Ich geriet mit diesem Michael öfter in Streit und einmal auch in eine Rangelei, das passte sehr schlecht zu meinem Liebesempfinden für seine Mutter. Schon mit acht Jahren hatte ich gelernt, dass die viel besungene Liebe doch ein Spiel mit vielen Parametern sei, vollkommen unüberschaubar und mit vielen Hemmnissen und Widrigkeiten, ein Hindernislauf zu einer Illusion oder zur Seligkeit, die auch eine Illusion wäre?
Meine Seligkeit mit der Dodscha war bereits durch Schüchternheit und Schamgefühl und meine eigene Rollenvorgabe nahezu erstickt worden; nun war alles noch viel komplizierter. Und die Barrieren sollten sich noch weiter auftürmen:
Einmal traf ich sie in ihrem Zimmer; sie lag auf dem Bett und sang einen alten Schlager: „Ich tanze mit Dir in den Himmel hinein“. Wer ist „Dir“?, fragte ich mich, sie kann ja nicht mit mir tanzen wollen, so schmerzlich diese Einschätzung auch war.
Zu meiner tiefen Enttäuschung musste ich durch Getuschel der Nachbarn erfahren, dass ein anderer Mann gemeint war, der schon eine Frau und zwei Kinder hatte, und nun auch noch meine Maria!
Daran hatte ich lange schwer zu tragen. Doch aus meinem Horoskop erfuhr ich, dass die Zeit für mich arbeite, ich sei wohl die aufgehende Sonne, er der untergehende Mond, so interpretierte ich die kryptische Beschreibung in der Zeitung.
Doch es begann meine innere Ablösung von ihr; meine Gedanken waren bald nicht mehr von ihr gefesselt, die Attraktion ließ nach wie bei einer Sonne, die ihre Schwerkraft verliert und damit ihren kreisenden Planeten; unabwendbar für mich ein weiterer Verlust einer großen Liebe. Was half da noch ihr schöner Gesang: „Ich tanze mit Dir“, wenn nicht ich gemeint war, der tanzte und dann zur Belohnung auf ihrem so schön gewölbten Bauch liegen durfte, mit den beiden Hügeln rechts und links vor seinem Gesicht, ihrem Duft und ihrem raschen Atem? Ich kannte das schon in Ansätzen und es könnte noch eine Steigerung des Glücksgefühls geben.
Unter dem Fenster ihrer kleinen Kammer befand sich ein Vordach mit abschließbarem Schuppen darunter. Zu erkennen waren verschobene Dachziegel, dort musste „er“ aufgestiegen sein zu ihrem Fenster, ein Schock für mich. Den werde ich fangen, die Dachlatten werde ich ansägen; er wird abstürzen in unseren Schuppen, dann werde ich auf das Dach klettern und ihm eine lange Nase zeigen, so mein wütender Plan. Doch es war mir nicht möglich, diese Falle aufzustellen; es fehlte mir an Größe, an Kraft, an allem. So musste ich diese Zeit durchstehen, abwechselnd wütend und traurig.
Im Dörfchen war sie rasch in Verruf geraten, viele Männer stellten ihr nach im Glauben, sie sei ein leichtes Mädchen; sie tauchte in meiner Familie nicht mehr auf und zog bald in ein anderes Dorf.
Wie kompliziert und vergänglich die Liebe sein kann, habe ich sehr jung erfahren; dass es selten eine Frage für zwei ist, sondern immer ein vertracktes Spiel mehrerer, Bekannter und Unbekannter, miteinander oder meistens gegeneinander. Mein Glaube an unschuldige und reine Liebe hat in dieser Zeit erste Kratzer bekommen; war nicht mein Wechselspiel von Lisa auf Dodscha opportunistisch; wo es das Süße gibt, da ist mein Herz; nicht umgekehrt, wie Infantile glauben?
Maria konnte nicht ahnen, dass ein Zehnjähriger sie liebt, dass diese Liebe naiv, unverdorben und tief wie das Meer sei; eine helle Kinderstimme kann solche Empfindungen nicht formulieren; und wie hätte sie reagieren sollen?
Nun war ich ein langes Jahr allein, all die schönen Mädchen um mich fanden keinen Nistplatz in meinem erschöpften Herzen, Hildegart, Renate, Rita nicht, Lisa schon gar nicht und Dodscha ein bisschen und mit Schmerz.
„Und than“: Ich traf sie nochmals als bereits gealterte Frau, weißhaarig und etwas gebeugt; ich nahm sie in die Arme und hielt sie lange fest, sah ihr in die Augen, sie hatte mich vor langer Zeit so schrecklich betrogen; sie konnte es nicht wissen, hätte es aber fühlen können. Von meinem langen Hoffen auf ihre Liebe erzählte ich nichts, die „Schnulze“ von Lilian Harvey blieb in meinem Kopf.
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