»Denkst du an unser Essen? Mama hat abgesagt, dafür kommt meine … Ma…«
Arne hörte nur noch Rauschen in der Leitung, dann war Joannas Stimme wieder da. »… mitbringen?«
»Was soll ich mitbringen?«, brüllte Arne ins Telefon.
»Gute Laune, schließlich soll meine Freundin ja den bestmöglichen Eindruck von dir be…«
Das Gespräch riss dieses Mal ganz ab. Arne wartete noch eine Minute. Als sich Joanna nicht mehr meldete, ging er ins Bad und stellte die Dusche an.
So, so, da hatte Joanna also wieder eine neue Freundin. Arne hoffte, dass die Beziehung ausnahmsweise länger dauern würde als die letzten Male. Joanna war unerträglich, wenn es in die Brüche ging, besonders, wenn sie verlassen wurde. Alexa war ihre letzte Freundin gewesen. Ein Model, bei dem Arne nicht müde geworden war zu bedauern, dass es seinen Prachtkörper nur Joanna nackt präsentiert hatte. Im Nachhinein stellte sich zwar heraus, dass Alexa mit ihrem Körper auch andere Frauen beglückt hatte, doch dieser Umstand war weder Joanna noch Arne ein Trost.
Arne nahm sich vor, der neuen Flamme seiner Schwester nicht allzu viel Aufmerksamkeit zu schenken.
Pünktlich hielt er am Abend vor Joannas Haus und bewunderte einmal mehr die Perfektion, mit der seine Schwester den Garten bepflanzt hatte. Die Steinplatten für den Weg waren eigens aus Irland eingeflogen worden, die Büsche stammten aus der Toskana, die Gartenmöbel aus Frankreich, die Solarleuchten aus Amerika und all die Tonfiguren – keine Gartenzwerge, die hätte Joanna niemals geduldet – von diversen Handwerkern aus der Region. Selbstredend handelte es sich um teure Unikate. Arne dachte an seine einzige Pflanze, eine Grünlilie, die ihr trauriges Dasein in einem dunkelbraunen Plastiktopf auf der Fensterbank fristete. Arne betätigte den Klingelzug. Noch eine Extravaganz. Ein profaner Klingelknopf kam nicht in Frage.
Joanna, in einen Kimono gekleidet, öffnete. »Schön, dass du da bist. Ist der für mich? Mensch, Brüderchen, du beweist ja langsam Geschmack. Den Strauß hast du ganz wunderbar ausgewählt, der kommt gleich in die Vase.«
Joanna verschwand in der Küche, aus der herrliche Düfte strömten. Arne ging ins angrenzende Wohnzimmer. Die Dielen knarrten unter seinen Füßen, sofort fühlte er sich geborgen, weil ihn das Geräusch an die elterliche Wohnung erinnerte. Wahrscheinlich hatte sich Joanna deshalb gegen Parkett und für das Knarren entschieden. Die Sitzecke war riesig und passte zum Fernseher, der beinahe Kinoleinwandformat besaß. Fast hätte Arne die zierliche Gestalt übersehen, die sich von der Couch erhoben hatte und sich nun unsicher den Rock glatt strich.
Die passt ja so gar nicht in Joannas Beuteschema, ging es Arne durch den Kopf.
Normalerweise bevorzugte Joanna Frauen ab 1,75 Meter Größe, mit rassigen Kurven. Für diese aparte Frau fiel ihm auf Anhieb das Attribut »lieb« ein. Sie strahlte eine Sanftheit aus, die an Joannas Ansprüchen zerschellen würde, wie ein morsches Boot an einer Klippe.
»Marja«, sagte sie und streckte Arne die Hand entgegen. Die volle Stimme und der feste Händedruck entsprachen allerdings so gar nicht der äußeren Sanftheit. Wider Willen fand Arne sie interessant. Zu interessant dafür, dass sie die Freundin seiner Schwester war. Er räusperte sich, nannte ihr seinen Namen und nahm auf der Couch Platz. Teils erleichtert, teils enttäuscht registrierte er, dass sie sich in einem, auf antik gemachten, Ohrensessel niederließ.
»Seit wann kennen Sie meine Schwester?«, wollte Arne wissen.
»Seit vier Monaten. Ich arbeite in der gleichen Agentur wie Joanna.«
»Ah ja«, sagte Arne. »Und wann haben Sie gemerkt, dass Sie sich … sympathisch sind?«
»Von Anfang an«, gab Marja so inbrünstig zurück, dass Arne auf weitere Fragen verzichtete. Da er fürchtete, sie würde nun intimere Details auspacken, wandte er den Blick ab und schaute sehnsüchtig in Richtung der Küche.
»Ich sehe, ihr habt euch schon bekannt gemacht«, sagte Joanna, ging schnurstracks auf Marja zu und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Beide kicherten.
Arne konnte sich schon denken, um was es in dem Gespräch ging. So etwas wie: Wenn mein dämlicher Bruder weg ist, dann machen wir es uns nackt vor dem knisternden Kaminfeuer gemütlich.
Es versetzte Arne einen Stich, dass Marja beim Flüstern errötet war. Die beiden würden vermutlich über die Weihnachtsfeiertage in einen idyllischen, sündhaft teuren Skiort fahren, während er selbst – wie jedes Jahr – seine Eltern besuchen und sich allein abends vor dem Fernseher eine Flasche Wein aufmachen würde. Er wurde jäh aus seiner trübsinnigen Zukunftsvision gerissen, als Joanna zum Essen rief. Die Frauen musterten ihn amüsiert. Wie lange hatte er mit leerem Blick vor sich hin gestiert?
Allmählich werde ich verschroben, und das mit Ende Dreißig, dachte er verbittert.
Marja reichte ihm eine Platte mit Räucherlachs. Ihre Fingerspitzen berührten seinen Handrücken nur einen winzigen Moment. Dieser Augenblick setzte allerdings eine Kettenreaktion in Gang. Arnes Herz begann im Stakkato zu rasen, seine Hände zitterten so sehr, dass es ihm gerade noch gelang, die Platte scheppernd auf dem Tisch abzusetzen. Er murmelte eine Entschuldigung und flüchtete auf die Gästetoilette. Als die Tür hinter ihm verriegelt war, atmete er tief durch. Was zur Hölle soll das?, schimpfte er mit sich selbst. Sie ist vergeben, nein, schlimmer, sie ist lesbisch. Keine Chance also. Warum benimmst du blöder Kerl dich wie ein verliebter Teenager? Jetzt sei kein Idiot und behandle sie wie ein Neutrum. Arne schaufelte sich mehrere Hände Wasser ins Gesicht, bis er sich besser fühlte und kehrte zum Esstisch zurück.
Es wurde ein bizarres Dinner. Aus Angst, etwas Falsches zu sagen, schwieg Arne. Irgendwann unterhielten sich die Frauen über seinen Kopf hinweg, versuchten nicht einmal mehr, ihn ins Gespräch einzubeziehen. Sie sprachen über irgendein langweiliges Agentur-Projekt. Anstatt zu essen, trank Arne so viel Wein, dass er schließlich von Joanna und Marja auf die Couch verfrachtet wurde. Eine Decke, die ihn warm umhüllte war das Letzte, das er bewusst mitbekam, dann ereilte ihn der weinselige Schlaf und riss ihn in die Dunkelheit.
»Hey«, hörte er jemanden sagen. Mit einiger Verspätung erkannte er den ungeduldigen Tonfall seiner Schwester. Wie kam die denn in sein Schlafzimmer? Ach nein, er war ja bei Joanna gewesen.
»Trinken«, befahl sie und hielt ihm ein Glas an die Lippen. Gehorsam trank er die bittere Flüssigkeit und sah weidwund zu seiner Schwester auf.
»Guck nicht so«, sagte sie hart. »Ich werde nie mehr was für dich arrangieren, wenn du meine Bemühungen so mit Füßen trittst.«
Arne hob den Kopf. »Das Essen war prima. Und der Wein erst … aua.« Er fühlte einen Stich, der ihm bis ins Hirn drang. Erschöpft ließ er sich in die Kissen zurückfallen.
»Du bist ein Trottel! Ich habe nicht vom Essen geredet. So, Brüderchen. Schlaf dich aus, ich muss jetzt zur Arbeit.«
Arne schlief wieder ein. Erst am Mittag war er soweit wiederhergestellt, dass er aufstehen konnte, ohne dass sich alles um ihn drehte. Er fand eine eingeschweißte Zahnbürste in Joannas Schrank und pries seine Schwester im Stillen für ihre Vorratshaltung. Frisch geduscht setzte er sich vor den Fernseher. Schließlich war es egal, vor welchem Fernseher er seinen ersten Urlaubstag verbrachte. Um 15 Uhr hörte er die Haustür aufgehen.
»Ich habe mir die neue Zahnbürste aus dem Schrank genommen, ich hoffe, das ist okay für dich?«, rief Arne, ohne den Blick vom Fernseher zu wenden.
Keine Antwort, nur eilige Schritte, die sich näherten. »Für mich geht das klar, aber wer bist du? Was machst du in Joannas Wohnzimmer?«
Eine große, schlanke Frau kam ihm entgegen gestöckelt. Sie musterte ihn misstrauisch und kramte in ihrer Handtasche. Arne vermutete, dass sie nach einem Elektroschocker, Pfefferspray oder sonst einer fiesen Abartigkeit tastete. Arne hob die Hände in einer Geste der Unschuld und sagte: »Ich bin Joannas Bruder und Sie … äh … du?«
»Dann bist du Arne, richtig? Ich heiße Marie.«
»Marie«,