Er hörte die Stimmen der Kinder, die offenbar durch die Vordertür ins Haus stürmten. Vorsichtig linste er durch eine Lücke in der Hecke zur Hintertür. Von dort aus führte ein kleiner Flur direkt in die helle Wohnküche. Irgendwie musste er auf sich aufmerksam machen.
Entschlossen zwängte er sich durch die Hecke. Diesen Weg hatte er schon einmal gewählt. Es war der einzige unauffällige Zugang auf dieser Seite des Grundstücks; das Haupttor konnte er schließlich nicht einfach benutzen. Verdrießlich klopfte er sich Blättchen, Staub und eine kleine Spinne vom Revers seiner kamelfarbenen Anzugjacke. Noch immer war ihm nicht eingefallen, wie er Janna überreden sollte, ihm – vielmehr dem Institut – zu helfen.
Durch die gekippten Fenster im Erdgeschoss vernahm er jetzt deutlich die aufgeregten Stimmen der Kinder und dann Janna, die lachend auf das Geplapper der beiden antwortete.
»Die Schuhe sind sooo cool«, rief das Mädchen. »Ich hab noch nie so coole Wanderschuhe gehabt.«
»Ich auch nicht«, rief der Junge übermütig. »Und die T-Shirts sind auch toll. Aber am besten sind die Gips-Mäuse, Janna. Sie sind so was von super!«
»GPS-Mäuse heißt das«, lachte Janna.
»Weiß ich doch«, antwortete der Junge ebenfalls lachend. »Aber Gips-Mäuse klingt viel besser. Dürfen wir sie Tante Linda zeigen?«
»Und die Schuhe auch?«, warf das Mädchen eifrig ein.
»Natürlich dürft ihr das. Geht nur rüber, bestimmt kriegt ihr auch ein Stück Kuchen und Kakao.«
»Au ja!«
»Aber seid vorsichtig mit den Peilsendern! Nicht, dass ihr sie gleich kaputt macht.«
»Nee, wir passen schon auf.«
Markus vernahm das Getrappel von Füßen und nur Augenblicke später das laute Klappen der Haustür. Entschlossen straffte er die Schultern, strich seine Anzugjacke glatt und trat an die Hintertür. Leise, aber bestimmt klopfte er.
Zunächst tat sich gar nichts, dann bemerkte er, wie sich die Gardine am Fenster rechts neben der Tür bewegte. Augenblicke später öffnete sich die Tür und er blickte geradewegs in ein Paar verblüffte graublaue Augen.
»Guten Tag, Herr Neumann«, begrüßte Janna ihn freundlich, aber mit einem deutlich erkennbaren fragenden Unterton. »Das ist aber eine Überraschung.« Sie blickte kurz über ihre Schulter ins Innere des Hauses. »Möchten Sie hereinkommen?« Ehe er verneinen konnte, setzte sie hinzu: »Die Kinder sind für eine Weile drüben bei meinen Eltern. Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen, dass jemand Sie sehen könnte.«
Noch immer zögerte er, nickte dann aber. Wortlos drehte sie sich um und ging ihm voraus in die Wohnküche. Er folgte ihr und hatte dabei Gelegenheit, ihre Erscheinung, wenn auch nur von hinten, eingehend zu betrachten. Sie trug ein eng anliegendes, hellgelbes T-Shirt zu einem knielangen Jeansrock und farblich passenden Riemchensandalen. Ihre Arme und Beine waren leicht gebräunt, was dafür sprach, dass sie sich gern und viel an der frischen Luft aufhielt. Dennoch wirkte ihre Haut sehr hell, und sie hatte den für Rothaarige oft typischen porzellanartigen Teint. Ihre weichen, kupferroten Locken waren zu einem einfachen Knoten aufgesteckt; einige Strähnen ringelten sich um ihre Schläfen und im Nacken.
Markus musste zugeben, dass sie die erste Frau in seiner Bekanntschaft war, der dieser natürliche Look gut stand. Ihre schlanke, hochgewachsene Gestalt – sie war seiner Schätzung nach etwa 1,76 m groß – und ihre langen Beine kamen ausgezeichnet zur Geltung.
Als sie sich umdrehte und ihn irritiert ansah, begriff er, dass er sie angestarrt hatte, und riss sich zusammen.
Sie lächelte wieder. »Setzen Sie sich doch. Möchten Sie einen Kaffee?«
»Machen Sie sich keine Umstände!« Abwehrend hob er beide Hände, doch sie stand bereits neben der Kaffeemaschine.
»Ich habe gerade welchen aufgesetzt«, erklärte sie. Aus dem Hängeschrank über der Anrichte nahm sie zwei Tassen und goss in beide von dem dampfenden Gebräu. »Milch oder Zucker?«
»Milch«, antwortete er automatisch.
Sie trug die Tassen zu dem großen, rechteckigen Küchentisch und setzte sich.
Er nahm ihr schräg gegenüber Platz. »Weshalb ich hier bin …«, begann er und überlegte wieder fieberhaft, wie er sein Anliegen am besten vorbringen sollte.
»Haben Sie diesen Burayd und die Hintermänner der Söhne der Sonne inzwischen gefasst?«, unterbrach sie ihn.
Überrascht hob er den Kopf. »Äh .. nein, leider noch nicht. Das Institut hat eine Sonderkommission gebildet, die sich jetzt damit befasst.«
»Oh.« Ihre Miene wurde besorgt. »Sind Sie deshalb hier? Besteht noch immer eine Gefahr für mich und meine Familie?«
Daran hatte er noch gar nicht gedacht. Er schüttelte den Kopf. »Nein, machen Sie sich keine Sorgen. Ich glaube nicht, dass die Terroristen sich weiter für Sie interessieren werden.«
»Sie glauben?« Ihrem Tonfall war eine leichte Schärfe anzuhören.
»Das ist nicht der Grund, weshalb ich hergekommen bin.« Er hielt inne, und als sie ihn nur erwartungsvoll ansah, seufzte er innerlich und fuhr fort. »Walter … Herr Bernstein schickt mich, weil wir … weil das Institut Ihre Hilfe benötigt.«
Auf ihrem Gesicht zeichnete sich Überraschung ab, gepaart mit einem Funken Neugier. »Meine Hilfe? Ich dachte, es wäre vollkommen unwahrscheinlich, dass Sie noch einmal Kontakt mit mir aufnehmen, auch wenn ich in dieser Kartei stehe.«
Er verzog unbehaglich die Lippen, als er sich daran erinnerte, dass er genau das vor einem Monat zu ihr gesagt hatte. »Eher unwahrscheinlich, habe ich gesagt. Aber nicht gänzlich unmöglich. Walter wäre auch gar nicht auf Sie verfallen, wenn wir eine andere Wahl gehabt hätten.«
»Oh, vielen Dank«, sagte sie spitz.
»Verstehen Sie mich nicht falsch …«
»Bestimmt nicht.«
»Es ist leider so, dass wir in einem Fall von Steuerdaten-Diebstahl ermitteln und Sie die einzige Person sind, die unauffällig Kontakt zu unserer Zielperson aufnehmen kann.«
»Ach.« Sie runzelte die Stirn. »Wie das?«
»Sie betreiben doch diesen Büroservice.«
»Ja und?«
»Einer Ihrer Kunden ist der Steuerberater Marius Leitner.«
»Was?« Sie schluckte und starrte ihn so entsetzt an, als habe er ihr ein unmoralisches Angebot gemacht. »Wollen Sie mir etwa erzählen, dass der Geheimdienst gegen Herrn Leitner ermittelt? Das ist ja lächerlich!«
»Nicht im Geringsten, Frau Berg«, widersprach Markus. »Zu seiner Klientel gehören hochkarätige Manager, Politiker und Banker. Er hat Zugang zu all deren sensiblen Steuerdaten und unsere Experten haben eine IP-Adresse abgefangen, die sich zu seiner Kanzlei zurückverfolgen lässt. Leider ist es nicht ganz einfach, ihn festzunageln, denn die IP beweist nur den Zugang, nicht aber das Stehlen der Daten. Wir müssen sehr vorsichtig und vollkommen verdeckt ermitteln, da weder die Öffentlichkeit etwas von unserem Verdacht wissen darf noch die Hintermänner, denen wir schon länger auf der Spur sind.«
»Was für Hintermänner?« Jannas Stimme klang leicht gepresst. Sie schien noch immer kein Wort von dem zu glauben, was er ihr erzählt hatte.
»Wenn wir das wüssten, wären wir schon einen guten Schritt weiter und müssten Sie gar nicht behelligen, Frau Berg«, erklärte er. »Wer auch immer es ist, arbeitet sehr geschickt und mit den neuesten technischen Möglichkeiten, um seine Spuren zu verwischen.«
»Aber warum in aller