Sie werden bemerkt haben, dass sich diese vierte Ebene des Zuhörens im Hinblick auf ihre Textur und ihre Ergebnisse von den anderen Ebenen unterscheidet. Wenn Ihnen bewusst wird, dass Sie am Ende eines Gesprächs nicht mehr die gleiche Person sind, die das Gespräch begann, dann wissen Sie, dass Sie aus dem vierten Feld heraus zugehört haben. Sie sind durch eine subtile, aber tief greifende Feldveränderung gegangen. Sie haben sich mit der tieferen Quelle ihres entstehenden authentischen Selbst verbunden.
Die U-Theorie: Handeln von der entstehenden Zukunft her
Was immer wir tun, wir agieren auf der Basis von einer dieser vier Aufmerksamkeitsfelder. Wir greifen auf eine dieser Bewusstseinsebenen zu, ob wir nun allein oder in großen Gruppen sind. Ich schlage vor, diese Zustände des Handelns Feldstrukturen der Aufmerksamkeit zu nennen. Die auf sichtbarer Ebene identischen Aktivitäten (wie Zuhören) können in der Praxis radikal unterschiedliche Ergebnisse produzieren, abhängig von der Feldstruktur der Aufmerksamkeit, durch die eine bestimmte Handlung in die Welt kommt. Anders ausgedrückt: Ich nehme (auf die Weise X) wahr – deshalb tritt das Ereignis (Y) in Erscheinung. Dies ist die verborgene Dimension unseres gemeinsamen sozialen Prozesses. Diese Dimension ist vielleicht nicht einfach oder sofort verständlich, aber sie ist der Hebel für wirklichen Wandel. Ich habe die U-Theorie entwickelt, um ein besseres Verständnis dieser Quelldimension des sozialen Werdens zu ermöglichen.
Die Theorie U greift die Kernfrage auf, die diesem Buch zugrunde liegt: Was ist erforderlich, damit wir von einer im Entstehen begriffenen Zukunft her lernen und handeln? In Kapitel 2 werden wir uns auf den »Weg zum U« begeben und diese Frage mit dem Ziel verfolgen, unsere Führungs-, Handlungs- und Lernzyklen von den Feldern 1 und 2 (Reagieren und Schnellschüsse) weg in Richtung der Felder 3 und 4 (profunde Erneuerung und Veränderung) zu vertiefen.
Die turbulenten Herausforderungen unserer Zeit zwingen alle Institutionen und Systeme dazu, sich selbst zu erneuern und neu zu erfinden. Um das leisten zu können, müssen wir uns fragen: Wer sind wir? Wozu sind wir hier? Was wollen wir wirklich gemeinsam hervorbringen? Die Antworten auf diese Fragen werden unterschiedlich ausfallen, je nach der Feldstruktur unserer Aufmerksamkeit (und unseres Bewusstseins), die wir nutzen, um sie zu beantworten. Sie können aus einer rein materialistisch-deterministischen Sicht beantwortet werden (wenn man von Feld 1 und Feld 2 aus agiert), oder sie können aus einer eher ganzheitlicheren Perspektive betrachtet werden, die die feineren relationalen und spirituellen Quellen im Prozess der sozialen Realitätsentstehung mit einbezieht (Feld 3 und Feld 4).
Eine neue Wissenschaft
Dieses Buch hat mehr vor als nur den blinden Fleck von Führung auszuleuchten. Es versucht, die unsichtbare Dimension des sozialen Prozesses zu erhellen, mit der es jeder von uns im täglichen Leben, ob bewusst oder nicht, zu tun hat. Damit das gelingen kann, müssen wir unsere gegenwärtige Form von Wissenschaft eine Windung weiterdrehen. Wie die Psychologin Eleanor Rosch von der University of California in Berkeley es so treffend auf den Punkt brachte: »Wissenschaft muss mit dem Willen zur Weisheit geleistet werden.« Die Wissenschaft, wie wir sie heute kennen, steckt im Hinblick darauf immer noch in den Kinderschuhen.
Galileo Galilei entwickelte im Jahr 1609 ein Teleskop, durch das er die Monde des Jupiters beobachten konnte. Seine Beobachtungen unterstützten mit starker Evidenz das ketzerische Kopernikanische Weltbild, das Postulat eines heliozentrischen Universums. 66 Jahre zuvor hatte Nicolaus Kopernikus eine Abhandlung veröffentlicht, in der er den revolutionären Gedanken vertrat, dass die Sonne das Zentrum des Universums bildete und nicht – wie in der damals aktuellen Sichtweise von Ptolemäus vertreten – die Erde. Während des folgenden halben Jahrhunderts seit ihrer Publikation wurde Kopernikus’ Theorie mit Skepsis betrachtet, vor allem von der katholischen Kirche. Als Galilei durch das Teleskop sah, wusste er, dass Kopernikus recht gehabt hatte. Aber als er für dessen Sicht eintrat, zunächst in privaten Gesprächen, später auch durch seine Schriften, opponierte die katholische Kirche wie auch schon bei Kopernikus aufs Schärfste und bestand darauf, dass dies eine Irrlehre sei, und berief eine Inquisition ein. Galilei versuchte, seine Ansicht zu verteidigen, indem er die Kirchenobersten drängte, doch durch das Teleskop zu sehen und sich der Tatsachen mit ihren eigenen Augen zu vergewissern. Aber die Kirchenführer verweigerten den erschreckenden Durchblick. Sie trauten sich nicht, sich über das Dogma der Heiligen Schrift hinauszubewegen. Auch wenn die Kirche Galilei während der Inquisitionsverhandlung erfolgreich einschüchterte (und den Siebzigjährigen dazu zwang, seine Ansichten zurückzunehmen) – der Sieg war ihm schließlich sicher, und heutzutage gilt er als Vater der modernen experimentellen Physik. Galileo Galilei leistete Pionierarbeit für die moderne Wissenschaft, indem er, anstatt sich abzuwenden, nach vorne durch sein Teleskop sah und die Fakten sprechen ließ; er gründete seine Ansichten auf seinen eigenen Beobachtungen und nicht auf die Dogmen der Kirche.
Heute, über 400 Jahre später, stehen wir vor einem weiteren Durchbruch. Galileo transformierte die Wissenschaft, indem er uns ermutigte, unseren eigenen Augen zu trauen und unsere Sinne zur Erfassung externer Daten einzusetzen. Heute sind wir gefordert, diese Methode zu verbreitern und zu vertiefen und dadurch ein viel umfassenderes Set von Daten dem Erkenntnisprozess zugänglich zu machen. Damit das gelingt, müssen wir ein Teleskop neuen Typs entwickeln: nicht des Typs, durch den wir beobachten können, was weit außerhalb von uns selbst liegt – die Monde des Jupiters –, sondern eines anderen Typs, durch den wir den Beobachtungsstrahl krümmen, wenden und schließlich auf seinen Ursprungsort zurücklenken können: auf den blinden Fleck, d. h. auf das Forschung betreibende Selbst des Beobachters. Zu den Instrumenten, die wir brauchen, um den Beobachtungsstrahl auf die Quelle zurückzulenken, gehören nicht nur ein offenes Denken (das zum normalen Modus des Fragens und Erforschens gehört), sondern auch ein offenes Herz und ein offener Wille. Auf diese subtileren Aspekte der Beobachtung und Erkenntnis werden wir später noch ausführlicher eingehen.
Die heutige Wissenschaftstransformation ist nicht weniger revolutionär als seinerzeit die von Galileo Galilei. Auch der Widerstand der amtierenden Wissens- und Würdenträger wird nicht weniger erbittert sein als der, auf den Galilei seinerzeit stieß. Und dennoch müssen wir, sofern wir uns den globalen Herausforderungen stellen und den Ruf unserer Zeit hören wollen, fragen, wie eine neue Synthese der Wissenschaft, der sozialen Evolution und des Werdens des Selbst (oder des Bewusstseins) aussehen kann. Lange Zeit war es unter Sozialwissenschaftlern und Managementforschern eine weit verbreitete Praxis, eigene Methoden und Paradigmen aus den Naturwissenschaften, z. B. der Physik, abzuleiten (oder zumindest durch diese zu legitimieren). Ich meine, dass nun die Zeit gekommen ist, dass Soziologen aus ihrem Schatten heraustreten und eine weiterentwickelte Methodologie der Sozialwissenschaften etablieren, die Wissenschaft (Perspektive der dritten Person), soziale Transformation (Perspektive der zweiten Person) und die Entwicklung des Selbst (Perspektive der ersten Person) in ein kohärentes Konzept von auf Bewusstheit gründender Aktionsforschung integriert.
Ein solches Gerüst entwickelt sich bereits aus zwei bedeutsamen Richtungsänderungen, die in den Sozialwissenschaften in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stattgefunden haben:
•Auf die erste wird häufig als aktionsforscherische Wende verwiesen – Kurt Lewin, ihr Pionier, und seine Anhänger haben in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Vielzahl von Ansätzen zur Aktionsforschung vorangetrieben (vgl. Reason a. Bradbury 2001).
•Die zweite Richtungsänderung erfolgte im ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhundert und wird häufig als die reflexive Wende beschrieben, sollte aber vielleicht besser selbstreflexive Wende auf die eigenen Muster von Aufmerksamkeit und Bewusstsein genannt werden.
Die sich entwickelnde Synthese verknüpft alle drei Blickrichtungen: die der Wissenschaft (Daten sprechen lassen), die der Aktionsforschung (man kann ein System nicht verstehen, solange man es nicht verändert) und die der Evolution von Bewusstsein und Selbst (den