Ist das FORM-System nur für traditionelle Radrennfahrer geeignet?
Auf keinen Fall. Alle Sportler definieren den Wettbewerb auf ihre eigene Art und Weise. Für den einen Radfahrer kann Wettbewerb bedeuten, ein nationales Straßenrennen zu gewinnen. Oder eine Fahrerin möchte ein regionales Gruppenrennen beenden, ohne hinter der Gruppe zurückzufallen. Wieder ein anderer Fahrer möchte in einem epischen Cross-Country-Rennen unter den ersten fünf in seiner Altersklasse landen. Unser System ist für Athleten konzipiert, die wenig Zeit haben, aber hoch motiviert sind. Wir möchten, dass dieses Buch von Sportlerinnen und Sportlern gelesen wird, die für ihren Sport brennen und bereit sind, sich voll und ganz auf den Weg zu Höchstleistungen zu begeben.
Wie hat das FORM-System seinen Anfang genommen?
Wenn Sie wie die meisten Radfahrer sind, haben Sie wahrscheinlich eine, wenn nicht sogar alle diese frustrierenden Situationen erlebt:
➜ Geringes Vertrauen in Ihr Fahrvermögen, Ihre Wettkampfleistung, Ihre Strategie oder Ihre allgemeinen Fähigkeiten.
➜ Das Gefühl, nicht stark genug oder schnell genug zu sein oder nicht genügend Ausdauer für das angestrebte Radsportniveau zu haben.
➜ Das Gefühl, dass es Ihnen in Wettbewerbsszenarien an Kontrolle mangelt, dass Sie bei schwierigem Gelände Probleme haben, und dass Sie mit Ihrer Tritttechnik und Ihrer Haltung auf dem Rad Energie verschwenden.
➜ Verwirrung durch widersprüchliche Ernährungsempfehlungen oder alles ausprobiert zu haben, um Ihre Ernährung zu verbessern, ohne Ergebnis.
Selbst als Profi-Rennfahrer habe ich all diese Probleme in dem einen oder anderen Moment erlebt. Wenn ich auf meine Karriere als Rennfahrer zurückblicke, ist es offensichtlich, dass es mir nie an körperlichem Talent gemangelt hat. Nachdem ich mich in jungen Jahren im Motocross versucht habe, entschieden meine Eltern, dass es zu gefährlich sei. Ein Nachbar, zu dem ich aufsah, war ein Mountainbiker, also fragte ich meine Eltern, ob wir ein Fahrrad kaufen könnten. Das taten wir, und was war das für eine wundervolle Freiheit! Kurz darauf, im Alter von 15 Jahren, nahm ich an meinem ersten Mountainbike-Rennen teil, dem Meadow Muffin Madness. Ich wurde Zweiter. Danach gewann ich fast jedes Mountainbike-Rennen, an dem ich teilnahm. Ich fuhr Rennen mit einigen der größten Radsport-Teams der Welt, darunter Fassa Bortolo, Discovery Channel und Garmin-Sharp.
Ich habe mich als Kletterer und als Bergfahrer ausgezeichnet. Am liebsten habe ich meine Fitness bei verschiedenen Anstiegen getestet, wie dem Mount Washington, dem Mount Evans und dem Col de la Madone, und Rekorde gebrochen. In den meisten Jahren zeigten meine Laktatschwellen-Tests, dass ich mit sehr hohen 7 Watt pro Kilogramm fahren konnte. Bei VO2-max.-Tests, die als das reinste Maß für das Leistungspotenzial eines Radfahrers gelten, erreichte ich selbst im College knapp über 90 ml / kg / min. (Zum Vergleich: Die meisten Freizeitsportler mittleren Alters erreichen 40 bis 55 Punkte. Chris Froome erzielte 84,6 Punkte im Jahr 2015, einem Jahr, in dem er die Tour de France gewann.)
Sportwissenschaftler sagten mir, dass ich genetisch gesehen der begabteste Athlet sei, den sie je gesehen hätten. Dass ich mit diesen Werten die Tour de France gewinnen würde. Nachdem ich diese Art von Vorhersagen gehört hatte, machte ich mich Jahr für Jahr daran, sie zu erfüllen. Ich spürte auch den Druck und machte es mir zur Aufgabe, mehr zu arbeiten und zu trainieren als meine Konkurrenten und sie hinter mir zu lassen.
Aber ich jagte immer der Idee hinterher, »einfach ein bisschen stärker zu werden«. Jeden Tag überschlug ich in meinem Kopf die folgende Rechnung: Wenn ich meine Leistung nur um X Watt steigern und Y Kilo abnehmen würde, dann könnte ich den Schwellenwert Z Watt pro Kilogramm erreichen. Das wäre genug, um zu gewinnen. Ich trainierte sechs Stunden lang, kam nach Hause, aß etwas Gemüse und dachte mir: Ich bin einen Schritt näher dran. Stärker zu werden diktierte jede einzelne meiner Handlungen auf und abseits des Rads. Das Traurige war, dass ich selbst dann, wenn ich diese Schwellenwerte für Leistung und Gewicht erreicht hatte, immer noch nicht gewonnen hatte. Dadurch geriet ich in eine Abwärtsspirale und fühlte mich wertlos und schwach.
Bei einigen Rennen erzielte ich ein gutes Ergebnis. Ich habe einige große Veranstaltungen gewonnen und bei der Tour de France 2011 den achten Platz belegt. Aber mir war klar, dass ich mein wirkliches Potenzial nicht ausgeschöpft hatte. Und dafür gibt es einen einfachen Grund: Ich hatte kein umfassendes Trainingsprogramm, das mich darauf vorbereitete, auf diesem Niveau anzutreten und erfolgreich zu sein. Mir fehlte ein Trainingsprogramm, das es mir erlaubte, in den Bereichen Fitness, Ausführung, Ernährung und Fokus beständig in Form zu sein. Ich kann unzählige Chancen nennen, die ich im Laufe meiner Karriere nicht nutzen konnte, weil mir eine dieser Komponenten fehlte.
Oft bin ich unsicher und ohne Ziel zu Rennen erschienen. Ich habe mich leicht vom Team von meinem Fokus abbringen lassen und war unfähig, meine mentale Ausrichtung zu ändern, wenn die Dinge nicht liefen wie erwartet. Ich hatte eine massive Angst vor dem Scheitern, sodass ich mich selbst dann, wenn ich mich gut fühlte, mit dem vierten oder fünften Platz begnügte, statt alles für den Sieg zu riskieren.
Im Training erreichte ich 6–7 Watt pro Kilogramm, aber im Rennen schaffte ich im Schlussanstieg häufig kaum 4 Watt pro Kilogramm und fiel zurück. Ich fühlte mich ständig verwirrt und besiegt. Im Rückblick kann ich erkennen, dass ich die unteren Leistungszonen nicht entwickelt hatte. Was ich daraus gelernt habe? Ich musste auf die Anforderungen der Rennen hin trainieren.
Bei den meisten Rennen hatte ich keine Ausführungsstrategie und habe meine Kraft auf der ganzen Strecke verschwendet. Während der Trainingsfahrten habe ich weder Angriffe noch Sprints geübt. Und ich habe selten auf meinem Zeitfahrrad trainiert. Meine zu restriktive Ernährung, von der ich annahm, sie sei der Schlüssel zu meinem Erfolg, schwächte mein Immunsystem, beeinträchtigte meine Erholung und reduzierte meine Gesamtleistung drastisch.
Ich dachte, dass es auf der höchsten Ebene des Sports Leute geben würde, die den Fahrern helfen, alle Feinheiten des Trainings auszuarbeiten. Und vielleicht gab es sie auch in anderen Teams, aber nicht in meinen. Sicher, wir hatten intelligente Menschen für die Leitung, die wissenschaftliche Seite, Ernährungsberatung und Training, aber sie alle besaßen ihre jeweils eigene Theorie und Spezialgebiete. Oft schien es, als würden sie nicht miteinander kommunizieren. Ich fühlte mich immer, als würde ich mit Informationen überschwemmt, mit »Gib alles« als Leitprinzip. Das habe ich also oft getan.
Erst als ich meine Frau Kourtney kennenlernte, begann ich, alles zusammenzusetzen. Sie stellte mir unnachgiebig Fragen zum Training und zu den Rennen – Fragen, auf die ich keine Antworten hatte. Wenn etwas funktionierte und ich versuchte, es zu ändern, fragte sie, warum ich es verändern wolle. Wir begannen, mit den Mitarbeitern des Teams zu sprechen und versuchten herauszufinden, was sinnvoll war und was nicht. Wir trugen all die Informationen, die ich im Laufe der Jahre erhalten hatte, zusammen und versuchten, das absolut Beste herauszufinden, was ich von jedem Spezialisten, mit dem ich zusammengearbeitet hatte, gelernt hatte. Damals waren wir uns dessen noch nicht bewusst, aber wir sammelten langsam Wissen und Informationen für die Zukunft.
Ich begann, auf die Besten in den Wettbewerben zu achten. Ich beobachtete, wie Alberto Contador seine Körperposition anpasste, als er zum Angriff ansetzte. Ich kam zum Frühstück ins Hotel und schaute zu Alejandro Valverde hinüber, um zu sehen, was er aß. Ich ging noch einen Schritt weiter und analysierte die Leistungsdaten anderer Fahrer. In einem Rennen zu Beginn meiner Karriere hatte ich die Leistungsdaten von Chris Horner gesehen. Er war vor mir mit deutlich weniger Leistung ins Ziel gekommen, also folgte ich ihm am nächsten Tag. Ich nahm zur Kenntnis, wie er sein Rad im Peloton platzierte, um Momentum zu gewinnen und zu halten und Energie zu sparen. Ich merkte es damals noch nicht, aber ich schuf damit die Grundlage für meinen bisher erfüllendsten Job.
Die Anfänge meines Trainingsprogramms
Ich habe es immer geliebt, unter Menschen zu sein. Gegen Ende meiner Karriere