Die Graugans lachte. »Jetzt erinnere ich mich wieder. Das war sehr komisch.«
»Komisch? Das Kind hat durch das ewige Eingesperrtsein bleibende Schäden erlitten.«
»Als Verhaltensforscher müßtest du wissen, daß man bleibende Schäden mit Geld nicht wiedergutmachen kann. Also her mit unserem Anteil am Nobelpreis!«
»Was würdet ihr denn mit dem Geld machen, würde ich es tatsächlich mit euch teilen?« fragte der Ausgezeichnete.
»Als erstes unsere Verpflegung umstellen«, sagte die Graugans, erhob sich aus ihrer Steinbank und watschelte in Richtung Eiskasten, dem sie mit sicherem Griff eine Portion feinsten Parmaschinkens entnahm.
»Mußt du mir immer die teuersten Delikatessen wegnehmen?« beklagte sich der Hausherr.
»Du bist knausrig – als Nobelpreisträger kannst du dir das leisten. Die uns von dir vorgeschriebene einseitige Kost ekelt uns an. Wir wollen auch einmal Filetsteak, Kaviar und Vanilleeis mit heißer Schokoladensauce.«
»Kaviar! Weißt du überhaupt, was es kostet, täglich ein Haus voller Viecher durchzufüttern?« fragte Lorenz. »In Wahrheit habe ich für euch weit mehr ausgegeben, als mir der ganze Nobelpreis gebracht hat.«
»Wenn du glaubst, uns mit einem Butterbrot abspeisen zu können, hast du dich getäuscht.« Martina entleerte mit großem Appetit den Eisschrank, ohne deshalb ihre politische Rede zu unterbrechen. »Ich habe mit den anderen gesprochen, wir denken an die Gründung einer Gewerkschaftsbewegung. Mit je einer Fraktion für Greif- und Singvögel, für Menschen- und Halbaffen, für Hunde, Katzen, Mäuse, Biber, Bienen, Wespen, Fliegen, Rotkehlchen …«
»Natürlich – die Roten müssen dabeisein, wenn’s um Forderungen gegen den Brötchengeber geht! Aber bitte, wir können über alles sprechen.«
»Wieso kannst du überhaupt mit uns sprechen, wann hast du das gelernt?« fragte die Graugans.
»Mir blieb ja gar nichts anderes übrig. Denk einmal an deine Kindheit. Du wolltest nie bei deiner Mutter, sondern immer nur bei mir im Bett schlafen. Zuerst mußte ich genau studieren, was du sagtest, damit ich verstehen konnte, was du wolltest. Pfühp, pfühp … waren deine ersten Worte. Anhand deines verzweifelten Gesichtsausdrucks hatte ich bald heraußen, daß das soviel wie ›Laß mich nicht allein!‹ bedeutet. Das nächste war Wiwiwiwiwi – auf gut deutsch: ›Hier bin ich, wo bist du?‹ Bald konnte ich, durch Studium und anschließende Nachahmung deiner Ausdruckslaute, in gebrochenem Graugänsisch antworten: Gangangang – ›Ich bin da.‹ Wolltest du deine Ruhe, sagtest du Wirrr – ›Ich schlafe schon, gute Nacht!‹ So ergab ein Wort das andere, ehe wir konfliktfrei konversieren konnten. Mit den anderen Tieren auf meinem Hof ging’s ähnlich, es war einfach eine Überlebensfrage, wollte man in einer so großen Familie miteinander auskommen.«
»Über alles kann man mit dir sprechen«, sagte Martina, »nur wenn’s ums Geld geht, versagt die Verständigung.«
»Also gut, du sollst sehen, daß ich auch auf diesem Gebiet mit mir reden lasse.« Die Graugans hatte ihr Ziel erreicht, sie streckte Konrad Lorenz zum Zeichen der Einigung den rechten Flügel hin.
»Du weißt, daß Geld nicht glücklich macht«, sagte der Professor am Schluß der Verhandlungen.
»Aber es beruhigt.«
»Dumme Gans!«
Aerarisches Essen Ist Oft Ungenießbar
oder Was AEIOU wirklich bedeutet
An Kirchen und Kapellen, Spitälern und an den Portalen herrschaftlicher Häuser – kurz, allüberall in Österreich, findet sich die geheimnisvolle Buchstabenkombination »AEIOU«. Jeder kennt sie, hat irgendwann im Geschichtsunterricht von ihrer Zusammensetzung vernommen, aber welche Bedeutung die fünf Vokale tatsächlich haben, weiß kaum jemand.
Oder besser gesagt: Überhaupt niemand. Denn bisher konnte nicht einwandfrei nachgewiesen werden, was Kaiser Friedrich III. mit dem populären Wahl- und Wappenspruch meinte, der sich auf Besitztümern und Gebäuden, die während seiner 53jährigen Herrschaft – von 1440 und 1493 – errichtet wurden, sowie auf Waffen und auf Münzen, die er prägen ließ, befindet. Wir müssen uns also auf Spekulationen einlassen, die im Lauf der Jahrhunderte angestellt wurden. Der Historiker Alphons Lhotsky hat etwa neunzig Deutungen gesammelt, die – sei es von seriösen Forschern, sei es von humorbegabten Menschen – in griechischer, lateinischer und deutscher Sprache niedergeschrieben wurden. Einige davon seien hier wiedergegeben:
Allzu Ernstes Ist Oesterreich Ungemäß.
Allerlei Erdreich Ist Oesterreichs Unglück.
Aller Einigkeit Ist Oesterreichs Unsterblichkeit.
Aller Ehren Ist Oesterreich Voll.
Aller Erst Ist Oesterreich Verdorben.
Allen Eifers ist Oesterreich Voll.
Aller Ernst Ist Ober Uns.
Alte Esel Jubilieren Ohne Unterlaß.
Auch Eselei Ist Offenkundig Unsterblich.
Aerarisches Essen Ist Oft Ungenießbar.
Auf Erden Ist Oesterreich Unsterblich.
Apfelstrudel Erdäpfelsalat Indianer mit Schlag Obstler Ungarisches Gulasch.*
Die meistzitierte (und angeblich seriöseste) Auslegung findet sich in einem erst im 17. Jahrhundert entdeckten Pergament-Notizbuch Friedrichs, in dem der für seinen Hang zum Mystischen bekannte spätere Kaiser anno 1438 eigenhändig zweisprachig festhielt:
Austriae Est Imperare Orbi Universo.
Alles Erdreich Ist Oesterreich Unterthan.
Diese Version würde belegen, daß der Habsburger Österreichs künftige Vormachtstellung vorausgeahnt hätte. Doch kann auch diese Variante angezweifelt werden, da sich an anderer Stelle weitere Handschriften mit anderen AEIOU-Auslegungen des Herrschers finden.
Womit ich mir erlaube, die nach einem halben Jahrtausend immer noch brennende Frage nach dem Sinn der berühmtesten Buchstabenspielerei des Landes um Version Nr. 91 zu bereichern:
Also Eigentlich Ist’s Ohnehin Unwichtig.
* Copyright der letzten Zeile: Louise Martini
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