Der Hölle entkommen. Eberhard Bordscheck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eberhard Bordscheck
Издательство: Bookwire
Серия: Zeitzeugen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783475543531
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hielt der Besiegte seine rechte Hand hoch, an der zwei Finger in eine völlig falsche Richtung zeigten. Er wimmerte. Eigenartigerweise schien aber die Niederlage ihres Wortführers die anderen Artilleristen gar nicht sonderlich verärgert zu haben. Georg vermeinte sogar so etwas wie heimliche Genugtuung zu bemerken. Einer aus der Truppe, der in Georgs Nähe stand, schlug ihm sogar auf die Schulter: »Große Klasse, das da gerade. Das war schon lange mal fällig!«

      Nun, da er sich den nötigen Respekt verschafft hatte, ließ Georg die Verteilung der Rationen vornehmen und beschloss, die Gunst des Augenblicks zu nutzen, um auch eine Strafandrohung für den Fall des Nahrungsmitteldiebstahls loszuwerden.

      »So, Männer, ihr habt gehört, dass sich zwei Mann ein Paket teilen müssen. Bescheißt euch nicht gegenseitig. Ihr seht ja, das gibt nur Ärger! Der Dicke da«, dabei wies er auf seinen Gegner, »bekommt heute nichts. Wenn ich mir seine Wampe ansehe, dann wird er euch oft genug den Nachtisch weggefressen haben. Seinen Anteil bekommt der Junge, den er niedergeschlagen hat!«

      Das Verteilen der Pakete ging dann erstaunlich diszipliniert vor sich. Schnell hatten sich jeweils zwei Männer zusammengetan, die sich ein Paket teilen wollten. Zuckende Hände rissen die Kartons auf, und hungrige Blicke glitten fast zärtlich über Päckchen und Dosen. Die Pakete enthielten die Tagesration für einen amerikanischen Soldaten. Georg und Krumbiegl nahmen ihres zum Schluss entgegen. Zuerst sichteten sie ihren Schatz. Sie hatten ein Paket erwischt, das neben Keksen, Schokolade, Trockenobst und Trockengemüse eine Dose Corned Beef enthielt. Daneben fanden sich auch noch eine Tube Nescafé, Kaugummi und Erdnussbutter.

      Georg und Krumbiegl besahen sich ihre Schätze und wussten erst gar nicht, womit sie beginnen sollten. Sie entschieden sich für Corned Beef und Trockenobst. Zum Nachtisch gönnten sie sich ein Stück Schokolade. Den Rest teilten sie auf und bargen ihn in ihren Kochgeschirren. Krumbiegl riss die Pappe des Kartons so zurecht, dass er sie unter seine Uniformjacke als wärmenden Windschutz schieben konnte. Andere taten es ihm gleich oder polsterten ihre Löcher damit aus. Die leeren Blechdosen verwahrten sie wie gutes altes Tafelgeschirr in ihrem Loch. Gestillt war ihr Hunger nicht, aber besänftigt, die Hungerfaust entkrampfte sich ein wenig.

      Während sie aßen, schaute Georg zu den benachbarten Hundertschaften hinüber und stieß Krumbiegl an.

      »Schau mal da rüber, Karl, und da … und da hinten! Überall Zänkereien um die Pakete! Hoffentlich haben wir das jetzt im Griff!«

      Krumbiegl war zuversichtlich. »Dieses Arschgesicht hätte viel kaputt machen können. Diese Sorte kenne ich nur zu genau! Aber du hast ihm ja Manieren beigebracht.« Er schwieg einen Moment, dann setzte er hinzu: »Als ich noch in der Schule war, im letzten Schuljahr, ist mir einmal etwas ganz Ähnliches passiert. Mit dem Sohn unseres Ortsgruppenleiters. Ein widerlicher Kerl!«

      »Wer war widerlich – der Sohn oder der Vater?«, erkundigte sich Georg.

      »Alle beide!« Grimmig fügte Krumbiegl hinzu: »Eigentlich wäre es aber vor allem der Vater gewesen, dem jemand eine Lektion hätte erteilen müssen. Aber versuch das mal bei einem Ortsgruppenleiter! Gustav Frommelt heißt er. Er ist Weinhändler.«

      Gustav Frommelts Weinhandel war ein großes Anwesen, aber sehr heruntergekommen. Unter den Weinhändlern der Gegend hatte er keinen guten Ruf, aber er konnte Kapital daraus schlagen, dass er schon früh der braunen Bewegung beigetreten war. Nachdem seine Leute die Herren im Land geworden waren, lief er nur noch in SA-Uniform durch die Stadt. Seine nur etwa mittelgroße, in der Hüfte ziemlich aus dem Leim gegangene Gestalt zwängte er immer in eine für ihn viel zu enge Uniform, was ihm ein wursthaftes Aussehen verlieh.

      Um seinem Idol in Berlin so ähnlich wie möglich zu sehen, hatte er sich eine Zahnbürste über der Oberlippe wachsen lassen und den Scheitel seines Haares mit viel Mühe auf die andere Kopfseite gezwungen. Auch seine Aussprache begleitete er nun mit dessen pathetischen Gesten und verfiel dabei in ein asthmatisch schnarrendes Fränkisch. Er hatte einen Hinkefuß aus dem Krieg mitgebracht und behauptete überall, seine Verwundung habe ihm ein feiges welsches Schwein von hinten – von hinten! – beigebracht. Männer, die dabei gewesen waren, erzählten allerdings eine andere Geschichte.

      Als alter Kämpfer stieg er in der nationalsozialistischen Hierarchie rasch zum Ortsgruppenleiter auf und bestimmte das Leben in der kleinen Kreisstadt nun maßgeblich mit. Allenthalben gab es nun etwas Nationalsozialistisches zu feiern. Geschickt nutzte er seinen Machtzuwachs auch für seinen persönlichen Vorteil, unterstützt von seiner örtlichen Truppe von SA-Schlägern und notfalls zusätzlich von auswärtigen Braunhemden, wenn jemand ihm Widerstand entgegensetzte. An Vater Krumbiegl, dessen Wein er auch gerne in sein Verkaufsangebot aufgenommen hätte, biss er sich allerdings die Zähne aus.

      Kurz danach setzten in der Schule Sticheleien und allerhand kleine Schikanen gegen Karl ein, hinter denen, wie er rasch erkannte, Horst, Gustav Frommelts Sohn, steckte. Horst selbst musste aber meistens gar nicht selbst in Aktion treten. Als Sohn des Ortsgruppenleiters hatte auch er eine kleine Schar ergebener Helfer, die er nach Belieben herumkommandierte.

      Eines Morgens vor Schulbeginn wurde Karl, als er gerade das Schulgebäude betreten wollte, von zwei Klassenkameraden abgefangen, die ihn zwischen sich hin- und herschubsten und ihm die Mütze vom Kopf schlugen. Als er sie aufheben wollte, bekam er einen Tritt und stürzte zu Boden. Beim Hochrappeln blickte er in das hämische Grinsen des jungen Frommelt. Im selben Moment ertönte die Schulklingel und verhinderte für den Moment eine Auseinandersetzung. Als es dann aber später zur Pause klingelte, wusste Karl, dass er sich jetzt mit Horst und seinem Anhang prügeln musste. Er ließ seine Mütze und sein Pausenbrot unter der Bank zurück, um seine Hände frei zu haben.

      Auf dem Schulhof warteten die beiden schon auf ihn. Sie hatten betont gelangweilte Mienen aufgesetzt, und waren völlig überrumpelt, als Karl ohne Zögern auf den Ersten zusprang, seinen linken Fuß auf dessen rechten stellte, und ihn so am Boden festnagelte. Sein Gegner verlor das Gleichgewicht und geriet ins Rückwärtstaumeln. Dies nutzte Karl aus und traf ihn mehrmals mit schweren Schlägen im Gesicht. Der andere wollte sich mit hochgerissenen Armen vor weiteren Schlägen schützen, öffnete dadurch aber seine Körperdeckung. Karl schlug nun eine ganze Serie von Schlägen in den Magen seines Gegners, der daraufhin wimmernd zu Boden ging. Als Karl herumwirbelte, um sich auf den Zweiten zu stürzen, war da niemand mehr. Der Kerl hatte sich zusammen mit Horst Frommelt aus dem Staub gemacht.

       Als die Pause zu Ende ging, wartete Karl an der untersten Treppenstufe auf den jungen Frommelt und seine Kumpanen. Sie wollten sich schnell an ihm vorbeimogeln, aber Karl erwischte Horst am Kragen und drehte ihn zu sich herum: »Wage es nicht noch einmal, irgendjemanden auf mich zu hetzen! Beim nächsten Mal bist du dran! Ich erwische dich, wo immer ich will! Und nun schleich dich, du Ratte!«

      »Ich habe mich gefühlt wie Old Shatterhand, der gerade ein paar Präriebanditen außer Gefecht gesetzt hatte!« Krumbiegl schmunzelte. »Und danach war tatsächlich Ruhe. Frommelt junior ist mir ebenso aus dem Weg gegangen wie Frommelt senior meinem Vater.«

      Auch dieser Tag blieb trocken, aber der Wind frischte auf. Georg las an diesem Abend einen weiteren Brief Maries und ließ sich von ihm vergangene Tage zurückbringen.

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