„Na, das ist gar nicht so schwer, da es in der Stunde nicht langweilig ist. Da ist es gar nicht so schwer, aufzupassen, was der Lehrer sagt. Jetzt muss ich mich beeilen. Machs gut. Bis bald.“
Marie schaut Maike fröhlich an und winkt zum Abschied.
Dann geht sie ins Haus, zieht ihren Mantel und die Schuhe aus, und geht gleich in ihr Zimmer. Sie holt schnell das Weihnachtsbuch vom letzten Jahr hervor und blättert nachdenklich darin.
„Was könnte ich denn an Weihnachten einüben für Mama und Papa? Und Oma und Opa kommen doch auch zu uns. Das ist an jedem Weihnachtsfest so, dass die ganze Familie das Fest zusammen feiert. Das finde ich so schön, und ich könnte doch auch als Überraschung für alle etwas einüben“, grübelt sie vor sich hin.
„Schade, dass ich nicht lesen kann, dann würde ich sicher etwas finden“, murmelt sie gerade, als ihre Mama leise ins Zimmer kommt.
„Was möchtest du denn lesen? Ich mache dir einen Vorschlag. Wenn du dein Zimmer aufräumst, bin ich gerne bereit, dir die gewünschte Geschichte vorzulesen. Welche soll es denn sein?“
„Das weiß ich noch nicht. Auf jeden Fall etwas von Weihnachten.“
„Das ist doch wunderbar. Ich habe ein neues Weihnachtsbuch heute in der Stadt gesehen. Das bringe ich morgen mit. Darin suchst du dir eine Geschichte mit meiner Hilfe aus und ich lese sie dir vor. Sollen wir es so machen?“
Die Mutter schaut sich das Durcheinander im Zimmer ihrer Tochter an. Marie sieht es und sagt: „Darf ich das Aufräumen morgen machen? Heute bin ich nicht so gut drauf.“
„Na gut. Aber vergiss es nicht.“ Die Mutter geht in die Küche, um das Abendbrot zu richten.
Plötzlich schellt es. Als sie die Tür öffnet, sieht sie das Nachbarmädchen Maike. Die Mutter freut sich über den Besuch und führt Maike ins Kinderzimmer.
„Hier ist Besuch für dich!“, ruft sie fröhlich und geht wieder in die Küche.
Die beiden Mädchen haben sich viel zu erzählen. Plötzlich sagt Maike: „Das Wichtigste hätte ich fast vergessen. Hast du Lust, bei unserem Krippenspiel mitzumachen? Uns fehlen Engel, und du hast so schönes langes Haar. Außerdem kannst du gut singen. Ich habe es im Kindergottesdienst einmal gehört. Da hast du ein Lied gesungen.“
„Ja, klar mache ich das. Ich freue mich, dass du an mich gedacht hast, danke.“
„Na gut, ich sage es meiner Lehrerin. Dann bis morgen“, sie winkt Marie zum Abschied zu.
Marie eilt in die Küche, um ihrer Mutter das alles zu erzählen. Aber dann fällt ihr ein, das könnte ja ihre Überraschung zu Weihnachten werden. Dann darf sie es aber nicht verraten. So fragt sie nur, ob das Essen fertig ist.
Sie ist richtig stolz, dass ihr das früh genug eingefallen ist und sie verrät auch in den nächsten Tagen nichts von ihren Plänen.
Am anderen Tag holt Maike sie zum Üben ab. Der Mutter sagen sie, dass die Lehrerin es erlaubt hat, dass Marie beim Üben zuschaut.
Maike macht Marie mit den anderen Schülern bekannt. Dann kommt die Lehrerin herein und fragt, ob alle Spieler da sind und wer jetzt den großen Engel spielt. Da wird Marie vorgeschoben, und die Lehrerin fragt erstaunt: „Wer bist du denn?“
Maike erklärt alles, und nun kann Marie jeden Tag mit in die Schule gehen zum Üben.
Dann kommt der große Tag. Marie hat inzwischen ihre Eltern und Großeltern zu diesem Nachmittag eingeladen, und sie sind natürlich gern gekommen. Nur hat es sie erstaunt, dass Marie mit Maike schon zwei Stunden vor der Anfangszeit in die Schule gehen musste.
„Das ist doch ungewöhnlich“, meint die Mutter und schaut nachdenklich den Vater an. Aber dieser ist ganz zuversichtlich, dass alles in Ordnung ist. Inzwischen sitzen alle gespannt im weihnachtlich geschmückten Klassenzimmer.
Plötzlich wird es still. Das Licht geht aus und der Vorhang vor der Bühne auf. Man hört ein leichtes Raunen. Das Bühnenbild ist wunderschön. Die Kinder haben sich große Mühe gegeben. Ein Kind liest die Weihnachtsgeschichte. Dann kommt Maries Auftritt.
„Ein richtiger Engel!“, ruft ein Kind aus der ersten Reihe, und alle schmunzeln.
Doch die Eltern von Marie werden ganz unruhig. „Das ist doch unsere Tochter“, raunt der Vater der Mutter ins Ohr.
„Oh ja, das ist Marie“, flüstert sie.
Marie hört von alledem nichts. Sie singt mit Inbrunst das Weihnachtslied Alle Jahre wieder kommt das Christuskind. Sie bekommt viel Beifall dafür und das Krippenspiel geht weiter.
Nach einer Weile kommt sie mit vielen kleinen Engeln auf die Bühne, und sie singen gemeinsam das Lied Vom Himmel hoch, da komm ich her.
Eine Strophe muss sie alleine singen. Und sie singt mit ihrer glockenreinen Stimme: „Lob, Ehr sei Gott im höchsten Thron, der uns schenkt seinen einʼgen Sohn. Des freuet sich der Engel Schar und singet uns solch neues Jahr.“
Alle sind überrascht, am meisten natürlich die Eltern und Großeltern von Marie.
Die Kinder bekommen viel Beifall. Danach gehen alle in fröhlicher Weihnachtsstimmung nach Hause. Marie erzählt nun ihrer Familie von dem fleißigen Üben, und laut und fröhlich ruft sie: „Das ist meine Überraschung für euch zu Weihnachten.“
„Die ist dir gelungen!“, rufen ihre Eltern. „Uns hast du damit sehr überrascht. Du hast uns allen eine große Freude gemacht“, und sie nehmen ihre Marie ganz fest in die Arme.
Lore Buschjohann wurde 1929 geboren und lebt in Gütersloh. Seit 27 Jahren leitet sie eine Seniorentanzgruppe. Neben Fotografieren, Lesen und Gartenarbeit liebt sie vor allem das Schreiben. Lore Buschjohann hat ihre Lebenserinnerungen für Familie und Freunde mithilfe des Papierfresserchens MTM-Verlages in mehreren Büchern festgehalten und Kindergeschichten in verschiedenen Anthologien veröffentlicht.
*
Glaubst du an Wunder?
„Glaubst du an Wunder?“, hat mich die Alte gefragt. Von Wundern an Weihnachten hat sie geredet. Von Wundern! Das soll sich mal jemand vorstellen. Bin ich ein kleines Kind? Wer glaubt denn schon an Wunder? Die Alte vielleicht. Ich jedenfalls nicht. Missgelaunt stapfe ich durch den tiefen Schnee. Es ist dunkel und die Flocken fallen so dicht, dass man kaum die eigene Hand vor Augen sehen kann. Es geht ein scharfer Wind, und die Kälte ist so beißend, dass man es selbst mit dickem Schal und Pelzmantel kaum länger als eine Stunde draußen aushält. Ich bin gerade losgegangen, dennoch zittere ich bereits wie Espenlaub. Meine Hände sind rot und klamm vor Kälte.
Ich komme an den Rand eines kleinen Fichtenwäldchens. Seine Bäume werden vom Wind hin- und hergerissen. Trotzdem hoffe ich, dort etwas Schutz vor dem Sturm zu finden. Der Wind, der mir zuvor wütend unter die Kleider fuhr, ist hier etwas schwächer, doch die Schneeflocken dringen weiter ungehindert zu mir durch. Meine Kleider werden allmählich feucht und die Kälte nutzt das gnadenlos aus. Dann, mit einem Mal, verebbt der Sturm. Der Wind lässt nach, es hört auf zu schneien und der Himmel klart auf. Durch ein paar Wolkenschleier schimmert blass der Mond. Zwischen den Wolken glitzern vereinzelte Sterne wie kleine Eiskristalle.
Der Schnee auf den Ästen und dem Weg vor mir sorgt dafür, dass die Nacht nicht völlig dunkel ist. Doch obwohl der Sturm nachgelassen hat, wird es nicht vollkommen still. Statt des Windes beginnen nun in der Ferne leise die Wölfe zu heulen. Allmählich wird es mir unheimlich. Die eingetretene Stille, vermischt mit dem Heulen der Wölfe, beunruhigt mich mehr, als es das Tosen des Sturmes je vermocht hätte. Langsam nähere ich mich der Mitte des Waldes. Hier stehen die Nadelbäume dichter und es ist dunkler. Ich zögere: Soll ich weitergehen?
Da sehe ich es unter einem der Bäume plötzlich grün blitzen. Klar, die Nadeln der Bäume sind grün, doch dieses Grün ist irgendwie anders. Saftiger, lebendiger. Vorsichtig