Gob Squad – What are you looking at?. Gob Squad. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gob Squad
Издательство: Bookwire
Серия: Postdramatisches Theater in Portraits
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783895815393
Скачать книгу
Bei jedem Konzept fragen wir uns neu«, so Sharon Smith, »wie das Verhältnis zum Publikum gestaltet werden soll.«

      Mittlerweile hat das Kollektiv diese Kommunikation mit den Zuschauer*innen immer weiter vorangetrieben und geradezu eine wahre Meisterschaft darin erlangt, zufällige Passant*innen oder das Publikum im Theater als Akteur*innen einzubeziehen.

      Selbst der Theaterraum ist dabei für sie kein neutraler Ort, in dem Leute im Dunkeln sitzen und den anderen auf der Bühne zuschauen: »Wir können nicht einfach so vor einem Publikum stehen«, führt Sharon Smith aus. »Entweder wir versuchen, die Realität auf der Straße reinzuholen, oder wir beziehen die Zuschauer mit ein, die zur Vorstellung kommen.«

      Ein absolutes No-Go ist jegliche Instrumentalisierung oder zynische Ausstellung des Gegenübers. Durch die Konstruktion sind die Beteiligten von vornherein geschützt und »gerahmt«, so dass sie immer gut aussehen und nichts falsch machen können. Dafür wurden verschiedene Verfahrensweisen entwickelt – von Kopfhörern, über die der jeweiligen Sprecher*in der Text souffliert wird, bis hin zu Kameras und schützenden Screens, die die Laien nicht wehrlos oder ausgestellt auf der Bühne stehen lassen.

image

      Gob Squad’s Kitchen, 2007

image

      Revolution Now!, 2010

      Wie etwa bei Prater-Saga 3 (2004) mit Texten von René Pollesch, wo die vierte Wand tatsächlich installiert wurde, um das Bühnengeschehen per Kamera live darauf zu projizieren. So standen die auf der Straße »gecasteten« Mitspieler*innen nicht unmittelbar als Schauspieler*innen auf einer Bühne, sondern waren Teil der Direktübertragung in den Zuschauerraum. »Plötzlich wurden Texte so unvoreingenommen gesprochen, wie es uns als Performer*innen nicht gelänge. Diese Momente zusammenzubringen und die unterschiedlichen Qualitäten zu nutzen, interessiert uns zunehmend«, so Berit Stumpf.

      In Revolution Now! (2010) begeben sich Gob Squad beispielsweise hinaus auf die Straße und lassen völlig unbekannte Passant*innen vor ihren Kameras sprechen. Menschen, die möglicherweise noch nie etwas von der Gruppe gehört haben und vielleicht auch nicht ins Theater gehen würden. Eine/r dieser Passant*innen landete sogar jeweils im Finale des Abends, ganz allein, eine Fahne schwenkend, auf der Großen Bühne der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.

      Ein anderes Beispiel ist die Performance Western Society (2013), in der die auf die Bühne eingeladenen Akteur*innen über Kopfhörer Instruktionen erhalten und dabei nach und nach die Originalbesetzung der Gob-Squad-Spieler*innen ersetzen, um das Bild einer Familie in der westlichen Welt nachzustellen.

      Wenn die Zuschauenden als Mitspieler*innen angesprochen werden, geht es nicht um Interaktion als Selbstzweck oder Mitmachtheater, das oft als peinlich oder angstbesetzt wahrgenommen wird. Es gibt keine Verkündigung von universellen Wahrheiten herab von der Bühne oder einem anderen Ort, stattdessen sagen Gob Squad: »Uns geht’s so, wie geht’s Euch?« Nicht alles zu wissen, Fragen zu stellen, die direkte Begegnung und der Austausch mit den Zuschauenden oder den Passant*innen sind wesentliche Bausteine der Aufführungen.

      Mit Elementen der Popkultur oder Alltagserfahrungen und biografischem Material wird eine Sprache generiert, die alle verstehen können und die dem ausschließenden, hermetischen Moment des klassischen Dramenkanons etwas entgegensetzt. Auch die damit einhergehenden meist veralteten Geschlechterklischees sind so von vornherein ausgeschaltet. »Jede/r, die/der auf der Bühne steht, ist Co-Autor*in, und die Zuschauer*innen auch, wenn sie mit auf die Bühne kommen«, sagt Sarah Thom.

      Wenn ein/e Passant*in in Super Night Shot (2003) herausgefordert wird, vor aller Augen auf der Straße »einen Hasen zu küssen« oder besser gesagt eine/n Performer*in mit Hasenmaske, dann geht es darum, gemeinsam eine Grenze zu überschreiten. In diesem Sinne dient Partizipation bei Gob Squad häufig dazu, einen außergewöhnlichen Moment mit dem Publikum oder einer/m zufällig Vorübergehenden herzustellen oder manchmal geradezu zu erkämpfen. Das Politische bei Gob Squad ist dabei nicht, wie so oft im Theater, nur Lippenbekenntnis, sondern von vornherein strukturell implementiert. Es ist in der Praxis bereits angelegt.

      Nicht, was oder worüber man etwas macht, ist entscheidend, sondern wie man etwas macht. Wie hier Kunst gemacht wird, als Kollektiv und zusammen mit dem Publikum.

      »Das Politische«, so Bastian Trost, »könnte bei uns in der Ersetzbarkeit liegen … Etwas in der Gruppe zu machen, etwas gemeinsam herzustellen, ist schon ein politisches Signal.« Das heißt auch: Es gibt immer mehr als nur einen gültigen Weg, und das kollektive Arbeitsverständnis ermöglicht ein Prinzip der Ersetzbarkeit, das dies zulässt und das nicht mit beliebiger Austauschbarkeit unter neoliberalen Vorzeichen zu verwechseln ist. Diesen Anspruch auch auf die Zuschauenden auszuweiten und dabei eine Eigenverantwortlichkeit aller Beteiligten zu ermöglichen, beschreibt einen wesentlichen Aspekt der Arbeit. Ausgehend davon, dass jede künstlerische Aktion Beziehungen zwischen Menschen herstellt, ist es für Gob Squad essentiell, Barrieren zu durchbrechen, Erwartungen zu unterlaufen und immer wieder neu den Versuch zu starten, eine Gemeinschaft zu bilden.

image

      Berlin, 2014

image

      Super Night Shot, 2003

       DIE BILDERMACHER*INNEN

      Seit Anfang 2000 werden selbstproduzierte Videobilder zunehmend wichtiger Bestandteil ihrer Performances – Gob Squad begeben sich selbst in die Position der »Bildermacher*innen«.

      Einerseits, um eine Verbindung von der Bühne zur »Außenwelt« herzustellen, und andererseits, um verschiedene Raumsituationen im Theater selbst zu erzeugen, die es möglich machen, von einem geschützten, intimen Ort aus zum Publikum sprechen zu können. »Bei Sichtung des Bildarchivs ist mir aufgefallen, dass wir immer wieder mit der Videokamera in der Hand unterwegs sind. Wir präsentieren uns als Produzent*innen und Konsument*innen von Bildern, noch während wir sie herstellen«, so Sean Patten. Diese Bilder sind immer verbunden mit der Frage: Wer produziert sie und zu welchem Zweck? Die Kamera dient nicht, wie so oft, dazu, Menschen zu Objekten zu machen, sondern es geht um Kommunikation und andere Blickwinkel: »What are you looking at? How do you see me? What do you see when you look at me?«

      In Super Night Shot (2003) etwa, der bisher erfolgreichsten, weltweit getourten Show der Gruppe, werden die Videobilder zum integralen Bestandteil der Aufführung. Jeweils ausgerüstet mit einer Kamera, begeben sich die Performer*innen eine Stunde vor Vorstellungsbeginn auf die Straße. Es geht um die Herstellung eines außergewöhnlichen Moments jenseits des alltäglichen Funktionierens einer Stadt. Das Ende der Filmaufnahmen ist gleichzeitig der Anfang der Show: Nach erfolgreicher Mission des Kamerateams wird diese andere Erzählung über die Stadt als live geschnittener Film dem Publikum präsentiert.

      Undenkbar wäre es für Gob Squad, dabei die Kamera aus der Hand zu geben. So bestimmen die Performer*innen selbst den Rahmen und den Grad von Intimität, der für das jeweilige Konzept sinnvoll erscheint.

      Zu ihrer Form der Bildproduktion gehört es auch, sich problemlos schon existierende Bilder anzueignen und zu recyclen, ein »Theater des Readymade«, wie sie selbst sagen. So werden beispielsweise Aufnahmen aus Andy-Warhol-Filmen, wie Kitchen, Sleep oder seine legendären Screen Tests, mit Hilfe von Zuschauer*innen als Remake neu erzeugt und gemischt (Gob Squad’s Kitchen [You’ve Never Had It So Good], 2007). Das hier praktizierte Dekonstruieren und Verschieben von Wahrnehmungsweisen hat sich im Laufe der Jahre zu einem wesentlichen Kennzeichen der Arbeit entwickelt.

       DIE MENSCHEN SIND NICHT DAS PROBLEM

      Dem allgegenwärtigen Selbstoptimierungsdruck setzen Gob Squad ihre Suche nach solidarischen Momenten entgegen, nach einer Begegnung zwischen den Menschen,