Nachbarn. Nele Sickel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nele Sickel
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Научная фантастика
Год издания: 0
isbn: 9783947550562
Скачать книгу
aber Bren ließ sich stattdessen mit einem kleinen Sprung auf der Tischplatte nieder. Daraufhin nahm er den Stuhl. Von dort aus sah er sie aufmerksam an.

      »Wieso suchst du deine Schwester?«

      »Dumme Frage. Weil sie weg ist.«

      »Weg im Sinne von was? Heute mal unpünktlich? Abgehauen? Entführt?«

      »Wie bitte kommst du auf entführt?« Diesmal war es an Bren, ihn misstrauisch zu mustern.

      »Ich meine, glaubst du, ihr ist was Schlimmes passiert?«

      »Wieso? Hast du was in der Richtung mitgekriegt? Hat ihr irgendjemand was getan?« Bren hatte Schwierigkeiten, die Panik aus ihrer Stimme herauszuhalten.

      »Nein, nein!« Der Fremde hob beschwichtigend die Hände. Er atmete tief durch und beugte sich ein wenig nach vorn. »Ich habe keine Ahnung, wo deine Schwester ist. Aber Pat ist auch verschwunden. Deshalb bin ich hier. Ich suche ihn. Inzwischen schon seit einigen Wochen.«

      »Was?«

      »Pat ist mein Vater.«

      »Pat hat ein Kind?«

      »Mehrere sogar. Mit Zugangsberechtigung für seine Wohnung. Was meinst du, wie ich sonst hier reingekommen bin? Ich bin Sioh. Hat er nie von mir geredet?«

      Bren schüttelte den Kopf.

      Falls diese Enthüllung Sioh zu schaffen machte, ließ er es sich nicht anmerken. »Als er sich plötzlich nicht mehr gemeldet hat«, erzählte er weiter, »bin ich hergekommen, um nach ihm zu sehen. Aber er ist weg. Einfach weg.«

      Bren runzelte die Stirn. Die Sorge in seiner Stimme klang echt. »Und du meinst, er wurde entführt?«

      Sioh schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Ich wüsste nicht, warum. Er wohnt ganz allein hier und das bisschen, was er besitzt, ist noch da. Es ist, als wäre er einfach eines Tages aus dem Haus gegangen und nicht wiedergekommen. Und wenn du jetzt sagst, dass es mit deiner Schwester auch so ist … Vielleicht ist ihr das Gleiche passiert wie ihm.«

      »Ich will dir ja nicht zu nahe treten«, setzte Bren mit aller Vorsicht an, die sie noch aufbringen konnte, »ich weiß ja nicht, wie eng dein Verhältnis zu deinem Vater war … ist … aber ich könnte mir schon das eine oder andere vorstellen, das ihm zugestoßen sein könnte. Er ist ein Junkie.«

      »Hey!«

      Bren hob die Hände, fuhr aber fort: »Zugegeben: Meistens hat er sich ganz gut im Griff, aber wer weiß? Vielleicht lungert er gerade irgendwo in den Straßen herum und ist voll auf 7D. Oder er hat Schulden gemacht, die er nicht zurückzahlen kann, und versteckt sich.«

      »Das glaube ich nicht. Er hätte was gesagt …«

      »Glaub es oder nicht. Meine Schwester ist jedenfalls kein Junkie und ihr ist sicher nicht das Gleiche passiert wie deinem Vater.«

      »Ach nein? Und was ist mit den anderen, die verschwunden sind? Waren das auch alles Junkies?«

      »Was denn für andere?«

      »Man erzählt sich Dinge …«

      »Meinst du mit man die alte Mape von unten? Du solltest nicht alles glauben, was sie sagt. Sie ist senil, denke ich.«

      »Nicht nur sie. Wie gesagt: Ich bin schon seit Wochen hier und versuche, meinen Vater zu finden. Ich hab mich überall in der Gegend umgehört. In den letzten Monaten scheint eine ganze Handvoll Leute verschwunden zu sein und kaum einer davon ist wieder aufgetaucht. Einige reden von Gangs oder Serienmördern. Andere meinen, die Leute wurden entführt, aber keiner hat von einer Lösegeldforderung oder so erzählt. Irgendetwas stimmt nicht. Irgendetwas geht vor.«

      »Du weißt, dass das verrückt klingt, oder?«

      Sioh lachte. Es war ein hartes, freudloses Lachen und wie er da saß, halbnackt in Pats einzigem Stuhl, überlegte Bren, ob er vielleicht wirklich nicht alle beisammen hatte. »Wenn du das schon für verrückt hältst, dann sollte ich dir wohl lieber nicht von meiner Theorie erzählen.«

      Brens Skepsis wuchs. »Was denn für eine Theorie?«

      Mit einem Mal musterte Sioh sie eingehend. Sein Blick fuhr von ihren Knien den Oberkörper hinauf und blieb an ihren Augen hängen. Er schien zu überlegen, ob er es wagen oder doch lieber einen Rückzieher machen sollte.

      Bren schaute ruhig zurück und bemühte sich, so wenig wie möglich von ihrer Anspannung zu zeigen. Sie wollte seine Prüfung bestehen. Trotz allem. Ja, vermutlich war er übergeschnappt und dann würde sie am Ende feststellen, dass sie lediglich ihre Zeit mit ihm vertan hatte. Genau wie mit Mape. Aber was, wenn nicht? Was, wenn er ihr doch helfen konnte, auf Cays Spur zu kommen? Es war ja nicht gerade so, dass sie sich vor Anhaltspunkten nicht zu retten wusste. Wenn er auch nur irgendetwas Interessantes mitbekommen hatte, musste sie es wissen.

      Glücklicherweise bestand ihr Pokerface und Sioh fuhr fort: »Okay, bevor ich loslege, mach dir bitte klar, dass ich wirklich nur von einer Theorie spreche. Es ist bestimmt nicht die einzige mögliche Erklärung und ganz sicher nicht die beste, aber es ist eine, auf die ich immer wieder stoße und bei der einfach einiges … ich weiß nicht … passt.«

      »In Ordnung.«

      Noch einmal atmete Sioh tief durch, setzte an, stockte aber gleich darauf. »Eins noch: Die reine Theorie klingt noch viel verrückter ohne die Erklärung dazu. Ich will es erklären. Also sag erst einmal gar nichts und lass mich ausreden, okay?«

      »Okay.«

      »Okay.«

      Wieder eine Pause. Bren gab ihr Bestes, ihre Ungeduld zu verbergen.

      »Feen!«, platzte Sioh endlich heraus.

      »Feen?«, echote Bren fassungslos. »Wie die aus Cinderella?«

      Er sah sie vorwurfsvoll an. »Du hast es versprochen!«

      Sie biss sich auf die Unterlippe und nickte.

      »Keine Holo-Figur mit Flügeln und Zauberstab. Nicht so was wie in den Kinderfilmen. Nein, ich meine, ich hab das recherchiert. Der Mythos ist alt, sehr alt.«

      Bren verkniff sich einen Kommentar dazu, dass man sein mühsam zusammengespartes Wikipedia-Geld sicher für sinnvollere Dinge ausgeben konnte als für die Suche nach Märchenfiguren. Das war nicht ihre Sache. Ihre Sache war es jetzt nur, zuzusehen, wie sie hier so schnell wie möglich heil herauskam.

      »Die Geschichten stammen aus ganz verschiedenen Teilen der Welt und sind immer wieder anders. Mal werden Feen als gut beschrieben und erfüllen Wünsche, mal sind sie hinterhältige Geister. Und einige von ihnen entführen Menschen, wusstest du das?«

      Bren schüttelte den Kopf. Woher sollte sie so etwas auch wissen?

      »Sie entführen sie nicht nur, sie verändern sie. Sie locken Menschen in ihre Welt, machen sie ihr altes Leben vergessen. Es gibt immer wieder Berichte von Festen und dem Essen da, das man nicht essen sollte. Von schönen Frauen, die Kinder zu sich holen und nie wieder hergeben.«

      »Und was genau hat das alles mit Pat zu tun?«, fragte Bren und rückte weiter auf die Tischkante, bereit für den Absprung. »Er ist kein Kind. Hast du ihn vielleicht auf einer Party verloren?«

      »Nein, aber es ist nicht so, dass die Vermissten gar nicht wieder aufgetaucht wären, weißt du? Ich habe von mindestens zwei Fällen gehört, in denen die Leute noch einmal gesehen wurden, aber sie waren verändert. Und da ist dieser neue Club, der vor ein paar Monaten im Glasviertel aufgemacht hat. Von dem war auch mehrfach die Rede. Man kommt nicht rein. Keine Ahnung, was da drin los ist. Aber es würde passen, oder? Partys, Drinks, unerklärliche Veränderungen … Und Leute, die zwar noch da sind, denen scheinbar nichts Schlimmes passiert ist, die aber einfach nicht mehr nach Hause kommen wollen.«

      Bren schüttelte den Kopf. Mit einem schwungvollen Satz sprang sie von der Tischplatte. »Klingt für mich nach einem neuen Umschlagpunkt für 7D oder, was weiß ich, 8D – gibt’s so was inzwischen? Jedenfalls nicht nach Feen oder Hexen oder sonst einem Hokuspokus.«