Die Stimmung am Montagabend war düster. Alle waren völlig verunsichert. Die Leute auf der Strasse wirkten bedrückt bis verängstigt. In den Lebensmittelläden begannen die Hamsterkäufe. Ich wurde ebenfalls unsicher: Musste ich nun auch einkaufen gehen? Was, wenn die Versorgung der Geschäfte in den nächsten Tagen zusammenbrach? Ich entschied mich dagegen und wollte nur möglichst rasch nach Hause. Viele gingen ein letztes Mal in eine Bar oder ins Restaurant. Der Lockdown galt ja erst nach Mitternacht, und so gab es einige Bars, die noch ihre Bestände reduzieren wollten, und mindestens so viele Gäste, die sich dessen bewusst waren, dass dies wohl für Wochen ihr letzter Barbesuch würde. Ich ging nach Hause und zog es vor, mit einigen Freunden zu telefonieren.
Bis zum Ende der Sendung hatte ich wie eine Maschine funktioniert, hatte versucht, die Entscheidungen der Regierung zusammenzufassen, einzuordnen, und mit Experten gesprochen. Aber man entwickelt als Moderator in solchen Situationen eine gewisse Distanz zum Thema, um sich selbst zu schützen, um nicht selbst emotional zu werden. Umso mehr holten mich die Emotionen am Abend nach der Sendung ein, als ich plötzlich realisierte, dass das Ganze kein schlechter Traum war, aus dem man gleich aufwachen würde, sondern die Realität. Die Existenzsorgen des Vormittags kehrten zurück. Ich rechnete noch einmal zusammen, wie mein Kontostand Ende des Monats ohne all diese Mandate aussehen würde. Ich lud mir sogar zum ersten Mal in meinem Leben eine App aufs Handy, mit der ich die nächsten Tagen meine Ausgaben dokumentieren wollte – etwas, was ich zu meinen Studienzeiten das letzte Mal gemacht hatte. Ich schlief schlecht.
Aber es war nicht alles schlecht, was an diesem Montagabend geschah. Ich verschickte eine Textnachricht, die einen der Grundsteine für die Internetplattform «Local Hero» legen sollte. Und diese Nachricht veränderte den Verlauf des Lockdown für meine beiden Freundinnen Janine und Manu und für mich komplett, ohne dass wir das zu diesem Zeitpunkt wussten. Janine war bei dem Radiosender, bei dem ich Programmleiter war, viele Jahre verantwortlich für die Umsetzung von Promotionspartnerschaften und die Organisation von Events. Wir organisierten damals im Netzwerk unserer Sender grosse Hallen- und Stadionkonzerte, und solche Grossprojekte hatten uns zusammengeschweisst. Inzwischen arbeitete Janine zum einen in meiner Kreuzfahrt-Eventfirma mit, zum anderen war sie Marketingleiterin eines anderen Radiosenders. Die zweite Empfängerin meiner Botschaft, Manu, war langjährige Moderatorin und meine Nachfolgerin als Programmleiterin beim Radiosender, bei dem ich am besagten Montag wieder einmal moderiert hatte. Sie hatte gerade einen kurzen Abstecher zu einem öffentlich-rechtlichen Radiosender der Schweiz hinter sich und stand kurz davor, mit einem kleinen Pensum wieder beim vorherigen Arbeitgeber einzusteigen.
Schon einige Wochen zuvor hatten wir uns für den Dienstagabend, 17. März 2020 verabredet. Wir wollten miteinander ein Glas Wein trinken und uns grundlegende Überlegungen machen, ob wir nicht zusammen eine neue Firma starten wollten. Wir hatten nur vage Ideen, was wir genau tun wollten, eben das wollten wir gemeinsam erörtern. Wir arbeiteten schon sehr lange zusammen, kannten uns ausserordentlich gut, ergänzten uns ideal und hatten alle drei freie Ressourcen. Entscheidend für den weiteren Verlauf des Lockdown und für das Projekt «Local Hero» war, dass ich am Montagabend am Dienstagstermin festhielt. Ich gratulierte Janine, die an dem Montag Geburtstag hatte, und fragte, ob wir uns nicht einfach per Skype am Dienstagabend austauschen wollten. Beide sagten zu. Dass wir an unserem Treffen festhielten, war der letzte, aber entscheidende Baustein, dass unser erster Hero-Moment entstehen konnte.
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DIE HERKUNFT VON SUPERHELDEN
Superhelden werden selten als solche geboren. Die wohl bekannteste Ausnahme ist Superman, der seine Superkräfte der ausserirdischen Herkunft verdankt. Die allermeisten Superhelden werden erst in ihrer Adoleszenz zu dem, was sie am Ende auszeichnet. Es gibt bei praktisch allen den einen bestimmten Moment, in dem sie zum Superhelden werden. Das wird sehr oft durch Zufälle und äussere Umstände ausgelöst. So wird Spider-Man von einer radioaktiven Spinne gebissen, und die Mitglieder der Gruppe X-Men erhalten ihre Superkräfte durch eine Mutation. Oft entstehen Fähigkeiten oder Kräfte auch aufgrund von Experimenten. Die Fantastic Four zum Beispiel verdanken ihre Superkräfte kosmischer Strahlung, die ihre Moleküle verändert hat; in «Hulk» geht es um den Kernphysiker Dr. Bruce Banner, der nach einem Unfall mit einem Bomben-Prototyp starker Gammastrahlung ausgesetzt war. Aber ein solch entscheidender Hero-Moment allein reicht nicht, um den Charakter eines Superhelden zu formen und für seinen Erfolg zu sorgen. Genauso wichtig ist die Herkunft, ohne die das künftige Handeln des Superhelden wohl kaum die Prägung hätte, die sie hat.
In praktisch allen Spider-Man- oder Batman-Filmen werden die traumatischen und für die Entwicklung der Figur entscheidenden Momente aus der Kindheit des Helden eingeflochten. Viele Superhelden wurden während dieser Lebensphase unterdrückt, an den Rand der Gesellschaft gedrängt, waren der Ungerechtigkeit anderer ausgeliefert usw., bis sie sich ihrer Superkräfte bewusst wurden und erkannten, wie sie sich wehren konnten. Ein gutes Beispiel für einen solchen Wandel ist Captain America, der anfänglich von der Armee ausgemustert wird. Sein unbändiger Wille, dem Land zu dienen, führt am Ende dazu, dass er nicht nur aufgrund eines Experiments zum Superhelden wird, sondern sogar als inoffizieller Anführer der Avengers zur Führungsperson aufsteigt. Bei den meisten Superheldengeschichten sind Mut und Zivilcourage die zentralen Eigenschaften, die die Figuren zu dem machen, was sie sind. Und diese Eigenschaften bringen sie schon aus ihrer Herkunftsgeschichte mit.
Es sind also vor allem ihre Erfahrungen und charakteristischen Eigenheiten, die den Werdegang als Superhelden begünstigen. Spider-Mans Sinn für Gerechtigkeit, das technische Genie von Iron Man, Batmans eiserne Disziplin weisen schon früh auf Eigenschaften hin, die für den Superhelden später sehr wichtig werden. Vielen Superhelden wird ausserdem überdurchschnittliche Intelligenz nachgesagt, in Internetforen wird diskutiert, wer der intelligenteste Superheld ist, und immer wieder gibt es auch Versuche, aufgrund der in den Geschichten erwähnten Fähigkeiten Rückschlüsse auf den Intelligenzquotienten der Figuren abzuleiten. So wird Batmans IQ auf 192 geschätzt und der von Iron Man auf weit über 200.
Auffallend ist ferner, dass materielle Ressourcen ein weiterer Faktor sind, der den Werdegang zum Superhelden begünstigt. Iron Man kommt aus einer wohlhabenden Industriellenfamilie, und aufgrund seiner Herkunft kann er nach einer schlimmen Kriegsverletzung seine gepanzerte Rüstung entwickeln. Batman verfügt über keinerlei besonderen Superkräfte; seine Überlegenheit basiert vor allem auf Willenskraft, hartem Training, Intelligenz, technischen Hilfsmitteln und der enormen Finanzkraft aus seinem Familienvermögen. Schon mehrmals hat das «Forbes Magazine» die Finanzkraft der 15 reichsten fiktiven, aber nicht mythologischen Charaktere geschätzt. 2013 wurde das Vermögen von Bruce Wayne, Batmans Alter Ego, auf 9,4 Milliarden Dollar geschätzt. Die reichste fiktive Figur ist allerdings nach wie vor Dagobert Duck mit einem Vermögen von 65,4 Milliarden Dollar, immer laut «Forbes».
Aber zurück zu den Superhelden. In ihrer Herkunft liegt oft auch ihr wunder Punkt. Jeder Held hat seine Achillesferse, es ist aber wichtig, dass er seine verletzliche Stelle kennt und sie nicht der Gefahr aussetzt. Bei Superman ist es ein Material seines Heimatplaneten Krypton, das Kryptonit, das ihn in die Knie zwingt. Heute wird das Wort «Kryptonit» von vielen Menschen auch als geläufiges Synonym für den wunden Punkt einer Person verwendet. Übrigens: Erfunden wurde es 1945 in einer Superman-Radio-Show. Der übliche Sprecher der Hauptperson war krankheitsbedingt ausgefallen, und man wollte damit den kurzzeitigen Stimmenwechsel erklären. Der Gründer der X-Men, Professor Charles Francis Xavier alias Professor X, kennt jede Schwäche seiner Mutanten und hält in seinen «Xavier-Protokollen» eine Reihe von Plänen bereit, wie er mächtige Mutanten-Charaktere besiegen könnte, wenn sie zur Gefahr werden sollten. Hier spielen also diese Schwachstellen, diese «Achillesfersen» eine wichtige Rolle. Es ist wichtig, nicht nur die eigenen Schwächen, sondern auch die der anderen in einem Team zu kennen.
Seit über achtzig Jahren verfolgen Millionen Menschen jeden Alters die faszinierenden Geschichten der Superhelden in Comics, Filmen, Hörspielen und Videogames.