Drachengabe - Halbdunkel - Diesig - Finster. Torsten W. Burisch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Torsten W. Burisch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960742906
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als der eine mit seinem Fehlurteil. Du bist einer, der selbst denken kann, dieses Denken aber leider oftmals vermissen lässt. Also öffne deine Augen, deinen Geist und bilde dir deine eigene Meinung. Nimm nicht die eines anderen an. Selbst wenn es die eines ganzen Volkes ist, ist es nicht zwangsläufig auch die richtige.“

      Der Korridor, dem sie bisher gefolgt waren, hatte sich an der Innenseite der Burgmauer entlanggezogen. Seinen weiteren Verlauf ließen sie nun rechts liegen und stiegen stattdessen einige Stufen hinab, die sie auf einen geraden, nicht sehr langen Tunnel zulotsten, an dessen Ende wiederum eine Treppe hinaufführte. Sie waren unter dem Innenhof hindurch in eine Art übergroße Stallung gelangt, deren ursprünglicher Zweck allerdings restlos verschwunden war. Nur einige hölzerne Abtrennungen erinnerten ein wenig an Pferdeboxen. Alles andere war eher untypisch für ein von Menschenhand gefertigtes Bauwerk.

      Da gab es unter anderem übergroße Vogelnester, die aussahen, als würden sie von unsichtbaren Kräften an der glatten Wand gehalten. Des Weiteren welche, die auf senkrecht stehende Balken gesetzt waren. Dann waren da noch diese Ekelgefühle hervorrufenden riesigen Spinnennetze in den Ecken der Decke und teilweise auch zwischen den auf halber Höhe des Raumes in regelmäßigen Abständen angebrachten, waagerecht verlaufenden Holzbalken, die von einer Wand zur anderen reichten.

      Auf besagten Querbalken waren Behausungen in verschiedensten Formen gebaut. Manche wie ein gewöhnliches Baumhaus, andere dagegen aus durchhängenden Leinentüchern gefertigt, teilweise waren die Gebilde künstlerisch aus Weidenästen geflochten oder aus einer Lehm-Stroh-Mischung aufgetürmt. Die meisten Konstruktionen trotzten auf unerklärliche Weise den Gesetzen der Schwerkraft. An einigen Stellen hing ein Tau herab oder eine Strickleiter, die mit einem Haken am unteren Ende am Boden befestigt war. Auf dem Boden selbst war neben den Holzabtrennungen eine Wagenladung Sand zu einem Berg aufgeschüttet worden, der wie ein Ameisenhügel aussah, allerdings mit dem Unterschied, dass die unzähligen Löcher, die wahllos hineinführten, faustdick waren. Sie waren mit kleinen Zweigen abgestützt wie die Stollen in einem Bergwerk. Etwas abseits standen drei hellgraue Halbkugeln, die einem Iglu ähnelten, wie es Dantra in einem selten vorkommenden strengen Winter schon einmal im Innenhof der Klosterschule gebaut hatte. Nur sahen diese Behausungen aus, als hätten sie die gleiche Zusammensetzung wie ein Kokon. Dann und wann waren hier unten kleine Hütten aufgestellt, die aus gestochenem und getrocknetem Torf oder mächtigen Baumrindenstücken gefertigt waren.

      Am monumentalsten wirkte ein Geflecht aus hohlen Baumstämmen, die so unwirklich ineinander verzweigt und verästelt waren, dass es den Anschein erweckte, sein Erbauer wollte zwar etwas Grandioses erschaffen, hätte jedoch keine Ahnung, wie er das anstellen sollte. Der Geruch, den Dantra unweigerlich aufnahm, war zwar sehr gewöhnungsbedürftig, jedoch keinesfalls stinkend oder gar Übelkeit verursachend. Und selbst wenn, Dantra hätte keinen freien Gedanken dafür opfern wollen. Denn in der wuchtig wirkenden Halle, die von zwei Dutzend zu Kronleuchtern umfunktionierten Wagenrädern erhellt wurde, die von der Decke in verschiedenen Höhen herunterhingen, tummelten sich die unterschiedlichsten Geschöpfe, Gestalten und Wesen, von denen er nicht eine einzige Art kannte. Sie schienen sich von ihrer Anwesenheit nicht stören zu lassen, sondern gingen einfach weiter ihren Beschäftigungen nach. Einige waren in ihrem Handeln auf die Pflege des eigenen Körpers oder der persönlichen Sachen beschränkt, andere wiederum verrichteten Arbeiten für das Allgemeinwohl.

      So gab es zum Beispiel diese gehstockhochgewachsenen, nervös wirkenden Typen, deren Gesichter aussahen, als hätten sie schon mehr als nur einen Boxkampf in ihrem Leben ausgefochten, aber jeden davon klar verloren. Ihre zerzausten, hauchdünnen Haare, die bei jeder Bewegung herumwehten wie ein Wimpel im Sturm, taten noch ihr Übriges zum ohnehin leicht dümmlich wirkenden Gesamteindruck. Sie waren zu viert und schienen ihrer Ansicht nach die wichtigste Aufgabe auf der Burg zu haben. Während drei von ihnen arbeiteten, war der vierte nur damit beschäftigt, Unbefugte mit fuchtelnden Armen und halb verschluckten, unverständlichen Worten dazu zu bewegen, einen großen Bogen um die Baustelle zu machen. Wobei sich die Tätigkeit der merkwürdigen Gesellen darauf beschränkte, die Fugen zwischen den auch hier verlegten großen Steinplatten auszukratzen, sauber zu fegen und anschließend mit neuem, sauberem Sand aufzufüllen.

      Des Weiteren waren da diese spatzenartigen Vögel, die anstatt Federn anthrazitfarbenes Fell hatten und schwarmweise von einem Kronleuchter zum nächsten flogen. Dort nahm jeder von ihnen einen Docht in den Schnabel, und nachdem sie ihn kurze Zeit später wieder losließen, zuckte dort eine kleine rot-gelbe Flamme, die sich in das bereits warm flackernde Licht einfügte. Diejenigen, welche Dantra besonders ins Auge stachen, während sie die Halle durchschritten, waren zwei große, dürre Wesen mit irreal langen und von Schuppen besetzten Hälsen, die das Kerzenlicht widerspiegelten. Ihre Nasen waren rund wie die von Schweinen, jedoch nach vorn spitz zulaufend. Die Besonderheit lag allerdings in der einzigartigen Technik, die sie mit ihrer Nase beherrschten. Sie konnten sie auf Armlänge ausfahren und in alle Richtungen bewegen.

      Dantra war ganz dicht an Akinna herangerückt. Es reichte ein leises Flüstern, das er selbst fast nicht verstanden hätte, um sie über einige der Kreaturen auszufragen. Er hätte am liebsten haltgemacht, um über jedes der Lebewesen alles genau zu erfahren, doch es waren so viele, dass es zu lange gedauert hätte. Also beschränkte er sich auf die, die ihm am interessantesten erschienen. Mit einer Kopfbewegung deutete er in die Richtung der Nasenakrobaten, da diese ihm mehr als nur außergewöhnlich vorkamen.

      „Das sind ganz gewöhnliche Flussleute“, schwächte Akinna Dantras hohe Erwartungen ab. „Sie leben in dem Grenzgebiet zum Elbenwald. Eine Gegend, die von Menschen gemieden wird. Und das aus reiner Angst vor dem Unbekannten. Als wenn jemals irgendein Elb einem Menschen Leid zugefügt hätte.“ Sie schien leicht beleidigt. „Na ja, die Flussleute jedenfalls haben ihre Nasen von der Natur mitbekommen, damit sie im Fluss unter Wasser stehend immer noch die Möglichkeit haben zu atmen. Wenn sie öfter auftauchten, würde das ihre Fischjagd fast unmöglich machen. Obwohl ihr geschuppter Hals auch im Wasser das eindringende Licht reflektiert und sie so hervorragend ihre Beute anlocken.“

      Dantra ging nahtlos zum nächsten skurrilen Wesen über. Er deutete vorsichtig auf eine Bretterbucht, in der so etwas Ähnliches wie Kühe standen, nur mit breiteren Beinen und einem Kopf, der eher zu einem Seehund gepasst hätte.

      „Du hast wohl eine Vorliebe für das nasse Element, was?“

      „Hä?“ Dantra verstand Akinnas Frage nicht und er war auch keineswegs bestrebt, sich jetzt darüber Gedanken zu machen. Die Hälfte der Halle hatten sie bereits hinter sich gelassen und es gab noch so viel zu erfragen. Daher forderte er mit der entsprechenden Handbewegung die erwartete Erklärung.

      „Es sind Meerballons, auch Inflari genannt“, erklärte sie schließlich. „Sie leben auf einigen der vorgelagerten Inseln von Kalyke. Sie schreiten über flache Stellen ins Meer, blasen sich dort auf, und während sie wieder zurück ans Ufer treiben, saugen sie kleine Fische, Krebse und auch nahrhafte Algen auf.“

      Dantra sah die Meerballons fragend an und wollte gerade bei Akinna nachhaken, was sie mit Aufblasen meinte, als das urkomische Schauspiel wie auf Kommando begann. In der kurzen Zeit, die Dantra für drei Schritte benötigte, blähte sich der Vierbeiner auf mehr als das Doppelte seines normalen Volumens auf, was seine Gesichtszüge so entstellte und die Augen dermaßen hervorhob, dass Dantra nicht umhinkam, sich wegzudrehen und ein vergebens unterdrücktes Kichern auszustoßen. Eigentlich hatte er mit einem Ellenbogenhieb von Akinna gerechnet, so wie er ihn einen Tag zuvor schon bei den Tibboh erhalten hatte. Doch er blieb aus. Als Dantra Akinna wieder ansah, hatte auch sie ein breites Grinsen in ihrem Gesicht, das bereits rot angelaufen war. Er freute sich innerlich so sehr darüber, dass die Elbin unter ihrer rauen und immer ernst wirkenden Schale doch einen Funken Humor besaß, als hätte sie ihn gerade für irgendeine tapfere Tat in den höchsten Tönen gelobt. Es hätte nicht viel gefehlt und Dantra wäre wieder einmal auf Comal aufgelaufen. Er blickte an diesem vorbei, um die Ursache seines plötzlichen Zwischenstopps zu erkennen. Auch Refizul war stehen geblieben und sah auf den Boden. Vor ihm bewegte sich eine Karawane putziger kleiner Leute. Sie waren nicht größer als Dantras Daumen. Sie hatten Lastentiere, die Apfelscheiben, Brothälften und winzige Holzfässer trugen. Der Trott bewegte sich gemächlich auf einen der senkrecht stehenden Balken zu, auf dem ein Nest platziert war.