Nachbarn. Nele Sickel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nele Sickel
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Научная фантастика
Год издания: 0
isbn: 9783947550562
Скачать книгу

      »Und was ist mit deiner Drogentheorie?« Seine Stimme nahm einen sarkastischen Unterton an. »Sie könnte sich doch ganz relaxed in die nächste Dimension begeben haben und so benebelt gewesen sein, dass sie dich nicht erkannt hat.«

      »6D verursacht doch keinen Gedächtnisverlust, oder habe ich da was nicht mitgekriegt?«

      »Vielleicht war es kein 6D. Was meintest du gestern? 7D? 8D, falls es das schon gibt?«

      »Meine Schwester ist kein verdammter Junkie!« Bren fuhr mit dem Kopf herum und sah Sioh nun wieder direkt an. »Und sie war nicht benebelt.«

      »Ach ja? Du scheinst ja eine richtige Fachfrau für Drogen zu sein. Oh bitte, teile deine Weisheit mit mir!«

      Bren sprang vom Tisch, das Kinn zornig nach vorn gestreckt, die Hände zu Fäusten geballt. So schaute sie Sioh einen Moment von oben herab an, ehe auch er auf die Füße schnellte und sie wieder überragte.

      Sie standen dicht an dicht. Jeder funkelte den anderen an, knirschte mit den Zähnen und fand doch keine Worte, um sich und seinen Standpunkt zu verteidigen. Für einen Moment fragte Bren sich, ob sie sich jetzt wohl schlagen würden.

      Letztlich siegte die Vernunft. Immer noch verkrampft machte Bren einen Schritt zurück und lehnte sich wieder an die Tischkante.

      Darauf gab auch Sioh seine sprungbereite Haltung auf. »Also keine Drogen, da bist du sicher, ja?« Er verschränkte die Arme und ließ sich zurück auf den Stuhl fallen.

      »Ganz sicher.«

      »Und deshalb glaubst du mir jetzt?«

      »Da war mehr.«

      »Was sonst noch?«

      »Kleinigkeiten.« Bren sprang zurück auf die Tischkante und ließ die Beine baumeln. »Ich kannte keinen der Leute, mit denen sie unterwegs war. Ihr Kleid war neu. Sie … sie hat getanzt. Barfuß. Auf offener Straße und in einer Art, auf die ich sie nie zuvor habe tanzen sehen. Sie war die ganze Nacht in diesem Club und schien nicht das kleinste bisschen müde zu sein. Kalt war ihr auch nicht. Und als ich sie im Arm hatte, da war es … ich weiß auch nicht, sie hat sich anders angefühlt. Ich hatte den Eindruck, dass sie schmaler geworden ist, als sie eh schon immer war. Und, ich weiß nicht, kleiner vielleicht …« Sie unterbrach sich und zwang sich, Sioh anzusehen. »Das klingt total übergeschnappt, oder?«

      Er schwenkte den Kopf von einer Seite zur anderen, so als ob er verneinen wollte, entschied sich dann aber um und zuckte die Schultern. »Auch nicht verrückter als alles andere jedenfalls.«

      Bren seufzte. »Und dann kannte sie mich nicht und ging an mir vorbei und als ich ihr nachgelaufen bin, war sie weg. Einfach weg! Ich habe weder sie noch irgendeinen ihrer neuen Freunde wiedergefunden und glaub mir, ich habe wirklich gesucht.«

      »Tja«, brummte Sioh. »So viel zu deiner Drogentheorie. Woran auch immer man Drogen vielleicht die Schuld geben mag, sie sorgen nicht dafür, dass Leute sich in Luft auflösen.«

      »Ich weiß.«

      Wieder zuckte er die Schultern und sie schwiegen eine Weile.

      »Die haben gesungen«, sagte Bren nach ein paar Minuten in die Stille hinein. »Gesungen und getanzt. Als würden sie irgendetwas feiern. Ich hab nicht viel drüber nachgedacht, als sie vor mir standen. Da habe ich nur an Cay gedacht. Aber es wollte mir nicht aus dem Kopf gehen, als sie dann weg waren. Das Lied klang nach nichts, das ich kannte, und es wirkte alles so deplatziert, da mitten auf der Straße … Ich musste immer wieder daran denken, was du über die Feen und die Feste gesagt hast.«

      »Außerdem sind dir die vernünftigen Ideen ausgegangen, stimmt’s?«

      »Stimmt. Ich sage auch nicht, dass ich dir und deiner übergeschnappten Theorie glaube, aber ich bin bereit, zumindest drüber nachzudenken.«

      »Na, danke.«

      Er war verletzt, doch sie überging es. »Also: Feen. Was muss ich wissen?«

      Sioh schwieg und blickte sie nachdenklich an.

      »Was ist denn jetzt?« Sie versuchte erst gar nicht, ihre Ungeduld zu verbergen. Sie hatten genug geschwiegen.

      »Wenn ich es dir sage, wenn ich dir also helfe, deine Schwester zu finden, hilfst du mir dann auch, meinen Vater zu finden?«

      »Was?«

      »Das ist nur fair, oder?«

      »Ich hab aber keine Zeit, Pat suchen zu gehen. Nicht, solange Cay nicht zurück ist. Nicht, solange ich nicht weiß, was mit ihr los ist.«

      »Und du meinst also, du findest sie auf dich allein gestellt schneller, hm? Dann los, nur zu, verschwinde! Ich helfe dir so sicher nicht.« Er drehte sich auf seinem Stuhl ein wenig zur Seite und wies ihr die Tür. »Wenn du nicht bereit bist, das hier auf Gegenseitigkeit funktionieren zu lassen, dann hau ab!«

      Bren blieb, wo sie war, und machte keine Anstalten, sich zu bewegen. Sie spürte, wie ihre Augenlider schwer wurden. Sie war so müde. Und sie war es so leid, zu diskutieren.

      »Was ist jetzt?«, setzte Sioh nach. Er hatte seine Stimme erhoben und seine ausgestreckte Hand deutete immer noch gen Tür.

      Brens erster Reflex war es, die Arme vor der Brust zu verschränken, doch sobald sie dazu ansetzte, machte ihr der gebrochene Arm einen Strich durch die Rechnung. Um die Peinlichkeit des Fehlschlags zu kaschieren, fuhr sie mit der gesunden Hand stattdessen ihren bandagierten Arm weiter hinauf bis zur Schulter und fing an, ihre verspannte Nackenmuskulatur zu massieren.

      »Es ist nicht fair«, begann sie und schloss die Augen, als sich der befreiende Schmerz der Massage über ihren Nacken und ihre Schultern ausbreitete. »Du gibst mir deine verrückte Theorie und ich gebe dir was? Soll ich gemeinsam mit dir suchen gehen? Das ist viel zeitaufwändiger, als ein bisschen zu erzählen. Verdammt, du könntest vermutlich schon längst fertig sein, wenn wir uns dieses dämliche Hin und Her sparen und endlich zum Punkt kommen würden!«

      »So muss es nicht sein«, gab Sioh zurück. Auch er klang erschöpft. »Mir ist jede Hilfe recht. Wenn du Informationen für mich hast, dann gib mir die und wir sind quitt. Mir ganz egal, Hauptsache, es geht irgendwie voran.«

      Bren ließ ihre Hand von einer Schulter zur anderen wechseln. »So billig gibst du dich her?«, fragte sie und bemühte sich um einen spottenden Tonfall. In Wahrheit war sie voll bei der Sache. Sie musste sichergehen, dass sie nicht mehr gab, als sie bekam. Cay zuliebe.

      »Er ist mein Vater!« Der Frust in seiner Stimme brachte sie dazu, innezuhalten. »Und er hat niemanden außer mir. Nur Leute wie dich und all die anderen Idioten hier, die nicht mehr in ihm sehen als den Junkie und den Versager. Also ja, was immer ihm hilft, ich nehme es an.«

      Stumm blickte Bren zu ihm hinüber. Sie verstand besser als jeder andere, was es bedeutete, alles zu sein, was jemand hatte. Sie verstand es, und sie wusste, wie weh es tun konnte. Wie klein man sich fühlte, wenn man versagte.

      In diesem Moment sah sie sich selbst dort drüben im Stuhl sitzen. Sie sah die Einsamkeit, die müde Verzweiflung, und sie hatte Mitleid. Also glitt sie von der Tischplatte, überwand den einen Schritt, der sie voneinander trennte, beugte sich zu ihm und küsste ihn. Nicht aus Leidenschaft, nicht einmal aus Interesse, sondern zum Trost und auch, gestand sie sich ein, um ihn für sich einzunehmen. Für Cay. Es war ein stürmischer Kuss, forsch und fordernd. Sie ließ ihm keine Zeit, zu reagieren, keine Zeit, sich auf ihr Spiel einzulassen, teilzunehmen. So nah würde sie ihn nicht an sich heran lassen. Nicht jetzt. Nie. Sie küsste ihn und zog sich im nächsten Moment zurück.

      Als sie sich löste und wieder auf ihren Platz auf der Tischplatte zurückkehrte, sah Sioh ihr nach. Auch in seinen Augen brodelte es nicht gerade vor überquellender Leidenschaft, aber er sah besser aus. Nicht mehr so verloren wie zuvor.

      »Wieso hast du das gemacht?«, fragte er.

      »Warum?«, gab Bren mit dem Anflug eines Lächelns zurück. »Hat’s dir nicht gefallen?«

      »Du lenkst ab! Haben wir jetzt