Seifritz wurde von dem zivil gekleideten Gangster in den kühlen Nebenraum gedrängt, wo metallene Aktenregale und ein weißer Tisch in grelles Kunstlicht gehüllt waren.
»Wie lange sind die Boten unterwegs?«, verlangte der mit einer kleinen schwarzen Pistole bewaffnete Mann Auskunft.
»Kommt drauf an«, erwiderte der Bankdirektor, während er mit dem Gangster im Archivraum verschwinden musste und der Uniformierte draußen bei Rilke und Lackner blieb. »Wenn bei der LZB viel Betrieb ist, kann es dauern.«
»Ungefähr?«, drängte der Räuber auf eine klare Antwort und zog die Tür von innen zu, ohne sie einrasten zu lassen. Auf diese Weise waren sie zwar außer Sichtweite, konnten aber verfolgen, was Rilke und der uniformierte Gangster sprachen.
»20 Minuten brauchen die Geldboten«, erklärte Seifritz, auf dessen Stirn sich Schweißperlen gebildet hatten. »Ich weiß nicht, wie der Verkehr heute früh in der Stadt ist.«
Die Luft in dem kleinen Archivraum war trocken, das sanfte Rauschen eines Gebläses zu vernehmen.
»Und wenn das mit den zwei Millionen nicht klappt?«, wagte Seifritz verzweifelt und flüsternd einen Vorstoß. Er musste diese Frage jetzt einfach loswerden.
Ebenso leise kam die Antwort seines Bewachers: »Dann gibt es ein Blutbad.«
Seifritz fühlte den Satz wie einen Stich in die Seele. »Ich möchte Sie wirklich bitten, meiner Tochter nichts anzutun«, presste er flehend hervor, ergriffen von der unbezähmbaren Angst, das Mädchen und er stünden kurz vor dem Tod.
»Ihrer Tochter geschieht nichts. Sobald wir das Geld haben, ist sie frei«, bekam er wieder zur Antwort, aber für ihn klang es nicht überzeugend. Er hatte Mühe, die wild rotierenden Gedanken zu sortieren. »Es könnte aber sein, bei der LZB wird jemand misstrauisch und versucht, mich telefonisch zu kontaktieren.«
»Wird er nicht«, erwiderte der Gangster ungerührt. Wieder schien es so, als könne das Verbrechen gar nicht anders als geplant ablaufen.
Sie standen sich mit verschränkten Armen gegenüber, schweigend, abwartend, immer wieder auf die Armbanduhren schauend. Alle paar Sekunden blinzelte der Räuber durch den schmalen Türspalt nach draußen, wo Rilke und Lackner, bewacht von dem Uniformierten, noch immer schweigend mit den Geldscheinbündeln beschäftigt waren. In der Ledertasche musste nachher noch Platz für zwei Millionen sein.
Der Uniformierte nickte den beiden Bankangestellten zu: »Gut gemacht. Sehr gut. Aber jetzt müssten die Boten doch bald auftauchen, oder wie sieht das aus?«
Die Männer versuchten, den unruhig gewordenen Verbrecher zu beruhigen. Rilke deutete auf die Geldtasche: »Da sind jetzt exakt 689.500 Mark drin.« Lackner ergänzte: »Das Restliche, was wir noch im Tresor haben, müssen wir drin lassen, weil wir sonst für die Kassierer hier im Hause nichts mehr hätten. Das würde auffallen.«
Weitere bange Minuten verstrichen, bis endlich die Aufzugstür und näher kommende Schritte zu hören waren. Für den Gangster ein paar Schrecksekunden. Alles ging so schnell, dass er keine Chance mehr hatte, nach nebenan ungesehen im Archivraum zu verschwinden. Die beiden Geldboten tauchten auf und blieben wie erstarrt stehen, als sie durch die Sicherheitsscheibe neben den beiden Bankangestellten den Uniformierten mit der Maschinenpistole erblickten. Lackner wollte die spannungsgeladene Situation entschärfen, kam heraus, ließ die völlig verdatterten Boten eintreten und nahm die Geldtasche entgegen. Obwohl so gut wie nichts gesprochen wurde, war den Ankömmlingen sofort klar, was geschehen war. Einer von ihnen, ein jüngerer Mann, deutete mit einer Geste unmissverständlich an, dass er nicht gewillt war, den Gangster kampflos mit dem Geld entkommen zu lassen. Dieser mutige Widerstand war jedoch schnell gebrochen, als der Uniformierte zu seiner umgehängten Uzi griff und den Lauf blitzartig auf ihn richtete. Erst jetzt schien der Geldbote den Ernst der Lage zu begreifen, verharrte in der Bewegung und trat mit seinem Kollegen vorsichtig ein paar Schritte zurück.
Lackner und Rilke hatten in aller Eile damit begonnen, die herbeigeschafften Millionen in die vorbereitete Geldtasche umzusortieren. Sie wollten das Drama so schnell wie möglich hinter sich bringen.
Beklemmende Stille hatte sich breitgemacht, als plötzlich von außerhalb des Tresorraums erneut beunruhigende Geräusche zu vernehmen waren: Aufzug, Schritte.
»Wer kommt da? Wer ist das?«, entfuhr es dem Gangster erschrocken, während die Geldboten noch ein paar Schritte zurückwichen, als wollten sie sich aus der Schusslinie bringen. Unterdessen verfolgten Seifritz und der andere Verbrecher angespannt durch einen schmalen Türspalt des Archivs, was sich anbahnte.
Rilke sah zu Lackner und fühlte sich zu einer Erklärung gezwungen: »Wahrscheinlich kommt ein Kassierer, der Geld braucht.« Seine Stimme klang erstaunlich fest.
»Noch einer?«, fragte der Räuber schnell und war mit zwei, drei Schritten an der Archivtür, um dort verschwinden zu können.
»Normaler Vorgang«, erklärte Rilke, während der Gangster die Tür zum Archiv aufdrückte, wo ihm sein Komplize und Seifritz respektvoll Platz machten.
Ein paar Sekunden später tauchte draußen ein junger Bankangestellter auf, korrekter Anzug, Krawatte. Für einen kurzen Moment war er verwundert, neben Rilke auch Lackner und die Geldboten vorzufinden. Doch die beiden Verantwortlichen für die Hauptkasse täuschten Routinearbeit vor, blickten nur kurz auf, und Rilke fragte mit gespielter Gelassenheit: »Sie brauchen wie viel?« Lackner blätterte in einigen Unterlagen und war darauf bedacht, dass seine zitternden Hände die innere Unruhe nicht verrieten.
Den jungen Kollegen beschlich zwar beim Anblick der prall gefüllten Geldtasche und der verängstigt dreinschauenden Geldboten ein merkwürdiges Gefühl, doch er ließ es sich nicht anmerken und sagte emotionslos: »Ich sollte 30.000 haben.« Worauf ihm Lackner mit einem beherzten Griff in die vor ihm auf dem Tisch stehende Transporttasche schnell einige Geldbündel vorzählte und sich Rilke mit der schriftlichen Abwicklung befasste. Währenddessen wandte sich Lackner beiseite, um die nun in der Tasche fehlende Summe mit einigen Geldbündeln aus dem Tresor wieder aufzufüllen. Alles ging so fix, dass der junge Bankangestellte diesen etwas seltsam anmutenden Austausch nicht zur Kenntnis nahm.
Und für die im Archiv versteckten Männer war der schmale Blinkwinkel durch die angelehnte Tür viel zu klein, um das gesamte Geschehen überblicken zu können. Nachdem Rilke mit dem Kollegen aus den oberen Geschäftsräumen die schriftlichen Formalitäten abgewickelt hatte, verschwand der junge Mann mit einem kurzen Abschiedsgruß aus dem Tresorraum, ohne die eingeschüchterten Geldboten noch einmal zur Kenntnis zu nehmen.
Kaum war das Geräusch des abfahrenden Lifts zu vernehmen, wagten sich die Gangster mit Seifritz aus dem Versteck. »Na also«, resümierte der Uniformierte und sah den völlig erschöpften Bankdirektor an. »Wenigstens knappe drei Millionen. Seien Sie froh, dass wir uns damit zufriedengeben.«
»Und wann kommt meine Tochter frei?«, fragte der Bankchef angespannt, denn nur dies war ihm jetzt wichtig.
Die Antwort gab der zivil Gekleidete: »Sobald wir weg sind.« Er schnappte sich die Geldtransporttasche, während sein Komplize, an den Bankdirektor gewandt, entschied: »Herr Seifritz, Sie haben genügend mitgemacht, jetzt wird uns Herr Lackner begleiten.«
Alle Augen, auch die der erstarrten Geldboten, waren auf Lackner gerichtet, der sich plötzlich wie vom Donner gerührt fühlte. »Begleiten«, hörte er es im Kopf nachhallen. Wie bitte?, wollte er sagen, brachte aber keinen Ton aus der trockenen Kehle. Er und Seifritz sahen sich entgeistert an, als suche jeder beim anderen Halt. Doch der MP-Träger blieb dabei: »Sie kommen mit«, sagte er und gab mit einer Kopfbewegung in Richtung Lackner zu verstehen, dass dieser gar keine andere Wahl hatte. Und es klang beinahe wie eine Bitte, als er dem in Gedanken versunkenen Seifritz sagte: »Die Autoschlüssel.«
»Und meine Tochter? Was ist jetzt mit meiner Tochter?«, stammelte der Bankchef, während er in den Hosentaschen aufgeregt nach dem Wagenschlüssel fingerte und ihn dem