfürchtige Jungfräulichkeit aufmerksam wurde, erwirkte er für sie das Bürgerrecht und nahm sie bei sich auf. Kurze Zeit später begann Grete, in die Häuser zu gehen.«

      Luzia atmete tief durch. Langsam verschwand das unangenehme Schwindelgefühl. »Mit welcher Begründung?«, wollte sie wissen.

      Johanna hob ihre Schultern.

      »Genau weiß das wohl keiner, aber Grumper sagte ihr schon bald eine besondere Verbindung zur Muttergottes nach, und du weißt ja selbst, dass die Frauen in ihren schwersten Stunden gern auf die Schmerzensmutter vertrauen.«

      Luzia nickte. Natürlich wusste sie das. »Göttlicher Beistand kann nie schaden. Aber durch das Beten allein kommt es selten zu einem guten Ende. Jetzt verstehe ich auch, was Doktor Sauerwein vor einigen Tagen meinte. Er erwähnte die hohe Sterblichkeit der Frauen und Kinder.«

      »Da hat er wahrlich nicht übertrieben«, entgegnete Johanna traurig und raffte ihr Schultertuch vor der Brust zusammen.

      »Aber bis vor wenigen Wochen gab es doch auch noch meine Mutter, sie hat den Beruf der Hebamme erlernt.«

      Johannas Blick verhieß nichts