Ohne die Sterne gäbe es zum Beispiel etwas nicht, was unser Leben definitiv und ohne jeden Zweifel beherrscht: die Zeit, besser gesagt die regelmäßige Abfolge von Tag und Nacht, von Sommer und Winter, wovon schlicht das Überleben abhing. Man weiß, dass die Ägypter sehnlichst die jährliche Nilflut erwarteten, weshalb sie eine Vorstellung davon haben mussten, was ein Jahr ist. In der gleichen frühen Ära befassten sich damit ihre Nachbarn im Zweistromland, in Babylon. Und man weiß auch, wie schwierig es war, die Zusammenhänge zu durchschauen, herauszufinden, wie genau man ein Jahr abgrenzt. Denn der wichtigste Taktgeber, der Mond mit seinem so gut zu beobachtenden Wechsel von Fülle und Verschwinden, hatte die unangenehme Eigenschaft, dass er nur ungefähr zwölfmal ins Jahr passt, dass es diesen dummen Überschuss gibt, der dazu zwingt, das Jahr nach weiteren Kennzeichen abzusuchen, um kein zu langes oder zu kurzes zu bekommen, mit dem sich nach einiger Zeit die tatsächlichen Jahreszeiten verschoben.
Diagonalsternuhr in Särgen des Mittleren Reiches im Alten Ägypten. Sarg des Nacht, wohl aus Assiut, 11./12. Dynastie
Der Sternenhimmel, so ungeheuer eindrucksvoll er mit seiner Regelmäßigkeit war, machte also genaues Hinsehen, Aufzeichnen, Berechnen nötig. Sehr rasch aber kam auch die Vermutung auf, dass das alles da oben etwas zu tun haben müsse mit dem Geschehen hier unten, dass alles in den Sternen geschrieben steht, dass das Schicksal von ihnen vorherbestimmt ist. Wie die anfangs spärlichen Quellen zeigen, beziehen sich erste Prognosen noch eher auf Wettererscheinungen und politische Großereignisse. Am Verschwinden und Wiederauftauchen der Venus zu bestimmten Zeiten wurde auf gute oder schlechte Ernte geschlossen, bei besonderer Stellung zur Sonne auf den Untergang einer Dynastie. Man hat deshalb von »Omen-Astrologie« gesprochen, also einer Lehre von guten oder schlechten Vorzeichen am Himmel, wonach bestimmte Zeitpunkte entsprechend als gut oder schlecht für bestimmte Vorhaben galten – diese »Tagewählerei« wurde übrigens bereits von Mose im Alten Testament verboten (5 Mose 18,10).
Eine erste Systematik der Astrologie fällt in die Zeit des Hellenismus, also in die Zeit nach der Aufteilung des Alexanderreiches mit der Entstehung der großen Machtgebilde in Ägypten, im Vorderen Orient und dem griechischen Mutterland. Vor allem die noch von Alexander dem Großen selbst gegründete Stadt im Nildelta, Alexandria, entwickelte sich zu einem Zentrum der damaligen Wissenschaft, allein schon mit ihrer legendären Bibliothek. Hier entstand im 2. Jahrhundert v. Chr. ein erstes Kompendium der Astrologie, das angeblich auf den Pharao Nechepso und seinen Priester Petosiris in längst vergangenen Zeiten zurückging – bekannt als Nechepso-Petosiris. Danach entwickelten sich rasch weitere Werke, ohne die eine anspruchsvolle Astrologie nicht mehr zu betreiben war. Zu ihrem Grundriss gehören fünf Lehrstücke, die mit Abwandlungen für immer die Grundlage der Astrologie bilden sollten.
Die Hauptlehrstücke der Astrologie
1. Die Himmelspunkte: Wer den Himmel beobachtet und Regelmäßigkeiten erkennen will, braucht feste Punkte. Sie beziehen sich auf die Ekliptik, die Bahn, die die Sonne jeden Tag durchläuft, genau wie nachts der Mond und die Planeten. Diese Bahn muss relativ breit angelegt sein, als eine Art Band, denn die Himmelskörper stehen mal höher, mal tiefer über dem Horizont – die Sonne selbst im Sommer wesentlich höher als im Winter. Der oberste Punkt bildet die Kulmination. In der Astrologie hat immer der Aufgang die wichtigste Rolle gespielt, der Aszendent. Welches Gestirn zeigt sich bei der Geburt gerade im äußersten Osten? Genau gegenüber liegt im Westen der Ort des Untergangs, der Deszendent.
2. Die Tierkreisbilder: Mit der Entscheidung, das Jahr in zwölf Monate zu teilen, ergab sich eine Aufteilung der Sonnenbahn in zwölf gleiche Abschnitte, die zur leichteren Orientierung mit Namen benannt wurden. Sie gehen fast vollständig auf die babylonischen zurück, nur die Jungfrau war ursprünglich die Ähre, der Steinbock der Ziegenfisch. Am Beginn der Reihe steht der Widder, mit dessen »Aufgehen« der Frühling beginnt. Die folgenden Sternzeichen lassen sich in Gruppen zusammenfassen: in männliche und weibliche (Wassermann und Jungfrau), doppelte (wie die Fische und die Zwillinge) und einfache, wässrige wie die Fische oder luftige wie der Schütze. Allen Zeichen aber wurden Eigenschafen zugeschrieben. Nach dem Babylonier Teukros etwa sind Widder-Menschen großnasig, schwarzäugig, kahlköpfig, vornehm tuend, mager, wohlgewachsen, dünnschenklig, von schöner Stirne und edler Gesinnung.
3. Die Planeten: Mindestens ebenso große Bedeutung wie die Tierkreisbilder haben die Planeten, die Wandelsterne, Auch sie besitzen feste Eigenschaften bzw. Naturen, die sie auf die in ihrem Zeichen Geborenen entsprechend übertragen. Beim Mars etwa ist es die Kampflust, bei Jupiter genau umgekehrt die Verträglichkeit, bei Venus die Liebe. Dabei ergibt sich die genauere Wirkungsweise in Abhängigkeit von demjenigen Tierkreiszeichen, in dem sie sich gerade aufhalten. Alle Planeten haben »Wohnungen«, in denen sie ihre größte Wirkung ausüben.
Die Planeten in ihren Wohnungen. Titelholzschnitt von Georg Peuerbach zu Leonhard Reymanns Nativität-Kalender von 1515
4. Von besonderer Bedeutung sind weiter die »Aspekte«, die Winkel, in denen die Planeten zueinander stehen bzw. in denen sie sich gegenseitig »ansehen«. Bei einem Winkel von 180 Grad befinden sie sich in Opposition, treffen sie auf ihrer Bahn zusammen, in Konjunktion. Bei 90 Grad stehen sie im Quadrat, bei 60 im Sextil, bei 120 im Trigon. Damit verbinden sich Wertungen: Opposition und Quadrat sind ungünstig, Trigon und Sextil günstig.
5. Die Häuser: Eine letzte Dimension der Deutung kommt durch die sogenannten »Häuser« hinzu. Während der Tierkreis beim Horoskop immer so »gedreht« wird, dass sich das in der Geburtsminute aufgehende Sternbild im äußersten Osten zeigt, »legen« sich die Häuser nach einem festen Schema auf den Tierkreis, beginnend mit dem 1. Haus genau auf dem Aszendenten, wonach sämtliche weitere Häuser gegen den Uhrzeigersinn folgen. Dann liest man ab, welche Sternzeichen und besonders welche Planeten in welchem Haus »stehen«. Das 1. Haus ist das Haus des Lebens, die weiteren Häuser sind dem Gewinn, den Geschwistern, den Eltern, den eigenen Kindern, der Gesundheit, der Ehe, dem Tod, weiter Reisen, Ehren, Freunden und ganz zum Schluss den Feinden gewidmet. Steht die Venus zum Beispiel im Haus der Ehe, eröffnet dies natürlich beste Aussichten. Bei Mars im Haus der Gesundheit darf man dagegen nichts Gutes erwarten.
Damit sind die Hauptgesichtspunkte des Horoskopierens genannt. Es gibt noch weitere wie etwa die Dekane, die die Sternbilder weiter unterteilen, insgesamt 36, also pro Sternbild drei. Bei Nechepso-Petosiris sind diese Dekane besonders furchterregende Gestalten, die den Menschen schaden. Sie tauchen in der Tradition hin und wieder (zum Beispiel in der Renaissance), aber nicht durchgängig auf. Die genannten Hauptpunkte haben sich dagegen in der Tradition verfestigt, auch wenn es unterschiedliche Deutungen gibt.
Antike Kritik
Wer sich für die Anfänge der Astrologie interessiert, wird an die klassische griechische Antike denken. Aber dort stößt man nicht auf Astrologie. Sokrates, Platon, Aristoteles – komplette Fehlanzeige. Es gab zwar eine rege »Naturphilosophie«, aber die bezog sich auf Erklärungen für das rätselhafte Werden und Vergehen bei einer Stabilität des Ganzen. Gibt es zum Beispiel einen »Urstoff« und wenn ja: vielleicht das Wasser oder doch eher das Feuer? Der Rest war Rechnen. Von Thales in Milet wird die schöne Anekdote berichtet, dass er beim Blick in den Himmel in eine Grube stürzte und von einer schlichten Magd dafür verlacht wurde. Was suchte Thales da oben? Auf jeden Fall Ordnung, zum Beispiel, um eine Sonnenfinsternis voraussagen zu können, wie man es ihm zuschrieb. Im antiken Griechenland betrieb man, wenn überhaupt, Astronomie, nicht Astrologie.
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