Still schweigt der See. Tina Schlegel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tina Schlegel
Издательство: Bookwire
Серия: Ermittlerduo Sito und Enzig
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960416739
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auf seine Armbanduhr. Es war eine Minute nach neun, der Konferenzraum gefüllt mit angespannter Stille. Seit knapp zwanzig Minuten wussten sie von der Geiselnahme. Zwischenzeitlich hatten die Geiselnehmer über die Facebook-Seite der Stadt mitgeteilt, dass sich in der Uni Männer verteilt hätten und jegliche Verhandlungen hinfällig wären, wenn Polizei auftauchen würde. Via YouTube gab es ein kurzes Video, in dem zwei Maskierte dieselben Informationen verlasen.

      Der Busverkehr an die Uni war gestoppt, die Zufahrten über die Universitätsstraße und die Eggerhaldestraße sowie von der Bushaltestelle auf der Mainaustraße waren gesperrt. Die Geiselnehmer hatten auch dafür genaue Vorgaben durchgegeben, jedes Zuwiderhandeln habe Konsequenzen.

      Die Tür ging auf, und Bürgermeister Jochen Auweiler betrat den Raum. Sein Kopf war hochrot, das Hemd spannte über seinem fülligen Bauch. Geräuschvoll ließ er seinen Notizblock auf den Tisch fallen, rückte den Stuhl weiter nach hinten, sodass er sich setzen konnte.

      Mit im Raum waren außer Sito noch Marc Busch, die Kommissare Johannes Goffer und Martin Kaiser sowie Karl Zimmermann, Polizeipräsident Simon Jäger und Staatsanwalt Pierre Ruger. Sito nickte Busch zu, der erhob sich und ließ die Facebook-Seite der Stadt auf der Leinwand vor ihnen aufscheinen.

      »Um acht Uhr einundvierzig posteten die Geiselnehmer, dass sie das Audimax der Universität gekapert haben. In den letzten zwanzig Minuten kam eine weitere Nachricht, dass keine Polizei zur Universität kommen solle, andernfalls würden wir das Leben der Geiseln riskieren. Selbige Nachrichten laufen über YouTube und Twitter. Von der Dame im Sekretariat wissen wir, dass etwa fünfzig Studenten in der Vorlesung sein müssten. Gehalten wurde die Vorlesung übrigens von unserem Kollegen Roman Enzig.«

      Ein Raunen ging durch den Raum. Polizeipräsident Jäger beugte sich vor. »Wir haben einen Kollegen unter den Geiseln? Wieso erfahr ich erst –«

      »Jetzt wissen Sie es«, erklärte Sito und gab Busch ein Zeichen fortzufahren.

      »Wir wissen nicht, wie viele Studenten sonst noch an der Universität sind, auch nicht, von wie vielen Geiselnehmern wir ausgehen müssen. Es sind Semesterferien, und es ist sehr früh. Vermutlich haben wir noch etwa zweihundert Zivilisten an der Uni.«

      »Können wir nicht einfach die Seite blockieren?«, fragte Auweiler.

      »Und dann? Dann überlassen wir sie alle ihrem Schicksal?«, herrschte Staatsanwalt Ruger den Bürgermeister an und schüttelte den Kopf.

      Auweiler wehrte ab. »Darum geht’s doch nicht, aber offensichtlich brauchen die ja ein Medium, wenn sie keines haben, dann überlegen sie sich … Es gibt doch die Möglichkeit, das Internet irgendwie zu stören, oder?« Die letzte Frage richtete sich an Sito.

      »Die gibt es, aber das wäre jetzt sehr unklug. Wir müssen erst einmal wissen, was die vorhaben.« Er starrte auf seinen Block, auf dem alle Mitteilungen der Geiselnehmer gesammelt waren. »Außerdem haben sie geschrieben, dass dies ihr Kommunikationsweg wird.«

      »Dies?« Auweiler schnaubte. »Meine Website?«

      »Ich glaube, sie meinten eher Facebook«, erklärte Zimmermann und ließ seine Finger knacken. »Hashtag GeiselnahmeUniversität.«

      »Facebook als Medium bei einer Geiselnahme, hat man so was schon mal gehört?«, warf Kaiser in den Raum.

      Sito verneinte.

      »LKA und SEK sind informiert?«, fragte Jäger.

      Sito nickte. »Selbstverständlich, sind unterwegs, aber das wird dauern. Das MEK ist ebenfalls unterwegs. Teile der Spezialeinheit sind bereits vor Ort für die Personenüberwachung rund um den Klimagipfel. Vorerst sind wir, was die Geiselnahme angeht, auf uns gestellt, und Heinrich Wint aus Gaienhofen ist auf dem Weg. Er wird uns unterstützen.«

      Ruger hob fragend die Hände in die Luft. »Wint? Gaienhofen? Wie das?«

      »Er war beim LKA. Ursprünglich erfahrener Vermittler bei Geiselnahmen. Jetzt sitzt er in Gaienhofen. Ist ausgestiegen, aber ein guter Mann. Er ist wie gesagt bereits unterwegs. Wir rechnen in der nächsten halben Stunde mit ihm«, erklärte Sito.

      »Worum es nun geht …«, begann Busch, und ein anderes Bild erschien hinter ihm an der Wand. Es zeigte die junge Sibylle Hundhammer, dunkelbraune Locken zierten das junge Gesicht, ein breites Lachen darauf, als läge ihr die ganze Welt freundlich zu Füßen.

      »Was hat sie mit der Geiselnahme zu tun?«, fragten die Kollegen Goffer und Kaiser gleichzeitig. Auch Auweiler rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Es gab ein Quietschen auf dem Fußboden.

      Sito fuhr sich mit den Fingerspitzen über die Narbe an seiner linken Schläfe. »Wir haben heute einen Großeinsatz zum Schutz von Sibylle Hundhammer. Sollten Sie in letzter Zeit die sozialen Netzwerke konsultiert haben, dann dürfte Ihnen aufgefallen sein, dass die Hetze gegen Hundhammer immer mehr zunimmt. Kollege Zimmermann beobachtet das seit Wochen für uns auch im Hinblick auf die Maßnahmen während der heutigen Demonstration.«

      Alle sahen zu Zimmermann, der sofort nickte. »Es reicht bis zu konkreten Mordankündigungen.« Zimmermanns Finger knackten wieder, Sito zog unwillkürlich die Schultern nach oben, das Geräusch war ihm unangenehm, Zimmermann jedoch schätzte er sehr. »Das ist eine riesige Welle«, sagte der gerade und zog an dem kleinen Finger der linken Hand.

      »Ich verstehe noch immer nicht«, sagte Auweiler. Der Bürgermeister drückte sich die flache Hand gegen den Magen. »Könnt ich wohl ein Glas Wasser haben?«

      »Wir beobachten mit wachsender Sorge den organisierten Hass aus der rechten Ecke«, erklärte Zimmermann.

      »Okay, ich kenn die Sprüche natürlich, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der Mob ausgerechnet in meiner Stadt zuschlagen würde. Und vor allem – was hat das mit der Geiselnahme zu tun?«

      Busch war aufgestanden, um ein Glas Wasser zu holen, und reichte es Auweiler gerade. Der Bürgermeister trank gierig.

      »Wir wissen es nicht«, begann Sito, sah zu Busch, der sich die Ärmel seines hellgrauen Hemdes hochkrempelte und noch weitere Gläser mit Wasser verteilte. Er war ein echter Teamplayer, das wurde Sito schlagartig bewusst, einer, der sich selbst auch zurücknehmen konnte. »Kollege Busch und ich sind uns aber einig, dass wir das nicht ausschließen dürfen. Weshalb sollte die Geiselnahme ausgerechnet heute stattfinden?«

      »Vielleicht, weil dann weniger Polizeikräfte zur Verfügung stehen«, mutmaßte Goffer.

      »Wir müssen es im Auge behalten«, sagte Sito. »Meine Hoffnung ruht derzeit auf Enzig. Ich hoffe, er kann sich irgendwie mit uns in Verbindung setzen.«

      »Fakt ist«, mischte sich nun Zimmermann ein, stand auf und stellte sich neben Busch an den Computer. »Ich darf doch mal.« Busch machte Platz, und Zimmermann tippte, bis auf der Leinwand die Kommentarleiste einer anderen Facebook-Seite erschien. »Wenn Sie sich das hier anschauen, dann verstehen Sie vielleicht eher, was ich mit einer riesigen Welle meine.«

      »Fahrt mit dem Panzer in die Demo!«

      »Löscht aus, was euch kaputtmachen will.«

      »Die Schulschwänzer sollte man alle verhaften.«

      »Die Demo beginnt um vierzehn Uhr, da ist die Schule vorbei.«

      »Ihr linksgrünen scheiß Ökofaschisten kommt euch besonders schlau vor, wie?«

      »Die wollen uns nur das Geld aus der Tasche ziehen.«

      »Manipulation der Dummen und ihr macht da mit.«

      »Dreckspack, einsperren mussma das.«

      »Früher hätts das net gegeben, dass so junge leut einfach alles von de alten schlecht machen. Wo hammsden alles her? Von de alten, von der kohle und des is ja au deutschland und wieso solln die deutschen die kohle und die chinesen machen was se wolln … nur meine meinung …«

      »Elendes dreckspack. Ich kenn noch eine garage und gas hab ich auch noch 13/4/7 …«

      Stille im Raum.

      Staatsanwalt