Der Hölle entkommen. Eberhard Bordscheck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eberhard Bordscheck
Издательство: Bookwire
Серия: Zeitzeugen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783475543531
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Griffe gewöhnte Hände fuhren an Maries Körper entlang und schienen ihn neu formen zu wollen. Marie ließ ihn gewähren. Sie streichelte seinen Rücken und löste damit wohlige Schauer aus, auf die er mit unterdrücktem Lachen reagierte. Dann fanden sie sich. Marie bäumte sich ihm entgegen und er spürte ihre feuchte Wärme. Sie grub ihre Fingernägel in seinen Rücken, als wolle sie ihn nie wieder loslassen. So blieben sie lange, ohne ein Wort zu sagen, beieinander liegen, hielten einander fest, um diesen Augenblick nicht entkommen zu lassen. Schließlich lösten sie sich voneinander. Georg bemerkte auf der Innenseite von Maries Oberschenkeln einen feinen Blutfaden. Er zog seine Hose zu sich heran, holte ein Taschentuch aus der Tasche und wischte das Blut damit ab. Dann faltete er das Tuch sorgfältig zusammen und steckte es wieder in die Tasche zurück. Das Taschentuch trug er immer bei sich, bis es auf dem Rückzug in der Normandie verloren ging.

      Sie kamen in dieser Nacht noch einmal zueinander und schliefen schließlich, die Gesichter einander zugewandt, erschöpft ein.

      Der Hahn beendete ihre Nacht. Er machte sich zwar nicht allzu laut bemerkbar, es reichte aber aus, sie beide zu wecken. Die Lampe war inzwischen auch verloschen, und durch die Ritzen der Scheunenwand kündigten lange Sonnenfinger einen schönen neuen Maitag an. Hastig zogen sich beide an, gingen auf das Tor zu, und Georg spähte vorsichtig hinaus. Er nahm Maries Hände und hob sie an die Brust. »Ich komme zurück, Marie! Das verspreche ich dir!« Dabei schimmerten seine Augen feucht.

       »Ich werde auf dich warten, Georg! Ich werde da sein, wenn du zurückkommst!«

      Sie hatten in dieser Nacht wenig gesprochen, sich dabei aber alles gesagt, was Liebende zueinander sagen können.

      Marie ließ ihn los.

      »Nun geh schon, und schau nicht zurück. Ich seh dir nach! Wenn du nachher gehst, stehe ich oben am Fenster! Sieh dann hinauf!« Damit schob sie ihn durch das Tor und lauschte seinen Schritten nach.

       Als er ins Haus trat, kam ihm sein Vater entgegen und sagte seltsam leise: »Da bist du ja, mein Junge! Es wird Zeit!«

      Und dann tat sein Vater etwas, was er schon lange nicht mehr getan hatte, er zog den Kopf Georgs zu sich herunter und küsste ihn auf die Stirn. Dann entfernten seine wissenden Finger ein paar Heufäden von der Uniform.

       »Geh in die Küche, Junge! Mutter wartet schon mit dem Frühstück auf dich. Ich bring dich dann zum Zug!«

      An diesem Morgen hatte er Marie zum letzten Mal gesehen. Vierzehn Tage später landeten die Alliierten in der Normandie.

      Unruhe kam um ihn herum auf. Die Nacht verlor sich langsam an den Tag. Georg hob den Kopf und bemerkte die Veränderung sofort. Der Regen hatte aufgehört.

      Eingewöhnung

      Im Dunst des frühen ersten Tages wurde der gesamte cage unter Bewachung zurück zum Haupttor getrieben. Die Bewachungsmannschaft war wegen dieses frühen Auftrags missgelaunt und trieb die erschöpften und hungrigen, noch nachtstarren Gefangenen unnachgiebig vorwärts. Hinter dem Haupttor gab es einen großen freien Platz, der durch viele Füße in eine morastige Fläche verwandelt worden war. Am Ende des Platzes standen zwei große Zelte. Vor und um die Zelte herum waren große Matten ausgelegt, damit die Wachmannschaften keine schmutzigen Stiefel bekamen. Das ganze cage musste sich nun einzeln, wie zu einer Essensausgabe, hintereinander aufstellen. Hoffnung keimte auf, jetzt doch etwas zu essen zu bekommen. Einige nestelten schon an ihren Kochgeschirren herum, aber sie sollten enttäuscht werden.

      Georg stand mit seiner Gruppe ziemlich weit vorne in der Reihe und versuchte einen Blick in das Innere des ersten Zeltes zu werfen, als sich plötzlich ein Sergeant und zwei GIs aus der Wachtruppe lösten und wild gestikulierend auf die beiden Panzersoldaten zustürmten, die ihm am Tag zuvor aufgefallen waren. Die unmittelbar daneben stehenden Gefangenen wichen zurück. Ob die Amerikaner die schwarz uniformierten Gefangenen vielleicht für SS-Männer hielten? »SS-men! You are SS-men!«, schrie der Sergeant die beiden tatsächlich an und stieß dabei seinen Zeigefinger immer drohender in die Luft.

      Georg fürchtete, dass sich hier so etwas Ähnliches wie am Tag zuvor am Zaun anbahnen könnte. Um Schlimmeres zu verhüten, wagte er es, ein paar Schritte aus der Reihe herauszutreten, klaubte sein Schulenglisch zusammen und versuchte, den Irrtum aufzuklären. Der aufgebrachte Sergeant wandte ihm ein überraschtes, wutrotes Gesicht zu, als er auf ihn zutrat.

      »Hey, Sergeant! You’re wrong! These men aren’t SS-men! They’re ordinary panzer troopers! German panzer troopers wear black uniforms, too! Tank trooper uniforms look like the ones of the SS! Look at their caps! Besides they wear the eagles on the right chest and not on the left upper arm … and they haven’t got any SS-signs on their uniforms! These men belonged to an armoured panzer division!«

      Der Sergeant stand mit offenem Mund da und sah den Gefangenen verblüfft an. Er senkte seinen drohenden Finger und musterte Georg genauer. Sein Blick glitt von seinem Gesicht zu den Schulterstücken, an denen er den Unteroffizier erkennen konnte, dann wanderte er hinüber zu den beiden Panzersoldaten, und er schien nun tatsächlich die Unterschiede zu den verhassten SS-Uniformen zu bemerken. Er schob sein Kinn Georg entgegen und bemühte sich, ihn mit einem vernichtenden Blick zu fixieren, in dem aber dennoch etwas neu erwachter Respekt mitschimmerte. Dann knurrte er etwas Unverständliches und bellte den Gefangenen nicht mehr ganz so aufgebracht an: »Bloody German! Go back, boy! We’ll see … in the tent!«

      Georg gehorchte und bemerkte beim Wiedereintreten in die Reihe die erleichterten Blicke der Kameraden. Nun wusste er, welchem Zweck die Zelte dienten. Nichts war es mit dem Verpflegungfassen!

      Bald erfuhren es auch die anderen. Im ersten Zelt wurden sie der Reihe nach auf ihre Zugehörigkeit zur SS untersucht. Dazu mussten sie ihre Oberbekleidung ablegen und den linken Arm hochheben. Sanitätssoldaten suchten dort nach den bei SS-Angehörigen üblichen eintätowierten Blutgruppenkennungen. Besonderes Augenmerk richteten sie dabei auf etwaige Verletzungen, mit denen SS-Angehörige versucht haben könnten, ihre Tätowierungen auszulöschen. Unter den Gefangenen des cages fand sich aber kein einziger SS-Mann.

      Georg konnte sich lebhaft vorstellen, was die Amerikaner mit Angehörigen der SS machen würden, wenn sie sie erwischten. Und er konnte es sogar verstehen! Bei den Kämpfen in den Ardennen und im Hürtgenwald hatte er sie als gnadenlose Angreifer und Zerstörer erlebt. Auf ihrer Angriffsspur gab es so gut wie keine verletzten oder gefangen genommenen alliierten Soldaten.

      Nach dieser Sichtkontrolle mussten sie im zweiten Zelt, das in einen milchigweißen Dunstschleier gehüllt war, ihre gesamte Kleidung ablegen. Die amerikanischen Soldaten trugen einen Mundschutz und stäubten die Gefangenen mit einem Entlausungspulver ein. Dabei wurden alle kritischen Stellen des Körpers, vor allem die Körperöffnungen, bedacht. Sie wurden, fand Georg, wie eine Herde Schafe behandelt, die durch ein Zeckenbad getrieben wird. Er stolperte aus dem Zelt heraus und kleidete sich hastig wieder an, um der scharfen Morgenkälte zu entkommen. Seine bepuderte Haut fühlte sich nun unter der Kleidung stumpf an und seine Oberschenkel scheuerten beim Gehen am rauen Hosenstoff. Verdammt, dachte er wütend, wenn wir wieder zurück im Käfig sind, werde ich mir zu allem Überfluss noch einen Wolf gelaufen haben.

      Erst nachdem er das Zelt verlassen hatte, fiel ihm auf, dass die Amerikaner während der gesamten Prozedur überhaupt keine Anstalten gemacht hatten, die Gefangenen zu registrieren. Nun begann ihm zu dämmern, dass die Alliierten auf eine so große Zahl zu versorgender Gefangener überhaupt nicht eingerichtet waren. Das ließ nichts Gutes für die nahe Zukunft der vielen noch zu erwartenden Gefangenen ahnen. Hunger!

      Inzwischen hatte wieder ein feiner Nieselregen eingesetzt.

      Einige Gefangene hatten während der Warterei nach der Behandlung ein paar Metallfässer entdeckt, die hinter den Zelten am Stacheldrahtzaun aufgereiht standen. In den nach innen gefalzten Deckeln hatte sich Regenwasser gesammelt. Ein paar Gefangene stürzten sich auf diese Deckel und schleckten das Wasser wie Hunde. Andere versuchten, ihre Kochgeschirre zu füllen. In dem allgemeinen Gedränge stürzten einige Fässer um, und das kostbare Wasser versickerte. Die Wachsoldaten