- Oba rechtzeitig! Weißt eh, der Papa woart net gern.
- Is’ gut, Mama.
Um sieben versucht Gitta, den Galeristen zu erreichen, und erfährt, dass er sich heute noch nicht hat blicken lassen. Er ist verliebt, kichert seine Assistentin. Von mir aus, aber er soll verdammt noch mal anrufen, murmelt Gitta, nachdem sie auf die rote Taste gedrückt hat. Die Ausstellung ist in ein paar Tagen, und der Kerl hat noch keine Bilder ausgesucht. Was ist schon von einem zu erwarten, der Ivo Ungemach heißt? Nervös geht Gitta auf und ab. Eine Ausstellung. Die erste nach so vielen Jahren. Und das auch nur, weil Michi die Assistentin des Galeristen kennt. Paul war dagegen. Gitta widersprach. Sie wollte das unbedingt machen, nicht nur die täglichen Tasks auf der Liste abarbeiten, sondern endlich rauskommen.
Gegen acht klopft sie an Bernhards Tür. Du musst ins Bett, mahnt sie durch den geöffneten Spalt. Soll ich dir noch ein Brot streichen?
- Hab keinen Hunger.
- Na, dann Abmarsch!
Er diskutiert nicht, geht tatsächlich ins Bad, während Gitta aufs Mobiltelefon starrt, das sie seit dem Gespräch mit Ivos Assistentin nicht aus der Hand gelegt hat. Als Bernhard nach verdächtig kurzer Zeit zurückkommt, fährt sie mit den Fingern durch sein Haar, um zwei Konfettiplättchen zu entfernen. Paul hätte die Bürste geholt. Oder den Buben erneut ins Bad geschickt. Gute Nacht! Er drückt seinen Kopf gegen ihre Leiste und tapst barfuß zum Bett. Wo hat er bloß wieder die Socken gelassen? Gitta bleibt im Korridor stehen und beobachtet durch die offene Tür, wie Bernhard das Pyjamaoberteil verkehrt rum anzieht. Ronaldos Sieben groß vorne statt hinten. Nun muss er noch die Wächter für die heutige Nacht aussuchen. Er postiert einen Teddy und zwei Hasen am Fußende des Betts.
- Wann gehst du schlafen, Mama?
- Spät.
Sie weiß, das ist das beruhigende Zauberwort für ihren Buben, der zuweilen schlecht träumt. Da kommt die Mama schneller, wenn er verängstigt aufweint. Gitta beobachtet, wie er die kleine Lampe aufdreht, sich unter der Decke einrollt und die Augen schließt. Gleich darauf reißt er sie wieder auf.
- Geh nicht weg.
- Nein, ich bleib.
Gitta wartet ab, bis er tatsächlich eingeschlafen ist, ehe sie ins Atelier schleicht. Sie legt das Handy ins Ablagefach der Staffelei und greift zu einem der runden Pinsel. Nein, doch lieber den schmalen, flachen. Auch den steckt sie zurück in den Pinseltopf. Ivo wird sicher gleich anrufen. Sie nimmt das Handy, geht zum großen Fenster und starrt auf die aufflammende Straßenbeleuchtung. Eine geballte Ladung Strom schießt bis in die äußersten Winkel Wiens, nimmt dem hereinbrechenden Dunkel seinen Schrecken und dem Nachthimmel seinen Zauber. Vereinzelt blinken Sterne. Wahrscheinlich sind es die bereits erloschenen. Ihr Licht ist stärker als das künstliche. Gitta zieht einen Sessel ans Fenster und lässt sich hineinplumpsen. Sie schaltet das Handy auf Vibrieren und legt es in ihren Schoß. Die Sterne. Gitta beginnt, sie zu zählen. Schon als Kind ist sie daran gescheitert, aber so vergeht die Zeit auch heute noch.
Nach zehn ruft Ivo endlich an – ich steh vorm Haus –, rennt sie beim Betreten der Wohnung fast um – du, ich hab’s eilig –, begutachtet dann doch eingehend sämtliche Bilder, von denen er an die 30 Stück aussucht: Aquarelle, Gouachen und vor allem Ölgemälde. Gitta hört zum ersten Mal, dass eine Gemeinschaftsausstellung vorgesehen ist, nicht sie alleine der Öffentlichkeit präsentiert wird.
- Der Reinhard ist im Kommen, er malt gerade eine Kirche aus.
Reinhard! Ausgerechnet. Warum bleibt er nicht in der Kirche? Mit seinen Großformaten wird er Gittas Bilder bestimmt erdrücken. Das Ganze findet auch nicht in Ivos Galerie statt, sondern in einem neu eröffneten Golfclub außerhalb Wiens.
- Viele wichtige Leute werden kommen. Und Geldsäcke. Glaub mir, das ist der Durchbruch.
Für wen? Gittas Sujets, naturalistische Stillleben, verkaufen sich schlecht. Außer an Michi hat sie noch kein einziges Bild verkauft, und Michi zählt irgendwie nicht. Kindchen, du bist aus der Zeit gefallen. Vor 200 Jahren hätten sich ein paar aufstrebende Bürger deine Arbeiten zugelegt, aber heute? Dieses Urteil von Pauls Vater nagt immer noch an ihr. Er hat es laut verkündet. Vor zahlreichen Gästen. Und Paul hat so getan, als hätte er es nicht gehört. Ist sie tatsächlich bloß oldschool ohne eigene Handschrift?
- Erde an Mond. Ivo muss gehen.
- Was, wie bitte?
- Gitta, ich bin hier fertig.
- Ach so. Ja. Danke.
- Ich schick dann jemanden vorbei, um die Bilder zu holen.
- Wann?
- Ich melde mich.
Sie blickt dem feisten Mann nach, wie er die Stufen hinunterläuft, während sie sich kaum mehr auf den Beinen halten kann. Es ist fast Mitternacht. Ivo kann blaumachen, wann er will. Sie muss in der Früh aufstehen, ob sie will oder nicht. Punkt eins auf der To-do-Liste. Der wichtigste.
IV.
Aber mit mir selbst disputieren werde ich wohl dürfen. Oder mit den anderen Pappgestalten. Seht nur, wie zufrieden die blonde Schöne lächelt und ihre Mappe zuklappt! Wir sind auf unseren Posten, akkurat dort, wo sie uns haben will. Ja, Belisarius, Podest auch, aber Posten nicht minder. Eine wahre Prozession ist das, die unseren Saal verlässt. Natürlich keineswegs so beeindruckend wie jene in Preßburg, als die Durchlauchtigste Erzherzogin Maria mit Dero Durchlauchtigstem Herrn Gemahle in die Stadt zog. Prächtig gekleidete Abordnungen aus allen Komitaten begleiteten sie, keine müden Männer im fleckigen Arbeitsdrillich. Sie trugen pelzverbrämte Umhänge, ritten auf kostbar gezäumten Pferden, fuhren in reich verzierten Kutschen, schwenkten … Ob ich selbst dabei war? Nun, nicht direkt, doch man hat mir davon erzählt. Was, du willst keine Berichte aus zweiter Hand? Monsieur Belisarius seyn anspruchsvoll.
Schweigen wäre itzo aber falsch. Ich habe frohe Botschaft zu verkünden und will vermeiden, dass Mister Quality Paper erneut zur beleidigten Leberwurst mutiert. Deshalb muss ich Ihro Gnaden über die baldige Ankunft meines Freundes Carl in Kenntnis setzen. Ja, ich habe einen Freund, hier im Museum. Gleich wird er kommen und mich mit Don’t make such a face, ole guy! begrüßen. Ist das nicht vortrefflich? Hi oder How are you sagt er zu jedem, dem er auf seinem Weg durch den West Pavilion begegnet, egal ob Faun, Venus oder Pudel. Das mit ole guy allein zu mir. Er weiß meine stille Konzentration zu schätzen, kennt meine Bereitschaft zuzuhören. Verzieh nicht dein Zeitungsgesicht, Belisarius! Im Gegensatz zu dir schätzt Carl den Umgang mit mir. Während er alle Winkel der Gallery W102 überprüft, erzählt er von seiner Frau Prescence, die im North Pavilion bei den illuminierten Handschriften aufpasst, dass niemand mit Blitzlicht fotografiert. Wehe, sie erwischt einen! Oh boy! Besonders viel hält er auf seine beiden Töchter. Wenn er von ihnen spricht, wird er vor Vaterstolz noch größer und dicker, als er es ohnedies schon ist, und sein Vollmondgesicht strahlt wie der Kronleuchter der Szegetys bei einer Soirée. Die Ältere liest sicher die Los Angeles Times. Sie geht auf die Universität, hat ein Begabtenstipendium erhalten. My Sarena, she’s the bright one, lobt sie mein Freund. Die Jüngere, Deliza, ist nicht ganz so gescheit, dafür sportlich. In der Hockey-Auswahl ihrer High School ist sie der Star. Ich glaube, dass mein Freund die Sportskanone der Intellektuellen vorzieht. Das Spiel auf dem Rasen kennt er, das Studium der Chemie nicht. Mit der einen Tochter kann er noch reden, die andere ist ihm bereits entglitten in eine Welt, die von Molekülen und organischen Reaktionen beherrscht wird. She’s so damn clever. Wie Carl das sagt, klingt es anerkennend, das schon, aber mit Vorbehalt. Sarena ist dem gutmütigen Mann über den Kopf gewachsen, redet eine fremde, mit Phrasen und Formeln durchsetzte Sprache und entfernt sich immer weiter von dem, was einmal ihr Zuhause war und seines bleiben wird. I dunno. Das sagt er oft, wenn er nicht weiterweiß. Aber psst, hört ihr den schweren Schritt? Er kömmt.
Meine Verehrung, guter Mann. Schön, dass wir uns wiedersehen.
- What a sight, you and them mock-ups.
Was heißt hier Mock-ups? Ihr Kleisterköpfe seid gar keine