»Lustmolch«, warf sie ihm neckisch vor. »Sag mal, hast du den alten Chevi auch noch? Den roten?«
Blaubart wurde aus seinem Hochgefühl gerissen, zögerte und sah Kirstin irritiert ins Gesicht. »Den Chevrolet? Der steht draußen. Hättest du sehen müssen.«
»Hätt ich?«, fragte sie zurück. »Ist mir nicht aufgefallen. Aber was hältst du davon, wenn ich mich in dem auf den Rücksitz lege. So ganz mit nix auf dem Ledersitz.«
Blaubart wusste für einen Moment nicht, wie er diese Frage deuten sollte. Wollte sie es tatsächlich nur fürs Fotografieren tun – oder erwartete sie dann mehr von ihm? Hier in der Garage? Dazu noch in diesem demolierten Chevrolet?
43
Häberle spürte, wie belastend das Verbrechen auch nach über einem Jahr für die Beteiligten war. Vor allem die Gerüchte, die ihnen ständig zu Ohren kamen, machten ihrer Psyche zu schaffen. Deshalb war Berthold Rilke nicht gerade erfreut gewesen, als Häberle um einen Termin bei ihm gebeten hatte. Rilke, wie immer korrekt gekleidet und um untadeliges Auftreten bemüht, führte den Kommissar aus Stuttgart in ein Besprechungszimmer der Kreissparkasse, wo sie ungestört miteinander reden konnten. »Haben Sie denn eine heiße Spur?«, staunte der Kassierer, nachdem sie sich an einen Tisch gesetzt hatten.
»Leider nein. Deshalb klopfen wir noch einmal alle möglichen Verbindungen ab«, seufzte Häberle in sich hinein. »Vielleicht sind ja den Betroffenen – also auch Ihnen – im Laufe der Zeit Dinge eingefallen, die Ihnen im Nachhinein merkwürdig erscheinen.«
»Welche sollten das sein?«, wurde Rilke verunsichert. »Als ich vor über einem Jahr meine Aussage gemacht habe, war alles noch frisch. Jetzt plagt mich die Sache nur noch im Schlaf. Ich wache schweißgebadet auf und muss mir dann immer einreden, dass alles vorbei ist.«
Häberle nickte verständnisvoll. »Sie sind ja frühzeitig mit den Tätern zusammengetroffen, im Büro von Herrn Seifritz«, konstatierte er ruhig. »Wie würden Sie jetzt, mit dem Abstand von eineinhalb Jahren, die Situation zwischen ihm und den Tätern beschreiben?«
Auf Rilkes Stirn zeichneten sich Sorgenfalten ab. »Nicht anders wie vor eineinhalb Jahren. Die Täter sind sehr freundlich mit ihm umgegangen. Kein Geschrei oder so etwas. Das wird mein Kollege Lackner ebenso gesagt haben.« Er räusperte sich. »Wissen Sie, es gibt so viele Gerüchte, die das alles in Zweifel ziehen und irgendwelche Vermutungen in die Welt setzen. Aber glauben Sie mir: Herr Seifritz leidet noch immer sehr unter dem Verbrechen. Mag er es auch als Banker irgendwie weggesteckt haben. Aber privat geht das nicht so einfach.«
»Und Sie? Haben Sie den Eindruck, dass man auch Ihnen in der Öffentlichkeit zutraut, in die Sache verstrickt zu sein?«
»Ja natürlich«, wurde der sachliche Rilke unerwartet emotional. »Man kriegt das natürlich nicht direkt gesagt, aber meine Frau schnappt das eine oder andere Gespräch in der Stadt auf, in dem es dann heißt: ›Na ja, die Sache stinkt doch‹, oder ›Die Geschichte kann so überhaupt nicht stimmen.‹«
»Noch eine Verständnisfrage, Herr Rilke: Kennen Sie die Geldboten persönlich?«
»Nein. Nur vom Gesicht her.«
»Inwieweit sind die in die internen Abläufe hier im Hause eingeweiht?«
»Gar nicht. Sie kommen angefahren, stellen den Wagen in der Tiefgarage in der Sicherheitsschleuse ab, benutzen den Lift ins dritte Untergeschoss und holen den Scheck ab oder bringen das georderte Geld.«
Häberle hatte sich die Räumlichkeiten schon vor einem Jahr zeigen lassen. »Wurden Sie jemals von einem der Geldboten zu den Abläufen befragt?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Nun hat ja Ihr Kollege Lackner sozusagen geistesgegenwärtig den Tätern sogenanntes Fanggeld untergeschoben, also Scheine, deren Nummern registriert sind. Das hat aber wohl erst funktioniert, nachdem ein Kassierer von oben kam, um zum Geschäftsbeginn Geld zu holen.«
»Ja. Das war, wenn Sie wollen, ein Glücksfall. So konnte mein Kollege, während ich die schriftlichen Formalitäten abwickelte, ein paar Geldbündel austauschen. Er hat dem Kollegen 30.000 aus der Transporttasche gegeben und sie mit Geld aus dem Tresor wieder aufgefüllt. Mit diesem sogenannten Fanggeld, das für solche Fälle gedacht ist.«
»Und warum haben Sie beim Einsortieren des Geldes nicht gleich von vorneherein solche Scheine in die Tasche der Täter gesteckt?«, wollte Häberle wissen und löste bei Rilke erneut eine finstre Miene aus.
»Was soll jetzt diese Frage?« Rilkes ruhige Stimme verlor ihren sachlichen Klang. »Wollen Sie mir jetzt einen Vorwurf machen? Wenn das mit dem nummerierten Geld etwas genützt hätte, wären die Hunderter längst irgendwo aufgetaucht.«
Häberle überlegte kurz. »Natürlich können die Täter das Geld jetzt erst mal irgendwo bunkern, vielleicht einen Teil davon ins Ausland schaffen, zum Beispiel in die Schweiz, und dort auf einem Schließfach liegen lassen.«
»Ja natürlich. Wenn sie clever sind, werden sie’s auch so machen. Und vielleicht erst holen, wenn der Raub verjährt ist.«
»Nun ja«, hob Häberle abwägend die Arme. »So einfach ist das nicht. Je nachdem, wie es juristisch bewertet wird: räuberischer Menschenraub mit Geiselnahme. Das ist ein ziemlich großes Ding. Da kann die Verjährung erst nach Jahrzehnten greifen.«
Rilke rang sich ein Lächeln ab: »Gut angelegt können die 2,7 Millionen ganz schön Zinsen bringen.«
»Vorausgesetzt«, gab Häberle zu bedenken, »die Täter können so lange auf ihr Geld warten und die Zinsentwicklung bleibt günstig. Da bedarf es doch einiger Geduld, die solche Herrschaften meist nicht haben.«
44
Das Fotoshooting hatte genauso stattgefunden, wie von Kirstin gewünscht. Dass Blaubart ein begeisterter Hobbyfotograf war, kam ihr sehr entgegen. Vieles, was er aufgenommen hatte, war bei ihrer Kundschaft begehrt. Großformatige Fotos in Schwarz-Weiß und in Farbe konnte sie nach ihren Auftritten verkaufen. Außerdem hingen die Bilder in den Schaukästen der kleinen Rotlichtbars, die es wegen der strengen behördlichen Auflagen jedoch vermieden, allzu freizügige Fotos zu zeigen, trotzdem aber ihrem Publikum einen Hauch von Erotik und großstädtischem Nachtleben vermitteln wollten.
Blaubart hatte in einem diskret arbeitenden Fotolabor die Abzüge in Auftrag gegeben, die er jetzt vorsichtig in Klarsichtfolien schob. Dabei befiel ihn jedes Mal dieser eifersüchtige Gedanke gegenüber jenen fremden Männern, die auf diese Weise zu einem Besuch eines Nachtlokals animiert werden sollten. Eine Vorstellung, die er zu verdrängen versuchte, denn er wollte Kirstin mit niemandem teilen müssen – wohl wissend natürlich, dass es deren Job war, das männliche Publikum anzustacheln. Allerdings, davon war Blaubart überzeugt, blieb es in den Bars bei der Zurschaustellung der weiblichen Reize. Darüber hinaus, so hatte Kirstin ihm schon mehrfach versichert, sei mit ihr nichts anzufangen. Ob sie jedoch außerhalb des Etablissements lukrativen Angeboten widerstehen würde, daran hatte er gewisse Zweifel. Mehrfach schon hatte sie ihm von Versuchen berichtet, von professionellen Zuhältern angeworben zu werden. Blaubart hatte sie davor gewarnt, auf derartige Geschäfte einzugehen. Inzwischen fühlte er sich sogar ein bisschen als ihr Beschützer.
Gerade als er das letzte von zwei Dutzend Fotos verpackt hatte, wurde die Stille des Frühlingsabends von einem Motorengeräusch gestört. Er richtete sich auf seinem Bürostuhl auf, um aus der Fensterfront in den noch hellen Hof hinausschauen zu können. Ein schwarzer BMW der gehobenen Klasse war direkt an das Gebäude herangefahren. Stuttgarter Kennzeichen. Lukas, durchzuckte es Blaubart, schnappte die verpackten Fotos und ließ sie in einer Schublade verschwinden.
Der Mann, den man mit seiner großen, kräftigen Statur gemeinhin als Kleiderschrank bezeichnen konnte, stieg aus dem Wagen und