Diese Frage fand ich schwer zu beantworten. Konnte ich mit dieser Schönheit, die sich heute morgen an mich geschmiegt hatte und mit der ich anscheinend jede Nacht die Nacht meines Lebens verlebte, über Gefühle reden? Ich konnte es mir nicht so richtig vorstellen.
„Ich kann es mir nicht vorstellen, mit ihr über Gefühle zu reden“, sagte ich zu Dr. Keyconer.
„Versuchen Sie es doch einmal“, riet er.
Ich fand es sinnlos, es zu versuchen. Zugegebenermaßen kannte ich meine Freundin gar nicht, ich wusste noch nicht einmal ihren Namen, ich war der Meinung, dass sie nur des Geldes wegen mit mir zusammen war, aber ich wusste es nicht genau. Was hatte ich schon zu verlieren, ich könnte genauso gut mit ihr über Gefühle reden oder es zumindest versuchen, wie Dr. Keyconer es mir geraten hatte.
Als ich von der Sitzung bei Dr. Keyconer zurück nach Hause kam, fand ich meine Freundin zwischen Shoppingtaschen. Sie hatte sich unter anderem eine Louis Vuitton-Tasche geleistet. Ich begrüßte sie kurz mit einem flüchtigen Kuss auf die Wange, um mich dann dem Kühlschrank zuzuwenden, ich hatte schließlich den ganzen Tag noch nichts gegessen. „MC Priority wollte heute über Louis-Vuitton-Taschen rappen. Ich habe ihm gesagt, LV-Taschen wären etwas für bitches.“
„Sind sie ja auch“, antwortete sie und lachte verstohlen. Ich begann, sie zu mögen, sie schien Humor zu haben und ehrlich zu sein, auch wenn sie ein Vermögen, mein Vermögen, für überflüssigen Luxus ausgab.
„Schatz, ich möchte mit dir über Gefühle reden“, sprudelte es ungefiltert und mit ironischem Unterton aus mir heraus. Ich erzählte ihr die komplette Geschichte, erzählte, wie ich mit Kurt Auftritte gehabt habe, obwohl ich es gar nicht selbst erlebt hatte. Als Dominics Stellvertreter fühlte ich mich aber in der Pflicht, die Dinge so zu erzählen, wie sie sich in Dominics Welt zugetragen haben. Ich erzählte meiner Freundin, wie die ersten Konzerte sehr erfolgreich verliefen, wir bald auf Tour gingen, ich mich aber dann dafür entschied, einen anderen Schlagzeuger zu verpflichten, jemanden, der professioneller war, aber nicht ein Freund von mir, kurz: einen Angestellten. Ich erzählte, wie ich Kurt entließ, wie er danach zurück in die Band wollte, ich ihn aber abschmetterte. Ich brach den Kontakt zu ihm ab und hörte ein halbes Jahr später von seinem Tod durch eine Überdosis im Haus seiner Eltern. Ich war erschüttert und kam nicht damit zurecht. Zu dieser Zeit wurde meine Band gehypt, es war Ende der neunziger Jahre, und wir schwammen auf der Welle der Grunge- und Punkbewegung. Die Band hieß The Human Factors, und unsere erste Platte, Storm betitelt, fand seinen Weg in die Charts und wurde mit der Goldenen Schallplatte ausgezeichnet. Meine Freundin kannte unsere Erfolgsgeschichte und fragte mich, warum ich ihr das erzähle. „Weil ich will, dass du weißt, wie ich mich fühle“, sagte ich.
„Aber ich weiß, wie du dich fühlst, du hast mir das schon erzählt, der Tod deines Freundes und das alles, diese Geschichte kenne ich bereits. Ich weiß nicht, warum du sie mir noch einmal erzählst.“ Sie holte ein Päckchen Antidepressiva aus ihrer Handtasche, Citalopram, und hielt sie mir hin. Offenbar nahm ich regelmäßig Medikamente. Um mich normal, also wie Dominic, zu verhalten, nahm ich eine Tablette.
„Ich habe dir das alles schon erzählt?“
„Ja“, sagte sie, „kurz nachdem wir uns kennengelernt haben, 2005. Auf der Tour zur dritten Platte warst du permanent auf Drogen, um deine Schuldgefühle zu bekämpfen. Der Erfolg der Factors war groß, nur ausverkaufte Hallen. Aber je größer der Erfolg wurde, desto größer wurden deine Schuldgefühle. Du erinnerst dich, du warst doch dabei?!“
„Ja, war ich. Ich erinnere mich.“
Ich konnte mit ihr über Gefühle reden, ich hatte es in der Vergangenheit bereits getan. Sie war nicht wegen des Geldes mit mir zusammen, ich spürte eine Verbindung zwischen uns und ein tiefes Vertrauen. Diese Beziehung war echt, ich hatte vorschnell geurteilt. Aber was war mit meiner eigenen Wahrheit? Ich hatte dieses Leben nicht gelebt. Ich hatte erlebt, wie Kurt nicht zum Konzert erschienen war, wie es kein einziges Konzert, keine Tour gegeben hat, wie Kurt sich anschließend einer Big Band gewidmet hatte und ich mich den Statistiken, nachdem ich mich von der Musik abgewandt hatte. Das war die Wahrheit, die ich erlebt hatte, aber sie hatte sich hier nicht zugetragen und gehörte nicht hierher.
Sie erzählte von der Zeit, in der wir uns kennen gelernten: „Ich war Hals über Kopf verliebt in dich. Und dann erfuhr ich von deinen Depressionen, deinen Schuldgefühlen. Das war ein Rückschlag für mich, aber ich habe dich nicht aufgegeben, und es hat sich gelohnt.“
Auch in diesem neuen, anscheinend so glamourösen Dasein gab es eine Schattenseite. Etwas, das auf meinen Schultern lastete. Konsequenzen, die ich aufgrund der Entscheidung trug, jemanden aus der Band zu werfen. In der anderen Wahrheit trug ich die Konsequenzen von Kurts Entscheidung, nicht zum Auftritt zu erscheinen und vor allem von meinem eigenen Unvermögen, aus der Situation das Beste zu machen.
Mich machte der Vergleich zwischen den beiden Welten verrückt, schließlich war ich nicht hier, um nachzudenken, sondern um zu handeln und zu leben. Ich verbrachte den Abend mit meiner Freundin, deren Namen ich immer noch nicht kannte. Nachdem wir uns geliebt hatten, schlief sie ein, und ich blieb wach, um Christian und Dominic nicht im Traum zu begegnen. Dieser Konfrontation galt es zunächst aus dem Weg zu gehen. Sie könnte dazu führen, dass ich dieses Leben aufgeben und zurück in mein altes musste. Ich musste wach bleiben, bis ich eine Strategie hatte.
Am nächsten Morgen gelang es mir, einen Blick in ihre Brieftasche zu werfen. Auf ihrem Pass stand ihr Name: Marie Rosenfeldt.
Marie schlief in unserem Bett, und ich schlenderte durch mein ziemlich großes Haus. Es zog mich ins Studio, und während ich die Beats hörte, die ich produziert hatte, durchsuchte ich den Stapel Papiere, Kataloge und Bücher, der sich neben dem Mischpult befand. Ich fand einen Terminkalender. Die nächste Aufnahme war für morgen anberaumt, dort stand 12 Uhr Ms. Butterfly. Demnach hatte ich heute frei. Ich wollte die Zeit nutzen, um mich in meiner neuen Umgebung etwas umzusehen, und sagte Marie, die sich noch im Halbschlaf befand, ich ginge zum Strand. Ich setzte mich in meinen Dodge und fuhr nach Malibu, um am Strand zu laufen, sah den Surfern zu und atmete tief durch. Mit Sand an den Schuhen fuhr ich nach Venice Beach. Hier war also der Ort des amerikanischen Traums, hier hatte Jim Morrison gelebt, Hollywood war nicht weit, und auf einmal war mein altes Leben, das von Statistiken und Einsamkeit geprägt war, ganz weit weg. Während ich in den kalifornischen Sand starrte, wurde mir eins klar: Viele Sandkörner machten den Sand des Strandes aus, der Strand bestand aus zig Millionen kleinster Steinchen, die ein Gesamtes ergaben. In meinem alten Leben war kein einziges Sandkorn an seinem richtigen Platz, hier schon. Deshalb ergab sich ein Gesamtes, ein Leben, das atmete, das funktionierte, auch wenn ich hier den Verlust eines Freundes zu beklagen hatte, was mich deprimierte. Außerdem war ich nur ein Gast in diesem Leben, und wenn ich es bleiben wollte, durfte ich nicht schlafen. Ich war noch nicht müde, aber dieser Zustand würde sich ändern. Ich holte mir einen starken Coffee-to-go, bevor ich mich in das Auto setzte und zurück fuhr.
Als ich zurück nach Hause kam, stand Marie im Wohnzimmer und schraubte an einer Kamera herum.
„Ich habe gleich ein Shooting in Hollywood, ich bin spät dran.“ Sie hastete noch kurz ins Bad, drückte mir einen flüchtigen, aber herzlichen Kuss auf die Wange. „Ich bleibe bis spät abends, wir sehen uns dann“, sagte sie und verließ das Haus.
Sie war kein billiges Flittchen, sondern Fotografin, und wenn die Fotos, die an der Wand hingen, von ihr geschossen waren, wovon ich ausging, keine schlechte. Ich mochte sie gern, sie war nicht nur hübsch und empathisch, sondern hatte auch Talent und war ehrgeizig. Ich setzte mich auf die Couch, um fernzusehen. Nachdem ich eine halbe Stunde einige Fernsehkanäle rauf- und runter geschaltet hatte, ich zählte etwa 80 Stück, klingelte es wieder an der Tür. Ich konnte mich nicht erinnern, einen Termin an diesem Nachmittag zu haben, und ging etwas überrascht den Korridor auf den Bildschirm zu. Auf dem Monitor war eine Frau zu sehen, dunkle Haare, attraktiv. Vielleicht war das eine Freundin von Marie. „Marie ist nicht da“, sagte ich in die Sprechanlage, und die Antwort kam prompt: „Umso besser, mach die Tür auf.“ Ich tat wie mir geheißen und drückte den