Heinrich von Kleist
Der zerbrochne Krug
Ein Lustspiel
Lektüreschlüssel XL
für Schülerinnen und Schüler
Von Theodor Pelster
Reclam
Dieser Lektüreschlüssel bezieht sich auf folgende Textausgabe:
Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug. Ein Lustspiel. Stuttgart: Reclam, 2014 (Reclam XL. Text und Kontext, Nr. 19163).
Diese Ausgabe des Werktextes ist seiten- und zeilengleich mit der in Reclams Universal-Bibliothek Nr. 91.
E-Book-Ausgaben finden Sie auf unserer Website
unter www.reclam.de/e-book
Lektüreschlüssel XL | Nr. 15519
2020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2020
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-961703-9
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015523-3
1. Schnelleinstieg
Heinrich von Kleist – mit vollem Namen Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist – wurde in eine preußische Offiziersfamilie mit großer Tradition geboren, zu der jedoch auch einige Schriftsteller und Dichter gehörten. Heinrich von Kleist war früh Vollwaise. Im Alter von 15 Jahren trat er als Gefreitenkorporal in das Garderegiment in Potsdam ein und nahm 1793 an einem ersten Feldzug teil. Im Jahr 1799 nahm er seinen Abschied bei der Armee. Ein Ein wechselvolles Leben wechselvolles, von Enttäuschungen, Niederlagen und Zurücksetzungen bestimmtes Leben begann.
Vom optimistischen Glauben der Aufklärung geprägt, ist er zunächst überzeugt, dass Tugend und Vernunft Grundlage eines sicheren Wegs zum Glück seien. Er beginnt ein Studium der Rechte in Frankfurt an der Oder, fällt dann aber in eine erste Krise, die ihn lebensgefährlich erschüttert.
Infolge der Erschütterung der alten gesellschaftlichen und politischen Ordnung seit der Französischen Revolution erhält auch Kleists Weltbild Risse. Er führt ein äußerst unstetes Leben, »das nur vorübergehend berufliche Bindungen im Staatsdienst zulässt und im Übrigen durch zahlreiche, meist rätselhafte Reisen (wohl auch verbunden mit politischer Kuriertätigkeit) gekennzeichnet ist und überdies eine Inhaftierung als (vermeintlicher?) Spion einschließt«.1
Der Staat Preußen war unter Friedrich II., der auch der Große genannt wurde, zur europäischen Großmacht geworden, dann aber vom Welteroberer und Weltumgestalter Napoleon entscheidend besiegt worden und in eine schwere Krise geraten. Kleist, der das militärische Scheitern Preußens als Soldat miterlebt hatte, sah sich gezwungen, einen neuen Lebensplan zu entwerfen, der ihm die Möglichkeit geben sollte, sich auszuzeichnen und seinen Ehrgeiz zufriedenzustellen.
Anerkennung, vielleicht auch Ruhm hoffte Kleist auf dem Feld der Literatur zu gewinnen. Als erste Zeugnisse seiner schriftstellerischen Begabung gelten seine im Sommer 1801 verfassten Briefe aus Paris. Den eigentlichen Durchbruch als Schriftsteller Durchbruch, aus heutiger Sicht betrachtet, brachten die Arbeiten, die bei seinem Schweizer Aufenthalt auf der Aare-Insel in der Nähe von Thun seit 1802 entstanden. Begünstigend dürften einerseits die Landschaft und die bürgerliche Atmosphäre der nahen Stadt gewirkt haben, mehr noch der dort vorgefundene Freundeskreis.
Der Zerbrochne Krug ist ein fortdauerndes Produkt dieser Zeit. Ganz unbestritten gehört dieses Lustspiel heute zum Kanon der dramatischen Weltliteratur. Mit ungläubigem Staunen nimmt man zur Kenntnis, dass die Zeitgenossen des Autors Schwierigkeiten mit dem Text und seinem Autor hatten. Kleist litt zunehmend am Mangel an Anerkennung. Selbstbestimmt beendete er sein Leben im Alter von 34 Jahren und resümierte in einem Abschiedsbrief an seine Schwester: »[D]ie Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war.«2 Kleists Nachruhm setzte spät ein. Seine Geburtsstadt Frankfurt an der Oder ehrte ihn mit einem diskurswürdigen Denkmal und einem informativen und eindrucksvollen Kleist-Museum.
Indem Heinrich von Kleist sein Bühnenstück Der zerbrochne Krug als »Lustspiel« ankündet, weckt er bei Zuschauern und Lesern die Erwartungen an ein »Lustspiel«Erwartung, dass ihnen etwas Heiteres geboten werde und dass sie mit einem glücklichen Ausgang des Geschehens rechnen dürfen. Das Wort »Lustspiel« nämlich gilt in Deutschland seit dem 16. Jahrhundert als Übersetzung des auf das Altgriechische zurückgehenden Begriffsworts »Komödie«. Wie die Komödie als Gegenstück zur Tragödie wird das Lustspiel als Gegensatz zum Trauerspiel aufgefasst.
Es wäre jedoch verkehrt, aus diesem Gegensatz zu folgern, einziges Ziel von Kleists Lustspiel sei, das Publikum zu amüsieren und für allgemeine Heiterkeit zu sorgen. Das Lachen, das durch die Komödie ausgelöst wird, ist nicht Selbstzweck, sondern Lachen als Mittel zum Zweck Mittel, auf die Unzulänglichkeiten der Menschen, der gesellschaftlichen Zustände oder gar der Welt im Ganzen hinzuweisen. Gelacht wird über die Menschen und ihre Fehler. Da es jedoch über Jahrhunderte hinweg als nicht schicklich galt, Personen der höheren Stände der Lächerlichkeit preiszugeben, nimmt das deutsche Lustspiel wie schon die antike Komödie das Personal hauptsächlich aus den mittleren und unteren Schichten des Volkes. Themen und Stoffe, die behandelt werden, müssen dann zu der Lebenswirklichkeit dieser Figuren passen. Wenn der Titel von Kleists Lustspiel einen »zerbrochnen Krug« als zentralen Punkt des Dramas benennt, so darf man schließen, dass die Handlungen, die sich um diesen Krug ranken, in einem volksnahen Milieu spielen und dass die Figuren, die mit diesem Krug zu tun haben, nicht aus Adels- und Herrscherhäusern, sondern aus der Schicht der Bürger, Handwerker und Bauern stammen.
2. Inhaltsangabe
Erster Auftritt
Adam, der Dorfrichter des kleinen niederländischen Ortes Huisum, sitzt am frühen Morgen in der Gerichtsstube und verbindet sein verletztes Bein, als der Gerichtsschreiber Licht zum Dienst erscheint. Der Schreiber ist über das Aussehen seines Vorgesetzten verwundert; denn nicht nur dessen Bein ist Ein lädierter Richter lädiert, auch das Gesicht ist zerschunden, und später zeigen sich noch Wunden am Hinterkopf. Auf die teilnehmende oder neugierige Frage »Was ist mit Euch geschehn?« (S. 5) gibt der Richter nur ausweichende Antworten. Ungläubig reagiert er auf die Nachricht, die ein Bauer hinterbracht hat, dass ein Das Nahen des Revisors Revisor aus Utrecht im Nachbardorf gesehen worden sei und sich nähere. Als Schreiber Licht ergänzt, dass nicht mit dem umgänglichen Rat Wacholder, sondern mit dem überaus korrekten Gerichtsrat Walter zu rechnen sei und dass der Richterkollege in Holla bei Nacht in Konsequenz der unvermuteten Überprüfung einen Selbstmordversuch unternommen habe, erkennt Richter Adam den Ernst der Lage. Zumindest in der »Registratur« (S. 10) will er schnell etwas Ordnung schaffen; vor allem versucht er, den Schreiber Licht zur Kumpanei gegen den Gerichtsrat zu gewinnen.
Zweiter Auftritt
Trotz der Vorwarnung gerät der Dorfrichter in völlige Konfusion, als ein Bedienter nun ganz offiziell die Ankunft von »Gerichtsrat Walter« (S. 11) ankündigt. Schnell will sich Adam mit der Amtstracht wie »Bäffchen! Mantel! Kragen!« (S. 11) bekleiden, als man ihm mitteilt, dass ausgerechnet die »Perücke« (S. 13), das Zeichen amtlicher Die Perücke – Zeichen der Amtsautorität Autorität, nicht zu finden sei. Der Verbleib der Perücke gibt neue Rätsel auf und veranlasst den Richter zu weiteren abstrusen Erklärungen. Vorläufig besteht jedoch noch die Hoffnung, dass sich der Richter bei anderen Amtspersonen einen Kopfschmuck ausleihen könnte. Trotzdem möchte er sich am liebsten krankmelden. Schreiber Licht hält ihm vor, dass er sich dadurch nur verdächtig mache.
Dritter Auftritt
Richter