Man darf auch die Einflüsse auf die audiovisuelle Übersetzung nicht übersehen: Es gibt eine Reihe von TextsortenTextsorte, deren Übersetzung eng mit der AV-Übersetzung verwandt ist, die Einfluss auf die AV-Übersetzung hatten und die im Vergleich mit dieser neue Einblicke und Erkenntnisse liefern können:
La traduction audiovisuelle (TAV) relève de la traduction des médias qui inclut aussi les adaptations ou éditions faites pour les journaux, les magazines, les dépêches des agences de presse etc. Elle peut être perçue également dans la perspective de la traduction des multimédias qui touche les produits et services en ligne (Internet) et hors ligne (CD-ROM). Enfin, elle n’est pas sans analogie avec la traduction des BD, du théâtre, de l’opéra, des livres illustrés et de tout autre document qui mêle différents systèmes sémiotiques. (Gambier 2004: 1)
Manchem kommt es befremdlich vor, dass Verfahren wie intralinguale Untertitelung oder Audiodeskription als Übersetzung bezeichnet werden. Der prototypische Übersetzer beschäftigt sich mit interlingualen Übersetzungen. Doch heute sind die Anforderungen an Übersetzer weit vielfältiger.
In der übersetzungswissenschaftlichen Forschung wird in diesem Zusammenhang gern auf Roman Jakobsons Definition der verschiedenen Verfahren der Übersetzung verwiesen (Jakobson 1971: 261). Jakobson spricht von der intralingualen, der interlingualen und der intersemiotischen Übersetzung. Die interlinguale ÜbersetzungÜbersetzunginterlinguale Übersetzung entspricht unserer prototypischen Vorstellung der Übersetzung von einer Sprache in die andere. Die intralinguale ÜbersetzungÜbersetzungintralinguale Übersetzung ist eine Form der Bearbeitung. So wird ein Text z. B. für eine neue Zielgruppe vereinfacht, die Sprache wird jedoch beibehalten. Ein typisches Beispiel außerhalb der AV-Übersetzung sind Bearbeitungen literarischer Werke für Kinder, aber auch die im Zuge der gesellschaftlichen Teilhabegesellschaftliche Teilhabe und BarrierefreiheitBarrierefreiheit immer wichtigere Leichte SpracheLeichte Sprache1 gehört in diesen Bereich. Untertitel für HörgeschädigteUntertitel für Hörgeschädigte stellen eine spezielle Form der intralingualen Übersetzung dar. Bei der auch als Transmutation bezeichneten intersemiotischen ÜbersetzungÜbersetzungintersemiotische Übersetzung schließlich wird das Zeichensystem gewechselt. Ein klassisches Beispiel der intersemiotischen Übersetzung ist die Bildbeschreibung, bei der das bildlich Dargestellte in Sprache wiedergegeben wird. Die AudiodeskriptionAudiodeskription fällt daher in den Bereich der intersemiotischen Übersetzung. Eine noch detailliertere Aufschlüsselung verschiedener Formen der multidimensionalen (nicht nur der audiovisuellen) Übersetzung findet sich in Gottlieb 2005.
Die Verfahren der audiovisuellen Übersetzung kann man unterschiedlich einteilen. Auch die Task Force AV der FIT befasste sich 2019 mit der Einteilung dieser Verfahren, was zeigt, dass diese Diskussion noch lange nicht abgeschlossen ist. Im Handbuch Translation von 2006 (Erstauflage 1999) kommen die selten behandelten Video NarrationsVideo Narration (242-244) („der gesprochene Text zu IndustrievideosIndustrievideo“, 242) im Kapitel zu primär appellativen Texten vor, während im Kapitel „Film und Fernsehen“ Untertitelung / Übertitelung (261-264) und SynchronisationSynchronisation (unter dem selten gebrauchten Eintrag Synchronisierung) (264-266) behandelt werden. Voice-over wird im Abschnitt Synchronisation kurz erwähnt, andere Verfahren der audiovisuellen Übersetzung spielen hier keine Rolle. Das zeigt auch, dass 1999 diese Verfahren in der Praxis vieler Übersetzer noch nicht wichtig waren. In der Routledge Encyclopedia of Translation in der zweiten Auflage von 2009 werden die Verfahren versammelt unter dem Stichwort „Audiovisual Translation“, zunächst Subtitling (14-15), mit Anmerkungen zu interlingualen, bilingualen und intralingualen Untertiteln, RevoicingRevoicing (16-18) mit Voice-over, Audiodeskription, freiem KommentarKommentarfreier Kommentar, FilmdolmetschenFilmdolmetschen und Synchronisation (Pérez González 2011 [2009]). Andere Aufteilungen sind noch weit detaillierter, denn man kann all diese Verfahren weiter unterteilen, wie es auch in diesem Buch in den Unterkapiteln geschieht. Möglich ist auch eine Aufteilung nach Jakobsons Einteilung von Übersetzungen als interlingual, intralingual und intersemiotisch. Dadurch werden aber typische Verfahren und Abläufe in unterschiedliche Bereiche verschoben. Eine Einteilung nach Genres habe ich nirgends gefunden, aber auch das wäre möglich, wobei bei jedem Genre verschiedene typische Verfahren aufgeführt würden. Die Ausnahme hier ist die Game-LokalisierungGame-Lokalisierung, bei der Übersetzungsverfahren und Spieltyp gekoppelt sind.
Ich habe mich bei diesem Buch für eine andere, rein praktisch motivierte Einteilung entschieden und die Verfahren der Barrierefreiheit, Untertitelung für Hörgeschädigte und Audiodeskription für Blinde und Sehgeschädigte, an den Schluss des Buches gestellt. Für diese Verfahren gibt es eine spezielle Gesetzeslage, Richtlinien öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, den Einfluss von Lobbygruppen, Interessenten aus anderen Fächern wie Sozialpädagogik – und nicht zuletzt bilden bei beiden Verfahren KinderKinder eine eigene Zielgruppe.
1.3 Der Stand der Dinge
In den letzten Jahren hat das Interesse an der audiovisuellen Übersetzung in Ausbildung und Berufspraxis aus mehreren Gründen zugenommen. Es begann mit dem Aufkommen der DVD mit ihrem riesigen Speicherplatz, der für mehrere SynchronspurenSynchronspur und UntertitelspurenUntertitelspur genutzt werden kann (zu diesem Thema ausführlicher Kayahara 2005). Wer früher nie eine Kinovorstellung mit Untertiteln besucht hätte, konnte jetzt einfach ausprobieren, wie so etwas aussieht. Doch wie in vielen anderen Lebensbereichen ist es auch hier das Internet, das das Interesse an der AV-Übersetzung auch bei LaienLaienübersetzung gesteigert hat. Der Zugang zur Originalversion des jeweiligen Films ist einfach, es gibt UntertitelungsprogrammeUntertitelungsprogramm, die man leicht nutzen kann, und so beginnen auch Laien, Originalfassung und Übersetzung parallel anzusehen, zu vergleichen und nicht zuletzt selbst zu übersetzen. Die Bedeutung der Digitalisierung der Untertitelungsprogramme für entsprechende Kurse an Hochschulen darf nicht unterschätzt werden.
Auch für die Forschung sind diese Entwicklungen relevant. Das betrifft zunächst den Zugriff auf das Material. Bis in die 1990er war es ausgesprochen aufwändig, für Forschungen zur audiovisuellen Übersetzung Filmfassungen aus verschiedenen Ländern zu importieren. Im Normalfall bat man Freunde im Ausland, die Videokassetten zu besorgen. So bekam man aber fast nie deutsch untertitelte Filme. Aus Synchronländern kamen synchronisierte Filme, aus Untertitelungsländern untertitelte. Das bedeutete, dass man oft monatelang auf Materialjagd war. Man kann sich das heute kaum noch vorstellen, aber es ist wichtig zu verstehen, welches Engagement die Pioniere der Forschung zur audiovisuellen Übersetzung mitbringen mussten. Was man heute auf einer einzigen DVD oder durch einen Klick ins Internet bekommt, musste man sich mühselig zusammensuchen. Das hielten nur echte Aficionados durch.
Generell lässt sich feststellen, dass die Menge der Aufgaben und Aufträge im Bereich der AV-Übersetzung durch das vielsprachige Internet und die verstärkte internationale Ausrichtung verschiedener Dienste geradezu exponentiell zugenommen hat, meist im Bereich Untertitelung. Zusätzlich wurden und werden maschinelle Verfahren entwickelt wie die automatischen Untertitel bei YouTube. Trotz aller Schwächen, die diese Verfahren aufweisen, muss man anerkennen, dass ihre Entwicklung äußerst schnell erfolgte und dass viele Nutzer die Ergebnisse als völlig ausreichend für ihre Bedürfnisse ansehen.1
Die Entwicklung der AV-Übersetzung im Bereich BarrierefreiheitBarrierefreiheit wird in den betreffenden Kapiteln geschildert. Hier haben sich durch neue Gesetze und Verpflichtungen große Veränderungen ergeben (www.bundesfachstelle-barrierefreiheit.de/DE/Home/home_node.html). Behörden und öffentlich-rechtliche Anstalten sind zur Barrierefreiheit verpflichtet. So hat sich ein neuer Arbeitsbereich eröffnet und neue technische Verfahren wurden entwickelt. Wer in diesem Bereich arbeiten möchte, muss sich immer darüber im Klaren sein, dass Barrierefreiheit keine Einbahnstraße ist. Man tut nicht jemandem „etwas Gutes“, man profitiert selbst davon. Man muss