Der Christ und die Schöpfung
Heute möchte ich eine Saite des Glaubens und des Gewissens der Seele anschlagen, von der ich hoffe, dass ich sie bei vielen Menschen unseres Landes zum Schwingen bringen kann. Es ist die Saite der Freude an der Schöpfung. Gott hat uns ein so schönes Stück Welt zur Heimat geschenkt, dass uns diese Freude an der Schöpfung eigentlich in die Wiege gelegt sein müsste.
Diese Freude an Gottes Schöpfung spürt das Kind, das sein Kätzchen streichelt, die Mutter, die ihr Neugeborenes anschaut, der fotografierende Wanderer, der die Landschaft einfängt. Diese Freude muss uns durchströmen, wenn wir die Wasserhähne aufdrehen und reines Quellwasser herauskommt, selbst in der großen Stadt. Sie muss in uns aufrauschen, wenn die Kabine der Seilbahn über die Bergwälder streift oder wir als Skifahrer die Bögen hinunterziehen.
Jeder Mensch wird von dieser Freude an der Natur berührt. Für den Glaubenden müsste sie einen volleren Ton bekommen. Wenn der Glaube lebendig ist, wird das Lied der Schöpfung zum Lobgesang.
Der Lobgesang
Ich freue mich beim Breviergebet immer auf die Stelle, wo zum Sonntagmorgengebet der Lobgesang der drei Jünglinge im Feuerofen (Dan 3,51–90) drankommt. In diesem herrlichen Lobpreis aus dem Alten Testament wird die Schöpfung zum großen Orchester. Da beginnt alles zu singen: die Wolken und die Gestirne, der Fluss, der durchs Tal schwingt, der Raureif im Gesträuch am Bachrand, der Spatzenschwarm auf dem Hausdach und die Blumen in meiner Tischvase. Und wenn ich das so in meinem Fastenhirtenbrief schreibe, dann ist das nicht irgendein poetischer Überschwang, sondern eben die Sprache des Heiligen Geistes im Gotteswort.
Von dieser ehrfürchtigen und dankbaren Schau der Natur müssen wir ausgehen. Denn die Schöpfung ist heilig. Und wehe der Natur und dem Leben, wenn dem Menschen nichts mehr heilig ist!
Die Sorge
Im 20. Jahrhundert ist eine große Wende in der Beziehung von Mensch und Schöpfung eingetreten. Früher stand der Mensch weitgehend hilflos vor den Naturgewalten und musste sich vor ihnen fürchten. Jetzt sind die Rollen fast vertauscht: Die Natur muss sich vor dem Menschen fürchten.
Es geht ein Zittern um die Erde. Die Fische zittern vor den Abwässern, die Schmetterlinge vor den Pestiziden. Viele Tiere zittern bei unnötigen, quälenden Experimenten, Tannennadeln und Buchenlaub zittern vor den Abgasen. Die Bergblumen zittern vor der nächsten Schubraupe, die für immer das Aus bedeutet. Hunderttausende von Embryonen zittern im Mutterleib vor der Abtreibung; ja, die ganze Erde hüllt sich nur noch zitternd in den strahlenschützenden Ozonmantel, den wir ihr systematisch zerfetzen. Jahrmillionenlang hat die „unvernünftige“ Natur mit ihren feinen Mechanismen und Instinkten für ein gewisses Gleichgewicht in den Lebensräumen gesorgt. Aber der Mensch, der sich nicht auf Instinkte verlassen kann, sondern mit Geist und Herz diese Welt „bebauen und behüten“ soll (Gen 2,15), kann mit Habgier und Hochmut viel zerstören.
Es gibt natürlich echten Fortschritt, um den wir alle froh sind. Aber wenn man heute sieht, wie diese energiegeladene, hochentwickelte und durchorganisierte Zivilisation in entscheidenden Fragen der Umwelt und des Lebens danebenfährt, dann kommt einem wirklich der alte Autofahrerspruch in den Sinn: „Was nützt der Tiger im Tank, wenn der Esel am Steuer sitzt?“
Eine neue Gesinnung
Angesichts dieser Situation müssen wir heute um neue Gesinnungen beten. Um eine neue Ehrfurcht, die sich auf alles Lebendige erstreckt. Um eine neue Bescheidenheit, die um der Schöpfung willen auf überzogene Ansprüche verzichtet. Und wir müssen um eine neue Klugheit bitten, die sich mit Gefühl und Behutsamkeit der Natur verbindet.
Wenn man die Sorge um Gottes Schöpfung ernst nimmt, dann muss auch ein Wort über den Stand gesagt werden, der seit Jahrhunderten den Umgang mit der Schöpfung eingeübt hat und der nun europaweit bedroht ist. Es ist der Bauer. In den Weisheitsbüchern des Alten Testaments habe ich das Wort gefunden: „Der Gerechte weiß, was sein Vieh braucht, doch das Herz der Frevler ist hart“ (Spr 12, 10). Dabei ist mir in Erinnerung gekommen – zurück bis in die Tage der Kindheit –, was für eine Zuwendung der Bauer unseres Landes zu seinem Vieh hatte – und hat. Wie leidet er mit, wenn Schneewolken im Juli über die Almen hereinfahren! Prof. Bernhard Grzimek, der große Anwalt der Tierwelt, hat nach einer erschütternden Dokumentation über die Viehmastmethoden in einigen Ländern Europas am Ende des Films einen Tiroler Almabtrieb gezeigt und dazu gesagt: „Das ist ein Musterbeispiel dafür, wie der Mensch mit seinem Nutztier umgehen sollte!“ „… Der Gerechte weiß, was sein Vieh braucht.“ Wie aktuell kann eine 2500-jährige Weisheit der Heiligen Schrift sein! Die drohende Beseitigung des Bauern ist nicht nur das Auslöschen eines Standes und einer Kultur, es ist auch ein weiterer Schritt zur Schöpfungsverachtung. Wem mit der Schöpfung ernst ist, muss heute als Christ mit dem Bauernstand Solidarität üben. Wir würden es alle bitter büßen, wenn er den Technokraten weichen müsste!
Der Segen
Ein Trost in allen diesen Sorgen sollte uns dennoch bleiben: Gott, der Herr, hat nach dem Wort der Genesis (Gen 1,22) die Schöpfung gesegnet.
Der Segen Gottes soll uns alle ermuntern, wach zu werden für die Würde des Lebens und die Kostbarkeiten der Natur, die uns der Herr gerade in unserer Heimat in so großer Fülle geschenkt hat.
Der Gang zur Quelle
Die meisten Tiroler sind mit gutem Quellwasser verwöhnt. Aber wenn irgendwo dem sauberen Wasser Gefahr droht, wird Alarm geschlagen. Man weiß heute, was diese Gabe Gottes wert ist. Und jede Gemeinschaft schätzt sich glücklich,