Der ewige Spießer. Ödön von Horváth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ödön von Horváth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783955013486
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und ich muß mich mit ihm vertragen, weil ich oft geschäftlich mit ihm zusammenarbeiten muß. An dem Handtuch ist mir zwar heut schon etwas aufgefallen, wie ich mir das Gesicht abgewischt hab, aber eine Hand wäscht halt die andere.«

      Die Perzl zog sich gekränkt in ihre Küche zurück und murmelte was Ungünstiges über die heutigen Kavaliere.

      Als der Graf den Kobler erblickte, gurgelte er gerade mit dessen Mundwasser und ließ sich nicht stören. »Ah, Servus!« rief er ihm zu. »Verzeih, aber ich hab grad so einen miserablen Geschmack im Mund. Apropos: Ich weiß schon, du hast den Karren verkauft. Man gratuliert!«

      »Danke«, sagte Kobler kleinlaut und wartete verärgert, daß man ihn anpumpt. Woher weiß denn das schon jeder Gauner, daß ich den Portschinger betrogen hab? fragte er sich verzweifelt.

      Er überlegte: Pump mich nur an, aber dann schlag ich dir auf dein unappetitliches Maul!

      Aber es kam ganz im Gegenteil. Der Graf legte mit einer chevaleresken Geste zehn Reichsmark auf den Tisch. »Mit vielem Dank zurück«, lächelte er verbindlich und gurgelte weiter, als wäre nichts Besonderes passiert. »Du hast es, scheint's, vergessen«, bemerkte er dann noch so nebenbei, »daß du mir mal zehn Mark geliehen hast.« Was für ein Tag! dachte Kobler.

      »Ich kann es dir heut leicht zurückzahlen«, fuhr der Graf fort, »weil ich heut nacht eine Erbschaft machen werd. Mein Großonkel, der um zehn Monate jünger ist als ich, liegt nämlich im Sterben. Er hat den Krebs. Der Ärmste leidet fürchterlich, Krebs ist bekanntlich unheilbar, wir wissen ja noch gar nicht, ob das ein Bazillus ist oder eine Wucherung. Er wird die Nacht nicht überleben, das steht fest. Wie er von seinem Leiden erlöst ist, fahr ich nach Zoppot. Nein, nicht durch Polen, oben rum.«

      »Gehört Zoppot noch zu Deutschland?« erkundigte sich Kobler.

      »Nein, Zoppot liegt im Freistaat Danzig, der direkt dem Völkerbund untergeordnet ist«, belehrte ihn der Graf. »Übrigens, wenn ich du wär, würd ich jetzt auch wegfahren, du kannst deine Sechshundert gar nicht besser anlegen. Wenn du mir folgst, fährst du einfach auf zehn Tag in ein Luxushotel, lernst dort eine reiche Frau kennen, und alles Weitere wird sich dann sehr leger abspielen, du hast ja ein gutes Auftreten. Du kannst für dein ganzes Leben die märchenhaftesten Verbindungen bekommen, garantiert! Du kennst doch den langen Kammerlocher, der wo früher bei den Ulanen war, den Kadettaspiranten, der wo in der Maxim-Bar die Zech geprellt hat? Der ist mit ganzen zweihundert Schilling nach Meran gefahren, hat sich dort in ein Luxushotel einlogiert, hat noch am gleichen Abend eine Ägypterin mit a paar Pyramiden zum Boston engagiert, hat mit ihr geflirtet und hat sie dann heiraten müssen, weil er sie kompromittiert hat. Jetzt gehört ihm halb Ägypten. Und was hat er gehabt? Nix hat er gehabt. Und was ist er gewesen? Pervers ist er gewesen! Lange Seidenstrümpf hat er sich angezogen und hat seine Haxen im Spiegel betrachtet. Ein Narziß!«

      »Das muß ich mir noch durch den Kopf gehen lassen, wie ich am besten mein Geld ausgib«, meinte Kobler nachdenklich. »Ich bin kein Narziß«, fügte er hinzu. Die langen Haxen des Kammerlocher, das Luxushotel und die Pyramiden hatten ihn etwas verwirrt. Mechanisch bot er dem Grafen eine Achtpfennigzigarette an. »Das sind Mazedonier«, sagte der Graf. »Ich nehm mir gleich zwei.«

      Sie rauchten. »Ich fahr bestimmt nach Zoppot«, wiederholte der Graf. Es schlug elf. »Es ist schon zwölf«, sagte der Graf, denn er war sehr verlogen.

      Dann wurde er plötzlich nervös.

      »Also ich fahr nach Zoppot«, wiederholte er sich abermals. »Ich werd dort spielen, ich hab nämlich ein Spielsystem, das basiert auf den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Du setzt immer auf die Zahl, die am wahrscheinlichsten herauskommt. Du mußt wahrscheinlich gewinnen. Das ist sehr wahrscheinlich. Apropos wahrscheinlich: Gib mir doch deine zehn Mark wieder retour, es ist mir gerade eingefallen, daß ich sie dir lieber morgen retour gib. Ich krieg sonst meine Wäsche nicht raus. Ich hab mir schon zuvor ein Taschentuch von dir borgen müssen.«

      5

      Kobler rasierte sich gerade, und die Perzl brachte ihm das neue Handtuch. »Ende gut, alles gut«, triumphierte sie. »Ich bin Ihnen direkt dankbar, daß Sie diesen Grafen endlich energisch hinauskomplimentiert habn! Ich freu mich wirklich sehr, daß ich den Strizzi nimmer zu sehn brauch!«

      Halt 's Maul, Perzl! dachte Kobler und setzte ihr spitz auseinander, daß sie den Grafen total verkenne, man müsse es ihm nur manchmal sagen, daß er ein unmöglicher Mensch sei, sonst würd er sich ja mit sich selber nicht mehr auskennen. Im Moment sei er freilich gekränkt, aber hernach danke er einem dafür. – »So, und jetzt bringens mir etwas heißes Wasser!« sagte er und schien keinen Widerspruch zu dulden.

      Sie brachte es ihm, setzte sich dann auf den kleinsten Stuhl und sah ihm aufmerksam zu. Sich rasierenden Männern hatte sie schon immer vieles verzeihen müssen. Das lag so in ihrem Naturell. Er hingegen beachtete sie kaum, da er es schon gar nicht mochte, daß sie mit ihrem Rüssel in seinem Privatleben herumwühlte.

      »Also einen Großonkel hab ich nie gehabt«, ließ sie sich schüchtern wieder vernehmen, »aber wie mein Stiefbruder gestorben ist ...«

      Kobler unterbrach sie ungeduldig: »Also das mit dem sterbenden Großonkel war doch nur Stimmungsmache, damit ich ihm leichter was leih! Der Graf ist nämlich sehr raffiniert. Er ist aber auch sehr vergeßlich; bedenken Sie, daß er im Krieg verschüttet war. Er ist doch nicht mehr der Jüngste. Heutzutag muß man über Leichen gehen, wenn man was erreichen will. Ich geh aber nicht über Leichen, weil ich nicht kann. So, und jetzt bringens mir etwas kaltes Wasser!«

      Sie brachte ihm auch das kalte Wasser und betrachtete treuherzig seinen Rücken. »Darf man ein offenes Wort sagen, Herr Kobler?« – Kobler stutzte und fixierte sich selbst im Spiegel. Offen? überlegte er. Offen? Aber dann kündig ich zum ersten Oktober! Langsam wandte er sich ihr zu. »Bitte!« sagte er offiziell.

      »Sie wissen's ja jetzt, wie hoch ich den Herrn Grafen einschätz, aber trotzdem hat er vorhin in einem Punkt recht gehabt, nämlich was das Reisen betrifft. Wenn ich jetzt Ihr Geld hätt, ließ ich sofort alles liegen, wie's grad liegt, nur naus in die Welt!« Also das ist der ihr offenes Wort, dachte Kobler beruhigt und wurde auffallend überlegen: »Sagen Sie, Frau Perzl, warum horchen Sie denn immer, wenn ich Besuch empfange?« »Ich hab doch nicht gehorcht!« protestierte die Perzl und gestikulierte sehr. »Ich war doch grad am Radio, aber ich hab schon kein Ton gehört von dem klassischen Quartett, so laut haben sich die beiden Herren die Meinung gesagt! Könnens mir glauben, ich hätt mich lieber an der Musik erbaut, als Ihr urdanäres Gschimpf mit angehört!« »Schon gut, Frau Perzl, so war es ja nicht gemeint«, trat Kobler den Rückzug an, während sie sich als verfolgte Unschuld sehr gefiel. »Wenn ich an all die fremden Länder denk«, sagte sie, »so hebt's mich direkt von der Erden weg, so sehr sehn ich mich nach Abbazia.«

      Kobler ging auf und ab.

      »Was Sie da über die weite Welt reden«, sagte er, »interessiert mich schon sehr. Nämlich ich hab mir schon oft gedacht, daß man das Ausland kennenlernen soll, um seinen Horizont zu erweitern. Besonders für mich als jungen Kaufmann wär's schon sehr arg, wenn ich hier nicht rauskommen tät, denn man muß sich mit den Verkaufsmethoden des Auslands vertraut machen. Also wie zum Beispiel ein Kabriolett mit Notsitz in Polen und wie das gleiche in Griechenland verkauft wird. Das werden zwar oft nur Nuancen sein, aber auf solche Nuancen kommt's halt oft an. Es wird ja immer schwerer mit dem Dienst am Kunden. Die Leut werden immer anspruchsvoller und –« Er stockte, denn plötzlich durchzuckte es ihn schaurig: Wer garantiert mir, daß ich noch einen Portschinger find?

      Niemand garantiert dir, Alfons Kobler, kein Gott und kein Schwein, so ging es in ihm zu. Er starrte bekümmert vor sich hin. »Nichts ist der Kundschaft gut und billig genug«, meinte er traurig und lächelte resigniert.

      »Sie werden im Ausland sicher viel lernen, was Sie dann opulent verwerten können«, tröstete ihn die Perzl. »Was Sie nur allein an Kunstschätzen sehn werden! In Paris den Louvre, und im Dogenpalast hängt das Porträt eines alten Dogen, der schaut einen immer an, wo man auch grad steht. Aber besonders Florenz! Und das Forum Romanum in Rom! Überhaupt die Antike!«