Das Maultier war, wie bereits erwähnt, nur scheinbar schwach. Es trug den langen, knochigen Reiter mit Leichtigkeit und zeigte zuweilen sogar Lust, gegen den Willen seines Herrn einen kurzen Streik zu versuchen, wurde dann aber allemal so kräftig zwischen die ewig langen Schenkel des Gebieters genommen, dass es den Widerstand schnell aufgab. Diese Tiere sind wegen ihres sicheren Schritts beliebt, aber auch bekannt wegen ihrer Neigung zu störrischen Widersetzlichkeiten.
Was nun den anderen Reiter betrifft, so musste es bei der Glut, mit der die Sonne niederbrannte, auffallen, dass er einen Pelz trug. Freilich zeigte es sich, wenn durch irgendeine Bewegung des Dicken der Pelz einmal zurückgeschlagen wurde, dass diese Hülle an hochgradiger Haarlosigkeit litt. Es gab nur stellenweise ein kleines, lichtes Büschel, etwa so wie in der unendlichen Wüste nur hier und da eine arme Oase anzutreffen ist. Selbst Kragen und Aufschläge waren so sehr gelichtet, dass man daran talergroße nackte Stellen fand. Unter diesem Pelz blickten rechts und links riesige Aufschlagstiefel hervor. Auf dem Kopf trug der Mann einen breitrandigen Panamahut, der ihm viel zu weit war, sodass er ihn, um aus den Augen sehen zu können, weit ins Genick hinunterschieben musste. Die Ärmel des Pelzes waren so lang, dass man die Hände nicht sehen konnte. So war denn das Gesicht des Reiters das Einzige, was man von ihm selbst erblickte. Aber dieses Gesicht war es auch wert, genau betrachtet zu werden.
Es war ebenfalls glattrasiert, ohne eine Spur von Bart. Die roten Wangen waren so voll, dass das Näschen nur einen fast erfolglosen Versuch machen konnte, zwischen ihnen zur Geltung zu kommen. Ebenso erging es den kleinen, dunklen Äuglein, die zwischen Brauen und Wangen tief versteckt lagen. Ihr Blick hatte einen gutherzig-listigen Ausdruck. Überhaupt stand auf dem ganzen Gesicht geschrieben: ‚Schau mich mal an! Ich bin ein kleiner, prächtiger Kerl und mit mir ist sehr gut auszukommen. Aber brav und verständig musst du sein, sonst hast du dich in mir verrechnet.‘
Jetzt kam ein Windstoß und trieb dem Kleinen den Pelz vorn auseinander. Da konnte man sehen, dass er darunter eine blauwollene Hose und eine ebensolche Bluse trug. Um seine starken Hüften war ein Ledergürtel geschnallt, worin außer den Gegenständen, die auch der Lange besaß, noch ein indianischer Tomahawk steckte. Den Lasso hatte er vorn am Sattel hängen und daneben eine kurze, doppelläufige Kentuckybüchse, der man es ansah, dass sie schon in gar manchem Kampf als Angriffs- oder Verteidigungswaffe gedient hatte.
Und wer waren diese beiden Männer? Nun, der Kleine hieß Jakob Pfefferkorn und der Lange führte den Namen David Kroners. Hätte man irgendeinem Westmann, einem Squatter oder Trapper diese beiden Namen genannt, so hätte er kopfschüttelnd gesagt, dass er von den zwei Jägern noch nie ein Wort gehört habe. Und doch wäre das gegen die Wahrheit gewesen, denn sie waren gar berühmte Pfadfinder und an manchem Lagerfeuer erzählte man sich seit Jahren von ihren Taten. Es gab kaum einen Ort von New York bis Frisco[2] und von den Seen im Norden bis an den mexikanischen Meerbusen, wo nicht das Lob dieser beiden Savannenmänner erschollen war. Freilich, die Namen Jakob Pfefferkorn und David Kroners waren nur ihnen selbst geläufig. In der Prärie, im Urwald und besonders bei den Rothäuten wird nicht nach dem Geburts- oder Taufschein gefragt. Da erhält ein jeder sehr bald einen Namen, der seinen Erlebnissen oder Eigenschaften entspricht und rasch weiter verbreitet wird.
Kroners war ein Vollblut-Yankee und wurde nicht anders als der Lange Davy genannt. Pfefferkorn stammte aus Deutschland und wurde nach seinem Vornamen Jakob und seiner Körperform nur als der Dicke Jemmy bezeichnet. Jemmy ist nämlich der englische Ausdruck für Jaköbchen.
Als Davy und Jemmy waren sie überall bekannt, und man hätte im fernen Westen wohl selten einen Menschen getroffen, der nicht im Stande gewesen wäre, die eine oder andere Heldentat von ihnen zu erzählen. Sie galten als unzertrennlich. Wenigstens gab es keinen, der sich hätte besinnen können, einen von ihnen jemals allein gesehen zu haben. Trat der Dicke an ein fremdes Lagerfeuer, so schaute man unwillkürlich nach dem Langen aus, und kam Davy in einen Store[3], um sich Pulver und Tabak zu kaufen, so wurde er sicherlich gefragt, was er für Jemmy mitnehmen wollte.
Ebenso unzertrennlich fühlten sich auch die beiden Tiere dieser Westmänner. Der große Klepper hätte wohl trotz allen Durstes an keinem Bach oder Fluss getrunken, wenn nicht zugleich mit ihm das kleine Maultier den Kopf zum Wasser niedergebeugt hätte. Und das Maultier wäre selbst im schönsten, saftigsten Gras mit erhobenem Kopf stehen geblieben, wenn es nicht der Klepper vorher leise angeschnaubt hätte, als ob er flüstern wolle: ‚Du, sie sind abgestiegen und braten sich ihre Büffellende. Nun wollen auch wir frühstücken, denn vor dem späten Abend gibt es ganz gewiss nichts mehr!‘
Und dann sich gar in irgendeiner Not verlassen, das fiel den beiden Tieren überhaupt nicht ein. Ihre Herren hatten einander schon viele Male das Leben gerettet. Einer stürzte sich für den anderen ohne Bedenken in die größte Gefahr. So hatten auch die beiden Tiere einander oft beigestanden, wenn es galt, den Kameraden herauszubeißen oder mit den kräftigen, scharfen Hufen gegen einen Feind zu verteidigen. Die vier, Menschen sowohl als Tiere, gehörten zusammen; sie wussten es gar nicht anders.
Jetzt trabten sie fröhlich in nördlicher Richtung dahin. Am Morgen hatte es für Pferd und Maultier Wasser und saftige Weide gegeben und für die beiden Jäger Wasser und die Keule eines Hirsches. Den Rest des Fleisches trug der Klepper, sodass an Hungersnot nicht zu denken war.
Unterdessen hatte die Sonne ihren höchsten Stand erreicht gehabt und war dann langsam tiefer gesunken. Es war zwar sehr heiß, doch wehte ein erfrischender Windhauch über die Prärie und der von zahllosen Blumen durchwirkte Büffelgrasteppich zeigte noch lange nicht die braune, verbrannte Farbe des Herbstes, sondern sein frisches Grün erquickte das Auge. Die über die unendlich weite Ebene verstreuten, in Form von einzelnen, riesigen Kegeln sich erhebenden Felsenberge wurden von den schräg herabfallenden Strahlen der Sonne beleuchtet und glänzten auf ihren westlichen Seiten in glühender Farbenpracht, die nach Osten hin in immer tiefere, dunklere Töne verlief.
„Wie weit reiten wir heute noch?“, fragte der Dicke, nachdem sie stundenlang kein Wort gesprochen hatten.
„So weit wie alle Tage“, antwortete der Lange.
„Well!“, lachte der Dicke. „Also bis zum Lagerplatz.“
„Ay!“ Mister Davy hatte nämlich die Eigentümlichkeit, anstatt Yes stets die altertümliche Bejahung ‚Ay‘ zu verwenden. Ja, er war immer originell, der Lange Davy!
Wieder verging eine Weile. Jemmy hütete sich sehr, sich durch eine weitere Frage abermals eine solche Antwort zu holen. Er betrachtete den Kameraden zuweilen mit seinen listigen Äuglein und wartete die Gelegenheit zur Rache ab. Endlich wurde die Stille dem Langen doch zu drückend. Er deutete mit der Rechten hinaus in die Richtung, der sie folgten, und fragte: „Kennst du diese Gegend?“
„Sehr gut!“
„Nun? Was ist’s?“
„Amerika!“
Der Lange zog unmutig die langen Beine empor und gab seinem Maultier einen Hieb. Dann meinte er: „Schlechter Kerl!“
„Wer?“
„Du!“
„Ah! Ich? Wieso?“
„Rachsüchtig!“
„Gar nicht. Gibst du mir dumme Antworten, so sehe ich nicht ein, warum ich geistreich sein soll, wenn du mich fragst.“
„Geistreich? O weh! Du und geistreich! Du bestehst so sehr aus Fleisch, dass der Geist überhaupt keinen Platz haben würde.“
„Oho! Hast du vergessen, was ich durchgemacht habe, drüben im alten Land?“
„Ay! Eine Klasse des Gymnasiums! Ja, das weiß ich noch. Das kann ich überhaupt niemals vergessen, denn du erinnerst mich täglich wenigstens dreißigmal daran.“
Der Dicke warf sich in die Brust. „Das ist auch notwendig“, meinte er. „Eigentlich sollte ich es täglich vierzig- oder fünfzigmal erwähnen, da ich ein Mann bin, vor dem du gar nicht genug Hochachtung haben kannst. Übrigens habe ich nicht nur eine Klasse durchgemacht, sondern drei!“
„Für